Kommunen durch Stromvertrag geknebelt

■ Saarländischer Wirtschaftsminister Hajo Hoffmann: Deutsch-deutscher Stromvertrag „glatt rechtswidrig“ / DDR-Umweltminister Steinberg verspricht DDR-BürgerInnen ein dem „BRD-Niveau vergleichbares Strompreisniveau“

Berlin (taz) - Für die Kommunen in der DDR wird sich der am Mittwoch abgeschlossene deutsch-deutsche Strom-Deal als Knebelvertrag erweisen. Mit dieser Auffassung meldete sich gestern der saarländische Wirtschaftsminister Hajo Hoffmann (SPD) zu Wort. Das Abkommen sei „glatt rechtswidrig“.

Magistrat und Senat von Berlin kündigten bereits am Mittwoch abend an, daß sie an eine Klage denken. Es sei ein „Skandal ersten Ranges“, erklärte inzwischen auch Hoffmann, daß die Bundesregierung die erst seit wenigen Wochen gültige DDR-Kommunalverfassung mit Hilfe des Einigungsvertrages so ändern wolle, daß die Bildung von Stadtwerken praktisch unmöglich werde. Nach Hoffmann will Bonn im Einigungsvertrag festlegen, daß DDR-Städte nur dann Stadtwerke bilden dürfen, wenn sie nachweisen, daß sie bessere Versorgungsleistungen als die westdeutschen Großunternehmen erbringen werden.

Volkseigenes Vermögen, das der kommunalen Versorgung dient, ist in das Eigentum der Gemeinden zu übergeben. So legt es das Kommunalvermögensgesetz der DDR eigentlich fest. Doch schon der zwischen DDR-Umweltminister Karl-Heinz Steinberg (CDU) und den drei westdeutschen Energieriesen RWE, PreussenElektra und Bayernwerk unterschriebene Vertrag setzt dem kommunalen Einfluß enge Grenzen. Die DDR-Regierung legt damit den Gemeinden Fesseln an, die Konzerne müssen sie nur noch zuschnüren: Nach dem der taz vorliegenden Text des Stromvertrags wird die DDR, „soweit rechtlich möglich, dafür sorgen, daß die kommunalen EVU (Energieversorgungsunternehmen, d.Red.) mit dem jeweiligen regionalen DDR-EVU (das sich in Konzernhand befindet, d.Red.) Bedarfsdeckungsverträge mit einer Laufzeit von 20 Jahren abschließen“.

Zwei kleine Einschränkungen sind in der jetzt unterzeichneten Fassung enthalten: Die Gemeinden dürfen ihren Strombedarf in Eigenregie decken, wenn sie Energieerzeugungsmöglichkeiten schaffen „aufgrund regenerativer Energiequellen oder durch wärmegeführte Heizkraftwerke“. Nutzen dürfen die Gemeinden außerdem auch „Eigenerzeugungsanlagen“, „über die sie zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrages verfügen“ - eine Bedingung, die in den seltensten Fällen erfüllt sein dürfte.

Noch skandalöser ist der Passus: Laut Vertrag wird die DDR „darauf hinwirken, daß das regionale EVU die in seinem gegenwärtigen Verantwortungsbereich befindlichen Energieversorgungsanlagen dauerhaft zu Eigentum erhält“. Die Kommunen sollen aber „nur Geschäftsanteile an dem regionalen DDR-EVU erhalten. Dadurch würde aber das Recht des westdeutschen EVU“, eine Mehrheitsbeteiligung an dem lokalen Energieunternehmen zu erwerben, „nicht beeinträchtigt, sowie das Vermögen des regionalen DDR-EVU durch sonstige Herausgabe- oder Entschädigungsansprüche um nicht mehr als zehn Prozent vermindert“.

Dieser Passus war den Konzernen besonders wichtig: „Falls dieses nicht erreicht wird“, heißt es am Schluß, „ist das westdeutsche EVU berechtigt, von diesem Vertrag zurückzutreten“.

Man habe die Energieversorgung der DDR „nicht im Handstreich“ übernehmen wollen, beteuerte noch am Mittwoch Jochen Holzer von der Bayernwerk AG.

Doch genau dies war geschehen. Kaum hatte das Bundeskartellamt am Dienstag Einverständnis signalisiert, trafen sich Steinberg und die Vorständler der westdeutschen Energiekonzerne am Mittwoch mittag in Ost-Berlin zur Vertragsunterzeichnung. Mit dabei waren auch Vertreter von sieben kleineren Energieunternehmen, unter ihnen das Badenwerk, die Stuttgarter Energieversorgung Schwaben (EVS), die Hamburger Elektrizitätswerke (HEW), die STEAG, die Dortmunder VEW und die Berliner Bewag. Ihnen sowie der französischen Electricite de France (EdF) wurden vom Kartellamt vier Reservate in der DDR geschaffen - in den Augen von Kartellamtssprecher Schön der eigentliche „Charme“ der jetzt ausgehandelten Lösung.

Während die PreussenElektra nach wie vor die Bezirke Rostock, Neubrandenburg, Frankfurt/Oder, Potsdam und Magdeburg übernehmen darf, die drei sächsischen Bezirke an die RWE und Thüringen an das Bayernwerk gehen, wird es in vier Bezirken, so Schön, „keinerlei Beteiligung“ der drei Energieriesen geben. Neben Halle, Dresden und Schwerin betrifft das auch Ost-Berlin. Hier dürfen die kleineren westdeutschen sowie einige westeuropäische Unternehmen einsteigen und sich auf diese Weise etwa 40 Prozent des Marktes sichern.

Allerdings wird sich der Einfluß der Großen Drei nicht auf die ihnen verbleibenden elf regionalen EVU beschränken. Darüber hinaus bekommen sie nämlich die drei DDR-weit agierenden großen Energieunternehmen zu 75 Prozent in die Hand - einschließlich des Verbundnetzes, aber ohne die maroden Atomkraftwerke der DDR.

Umweltminister Steinberg befreite die Konzerne aber noch von weiteren Risiken: Er versprach, ein dem BRD-Nivau vergleichbares Strompreisniveau anzustreben und gleiche rechtliche Bedingungen wie im Westen Deutschlands zu schaffen. Als Soforthilfe für die DDR-Energiewirtschaft müssen die drei Großkonzerne laut Vertrag 600 Millionen Mark investieren und langfristig Milliarden in die Sanierung der DDR-Energiewirtschaft stecken. Die Zeche zahlen die DDR -Verbraucher: Der Strompreis steigt ab Januar 1991 auf das Dreifache.

Hans-Martin Tillack