: Verhandlungen um neue bulgarische Regierung
■ Regierungschef Lukanow tritt zurück, um eine Regierungsneubildung unter Einschluß der Opposition unter seiner Regie herbeizuführen / In einer Rede vor dem Parlament fordert er eine schnellere Gangart bei der Wirtschaftsreform
Sofia (ap/adn/taz) - Das bulgarische Parlament hat am Mittwoch den Rücktritt der Regierung unter Ministerpräsident Andrej Lukanow angenommen. Lukanow, der wahrscheinlich auch wieder der kommende Regierungschef sein wird, verlangte unter Hinweis auf die wachsenden wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten des Landes, die Bestätigung eines neuen Kabinetts dürfe nicht länger als zehn Tage auf sich warten lassen.
Die bisherige Regierung war im Februar von der alten Nationalversammlung gewählt worden. Lukanows Sozialistische Partei, die frühere KP, gewann die Parlamentswahl im Juni; sie erhielt 211 der 400 Mandate, hat aber seither an Einfluß verloren. Denn weit stärker als in Rumänien versucht die Opposition in Bulgarien, die politische Initiative an sich zu reißen. Erst am Dienstag abend mußte das Parlament nach heftigen Protesten in Sofia, die in der Drohung eines jungen Mannes gipfelten, sich selbst zu verbrennen, einen Beschluß zur Entfernung aller Insignien kommunistischer Macht aus dem öffentlichen Leben fassen. Doch weit bedeutsamer war, daß am 1. August der Oppositionsführer Schelju Schelew zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Und seither verlangt Schelew die Einsetzung einer „starken, fähigen Regierung“. Trotz der bisherigen strikten Absage der Opposition zur Bildung einer Koalitionsregierung ist unter diesen Voraussetzungen ihre Beteiligung nicht mehr ausgeschlossen. Vielleicht aber werden der neuen Regierung auch nur unabhängige Fachleute angehören.
Lukanow legte in seiner „Abschiedsrede“ bereits ein Zehnpunkteprogramm für den Kampf gegen die Wirtschaftskrise vor. Vorgesehen ist eine Teilfreigabe der Preise, eine Dezentralisierung der staatlichen Wirtschaft, Kampf gegen Korruption, Schwarzhandel und Schmuggel, ferner der Beitritt Bulgariens zum Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Lukanow hat weiterhin die beschleunigte Entmonopolisierung und Dezentralisierung verschiedener staatlicher Betriebe sowie die Förderung der Konkurrenz zwischen den Unternehmen als eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Zeit bezeichnet. Der Bereich marktwirtschaftlicher Preise soll erweitert werden. Außerdem schlug er vor, die Emission staatlicher Wertpapiere zu beschleunigen. Die Verzinsung der Guthaben von Betrieben und Privatpersonen soll neu festgelegt werden. Staatliche Betriebe müßten Steuerermäßigungen erhalten.
Lukanow setzte sich ferner vor dem Parlament für den Abschluß der Verhandlungen mit Banken und Kreditgebern im September und die Aufnahme in den Internationalen Währungsfonds sowie die Weltbank ein. Der Premier wandte sich gegen unberechtigte Kritik an der Handelspolitik gegenüber der Sowjetunion und verwies darauf, daß Bulgarien problemlos und zu festen Preisen aus der UdSSR bis zu 60 Prozent Waren importiert, die an internationalen Börsen gehandelt werden. Der Anteil dieser Waren am bulgarischen Export mache aber nur zehn bis zwölf Prozent aus. Der Handel mit der Sowjetunion habe Bulgarien eine Einsparung von 1,5 bis zwei Milliarden Lewa gebracht, weil er nicht zu Preisen des Weltmarktes abgewickelt wurde. Erst Ende 1988/Anfang 1989 habe Bulgarien gegenüber der Sowjetunion einen Aktiv -Saldo erreicht. Der Bedarf an harter Währung werde rasch wachsen und erfordere, daß die Qualität bulgarischer Produkte verbessert und damit Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Markt gesichert werde.
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