Bücher und Kartenschwemme

■ Neue DDR-Bücher und - Karten auf dem Markt

Neue DDR-Bücher und -Karten auf

dem Markt

VON WIELAND GIEBEL

Ganze Flotten von Wohnmobilen rollen jeden Montag in die DDR: Die Banker parken bis Freitag direkt vor ihren Bankcontainern. Der Einzelhandel wird von Klinkenputzern abgeklappert; in den Hotels finden die Verkaufstrainer kein Bett mehr. „Wilder Tourismus“, wie die nichtorganisierte Form des Individualtourismus genannt wird, macht der DDR schwer zu schaffen. Den Westverlagen offenbar nicht. Reisebücher gibt es in rauhen Massen. Nach Merian und Baedeker jetzt auch von Tschibo und vom 'Goldenen Blatt‘.

Fotobände sind Geschmackssache und eher zum Verschenken geeignet als zur Reisevorbereitung. Deswegen dazu nur soviel: Wen es wundert, wie in die im Winter nach der Wende produzierten Bildbände die wunderbaren Frühlings- und Sommerfotos kommen, der sollte sich die Abbildungsnachweise ansehen. Dort taucht durchgehend der Kölner Fotogroßdealer Karl-Heinz Jürgens auf, der in seinem Archiv über eine Million Osteuropafotos auf Halde hat. Der Fall der Mauer war seine Sternstunde.

Die klassischen Reiseführer entsprechen insgesamt den Erwartungen. Ausschließlich traditionelle Bauwerke und Kultur, aber alphabetisch ausführlich abgehandelt, finden sich in Knaurs Kulturführer DDR (515 S., 39,80 DM). Bautzen wird in diesem Band immerhin als eine als „Gefängnisort bekannte Stadt“ aufgeführt; aber welche Rolle dieser Knast beispielsweise für Rudolf Bahro spielte, findet sich hier natürlich nicht erwähnt. In Baedeckers Allianz Reiseführer (700 S., 39,80 DM) steht die nationale Minderheit der Sorben in Bautzen im Mittelpunkt. Hier kommt der Knast gar nicht vor. Warum? Vielleicht weil der Band zusammen mit dem VEB Tourist-Verlag hergestellt wurde. Die Geschichte der DDR beschränkt sich weitgehend auf die Parteitage. Ansonsten findet sich bewährte Qualität: Wirtschaft, Geschichte, Persönlichkeiten werden ausführlich abgehandelt; guter Serviceteil aus DDR-Fachreisebüchern. Im Grieben-Führer (470 S., 29,80 DM) wird in der „Kleinen Landeskunde“ zwar davor gewarnt, „im Taumel des Glücks über die Befreiung der DDR vom Joch des Kommunismus“ die Jahre des kalten Krieges nicht zu vergessen, aber im Detail, in Bautzen, ist wieder Fehlanzeige: kein Hinweis auf den Politknast. Merian-Extra DDR (12,80 DM) und Geo -Special DDR (13,50 DM) bieten frühlingsaktuelle Reportagen und Analysen sowie einen brauchbaren Serviceteil, 'Geo‘ dazu noch eine Kunstbeilage. Besser Reisen . Merian DDR macht den Eindruck, als habe unter verlagsökonomischen Kriterien noch eine Taschenbuchreihe zu 9,80 DM gefehlt. Mir tun die Autoren leid, die auf eineinhalb Seiten die Geschichte von 1949 bis 1990 abhandeln müssen.

Am schnellsten, dicksten und preisgünstigsten war der Bertelsmann-Verlag mit der umfangreichen, besonders historisch gründlichen und schnell aktualisierten Neuauflage von DDR/Berlin (49,80 DM). Das 500-Seiten-Buch wirkt zwischen den anderen schon wegen des Telefonbuchformats und der festen Bindung wie das Standardwerk über die DDR allerdings nicht als Reisebuch. Vorwort ist Willy Brandts Rede am 10. November 1989 vor dem Rathaus Schöneberg. Als Beilage fehlt nur die Nationalhymne der „Schöneberger Sängerknaben“ in der taz-Version. Apropos taz: Unter den politischen Sammelbänden sind die beiden DDR-Journale aus dem taz-Verlag (je 5 DM) absolut führend: näher dran, bessere Analyse. Aktuelle Daten sind im Fischer Almanach DDR übersichtlich zusammengefaßt (380 S., 6,80 DM).

Herausgestellt seien vier Bücher, die sich etwas abheben und vor der Wende erarbeitet wurden. Hannelore Kleinschmid, Die DDR entdecken (Verlag Wissenschaft und Politik, 28 DM), hat viel Material gesammelt, zitiert deutlich, hat das Land bereist und läßt auch andere lebendig erzählen: über Bautzen beispielsweise einen sorbischen Schriftsteller, der weiß, daß für viele in Ost und West Bautzen nur das Gefängnis ist - und daran anknüpft. Auch dem Reisebuch DDR von Axel Besteher-Hegenbart und Peter Gärtner (Verlag Haude und Spener, 36 DM) merkt man das Engagement und die Betroffenheit an. Der Weimar-Text bleibt nicht beim „VEB Goethe und Schiller“ stehen, sondern gibt auch die Eindrücke aus dem benachbarten KZ Buchenwald sehr persönlich wieder. Der Verlag könnte für ein Register sorgen. Für Eisenbahnfans liegt der sehr schön ausgestattete Band (leider mit groben ORWO-Farbfotos) Eisenbahnatlas DDR (Eisenbahnkurier-Verlag, 49,80 DM) vor. Wirklich alles über historische Züge, die Kenngrößen von Loks und Waggons, ein umfassendes Kompendium. Was sagt der Radführer DDR von Lutz Gebhardt (DDR) und Ulrich Herzog (BRD) (Moby Dick Verlag, 26,80 DM) über Bautzen? Erstaunlich, der Knast kommt überhaupt nicht vor. Dafür werden die berühmten Moritzburger Kostümfeste geschildert, „deren Zweck so durchsichtig war wie die Gewänder der dort tanzenden Elfen“. Alle 12 Strecken zwischen der Ostsee und dem Elbsandsteingebirge sind aktuell mit dem Rad abgefahren; das Buch hat seine Schwächen (Sprache, Streckenauswahl), aber einen besseren Radführer gibt es derzeit noch nicht.

Straßen

a la carte

Straßenkarten und -atlanten hat die Stiftung Warentest unter die Lupe genommen (Heft 7/1990). Den aktuellen Stand der neuen Grenzübergänge können alle Karten nicht wiedergeben. Aber hierüber gibt die „Beratungsstelle Innerdeutscher Reiseverkehr“ Auskunft (Postfach 120607, 5300 Bonn). Als günstigstes Kartenwerk im Preis-Leistungs-Verhältnis schnitt der Euro-Reisealtlas DDR, Berlin aus dem RV-Verlag (80 S., 10,80 DM) ab. Aufgepaßt: RV (Bertelsmann) vermarktet das Kartenwerk laut 'test‘ auch in fünf anderen, schlechteren und teureren Versionen. Gut für die Reiseplanung ist auch der neue Shell-Atlas. Außergewöhnlich detailliert sind die 9 Blätter (je 7,80 DM) aus Mairs Geographischem Verlag. Eher handhabbar und wegen der umfangreichen Angaben zu Sehenswürdigkeiten „sehr empfehlenswert“ sind die 3 Blätter (je 8,80 DM) aus dem Falk-Verlag. Als weniger brauchbar gelten die DDR-Karten von Ravenstein (Europäische Reisekarte DDR und Super-Straßen 1990), die Falk -Länderkarte (9,80 DM) und die Karten vom ADAC und von Aral. Am schlechtesten schneidet die DDR-Karte des DDR -Verlages Haack in Gotha ab.

Private

DDR-Betten

Am schnellsten stieß der Alexandra-Verlag in die Privatquartierlücke. Für 20 DM ist der DIN-A4-Wälzer Privatquartiere in der DDR mit knapp 500 Seiten und 16.000 Übernachtungs- und Urlaubsadressen zu haben. Allerdings: Der Schnellschuß kann nur eine erste Hilfe sein, wenn es keine Hotelbetten mehr gibt. Das Adreßbuch ist, wie ein Fünftagetest des 'Kölner Stadtanzeigers‘ ergab, „nur für findige, flexible, anspruchslose Reisende brauchbar“. Den umfangreichsten Sampler im Baedeker-Outfit mit 27.500 Adressen zu 19,80 DM trug ein Ärzteehepaar zusammen, das in DDR-Zeitungen per Anzeige fragte, wer zahlende Wessis aufnehmen will. Daher könnte es sein, daß diese Adressen zuverlässig sind. Alphabetisch nach Städten geordnet ist der Hotel- und Campingführer Übernachten in der DDR (Grafit Verlag, 170 S., 10 DM). Die Anschriften von 250 „Tourist -Informationen“ (entspricht unseren Fremdenverkehrsämtern), von 600 Hotels und Gasthäusern, von über 500 Campingplätzen und über 250 Jugendherbergen finden sich in diesem Taschenbuch. Zur Reiseplanung ist das Bändchen durchaus geeignet, obwohl eine Bewertung der einzelnen Einrichtungen sicher hilfreich sein könnte. 2.500 Reiseziele für Ferien auf dem Land bietet der Landschriftenverlag an (Heerstraße 73, Bonn), der auch die größte Bauernhofbeschreibung für den Westen im Programm hat. Das sinnvoll nach Bezirken gegliederte Heft ist für 5 DM (auch) bei den Volks- und Raiffeisenbanken erhältlich.

Das Deutsche Jugendherbergswerk, Postfach 220, 4930 Detmold hat eine gesamtdeutsche DJH-Karte herausgegeben, die alle notwendigen Informationen enthält. Eine ausführliche Liste aller DDR-Campingplätze gibt es beim Deutschen Camping Club, Mandlstraße 28, 8000 München 40.