Die Korrektur der Linie

 ■ Vietnams Ära der Offenheit scheint zu Ende

Von Lek Hor Tan

Ende März dieses Jahres flog der 65jährigen Tran Xuan Bach, reformfreudiges Politbüromitglied der Kommunistischen Partei Vietnams, aus der 13 Mitglieder zählenden Herrschaftsriege des Landes: ein Zeichen, daß die politische Liberalisierung in Vietnam in vielen Teilen wieder zurückgenommen werden soll. Bachs Entlassung war am 28.März nach einem Geheimtreffen am Rande des achten Plenums des Zentralkomitees bekanntgegeben worden.

Das Treffen war aus Anlaß der Vorgänge in Osteuropa und der Sowjetunion einberufen worden. Im anschließenden Kommunique wurde festgestellt, daß Tran Xuan Bach wegen „schwerer Verstöße gegen die Organisationsprinzipien und die Disziplin der Partei“ ausgeschlossen worden sei, und daß „die politische Stabilität derzeit das wichtigste“ sei. Außerdem werden dort „imperialistische und reaktionäre Kräfte“ (damit sind gewöhnlich die USA gemeint) des Versuchs beschuldigt, „den Aufruhr in der kommunistischen Welt auszunutzen“ und „die sozialistischen Länder zu zerstören und abzuschaffen“.

Tran Xuan Bach war einer der wenigen führenden Personen in der Partei gewesen, die auch noch auf politische Reform drängten, nachdem die Partei sich 1986 für die Politik des „Doi moi“ („Restauration“, eine Kreuzung aus dem sowjetischen und chinesischen Modell von ökonomischer und sozialer Reform) entschieden hatte. Mitte Dezember hatte die Zeitschrift 'Tien Phong‘ zu einer Diskussion geladen; Bach äußerte dort, man solle nicht denken, „daß Turbulenzen nur in Europa stattfinden und in Asien alles ruhig bleiben könnte. Kein Land kann von sich selbst wirklich annehmen, es sei stabil. Alle sozialistischen Länder befinden sich jetzt in einem Prozeß evolutionären Fortschritts, sie müssen lange überfällige Probleme lösen und die Nöte und Mühen des Alten abwerfen.“

Besonders kritisch nahm er die von der Partei kontrollierten Medien aufs Korn, die den Ereignissen in Osteuropa wenig Raum in der Berichterstattung eingeräumt und den Fall der Berliner Mauer ebenso ignoriert hatten wie die Exekution von Nicolae Ceausescu. „Nachrichten zurückzuhalten ist ein sehr primitives Konzept“, sagte er. „Die Öffentlichkeit muß mit Informationen versorgt werden, damit sie sich ein Bild machen kann.“

Vietnam praktiziert jetzt das chinesische Modell

Die Entlassung von Tran Xuan Bach aus dem Politbüro ist bisher die wichtigste Entscheidung, die in der innerparteilichen Debatte um die Doi-moi-Politik getroffen wurde - und vermutlich sollte hiermit auch die Diskussion selbst abgewürgt werden.

Die endgültige Entscheidung darüber in der Partei wird auf dem nächsten Parteitag gefällt, der Ende des Jahres sein soll. Allerdings gibt es schon viele Zeichen dafür, daß die Partei bereits jetzt das chinesische Modell ökonomischer Liberalisierung bei gleichzeitiger strenger Kontrolle durch die Partei praktiziert, sich also gegen Gorbatschows Modell größerer politischer Offenheit entschieden hat.

Bereits 1986 war mit der Wahl des neuen Generalsekretärs Nguyen Van Linh offenkundig geworden, daß Fehlentscheidungen der Partei zur wirtschaftlichen Katastrophe geführt hatten; in innerparteilichen Diskussionen waren ökonomische Reformen und mehr Offenheit gefordert worden. Einge Male hatte Van Linh sogar die parteikontrollierten Medien dazu aufgefordert, Korruption und Unfähigkeit von Parteikadern aufzudecken.

Die Journalisten, Schriftsteller, Regisseure und Künstler Vietnams waren unter den ersten, die diese neue Politik der „Restauration“ begrüßten. Das Ergebnis war sichtbar in vielen Filmen, Büchern und Zeitschriften, deren Produktion sie kurz zuvor noch in beträchtliche Schwierigkeiten gebracht hätte. Ein bemerkenswerter Film, der aus dieser Politik des „Doi moi“ hervorging, war Geschichten des Anstands, der sogar vom Fernsehen in Hanoi ausgestrahlt wurde - allerdings nicht im Süden des Landes.

Der junge Filmemacher Tran Van Thuy zeigt in seinen Geschichten des Anstands obdachlose Bettler in den Straßen Hanois und kontrastiert diese Aufnahmen mit Szenen aus dem luxuriösen Leben von Parteikadern. In einer Szene sagt der Erzähler, „nur ein Tier kann das Leiden anderer ignorieren“, und fügt dann spöttisch hinzu: „Um Mißverständnisse zu vermeiden, sollte ich angeben, wer das gesagt hat. Es war Karl Marx.“

Der erfolgreichste Roman war 1987 Lu Luus Der Oberst, der nicht spaßen konnte; darin geht es um einen hohen Armeeoffizier, der wahnsinnig wird, nachdem sein Sohn auf Drängen des Vaters, er solle seinem Land dienen, sich den vietnamesischen Besatzungstruppen in Kambodscha angeschlossen hat und dort getötet wird. Luu beschäftigt sich hier, ebenso wie in dem vorgehenden Roman Vergangene Zeiten mit der in Vietnam herrschenden Auffassung vom Krieg und den Schwierigkeiten von ehemaligen Soldaten, sich in das zivile Leben einzugliedern. Darum geht es auch in Nguyen Huys Ein General in Pension und Xuan Trieus Hue in der roten Zeit der Aprikosenblüte. Neue Zeitschriften erschienen, die in erfrischendem Stil und mit bemerkenswertem Mut über die Gründe der wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes berichten.

Schriftsteller verstecken ihre Manuskripte

Diese politische und kulturelle Öffnung jedoch war nur von kurzer Dauer. Die Autorin Duong Thu Huong, die in ihrem erfolgreichen Roman Blindes Paradies die Enttäuschung von Menschen thematisiert, die die Partei im Kampf gegen französische und amerikanische Besatzungsmacht unterstützt hatten, wurde von der Polizei verhört und des „Antikommunismus“ beschuldigt. Zwei noch nicht veröffentlichte Manuskripte hat sie daraufhin versteckt.

Nguyen Ngoc, Chefredakteur von 'Van Nghe‘ ('Literatur‘, offizielles Organ des vietnamesischen Schriftstellerverbands) wurde im Dezember 1988 entlassen. Und er war nicht allein: Unter den zwischen 1987 und 1989 entlassenen Journalisten befanden sich Xuan Can, Chefredakteur der Hanoier Zeitschrift 'Lao Dong‘ (sozialdemokratisch), To Hoa, Chefredakteur der wichtigen Zeitung 'Saigon Giai Phong‘ ('Saigoner Befreiung‘) und Vu Kim Hanh von 'Tuoi Tre‘, beide aus Ho-Chi-Minh-Stadt (früher Saigon). Nach Angaben des Präsidenten des Vietnamesischen Journalistenverbandes, Hong Chuong, wurden auch in anderen Teilen des Landes zwischen 1987 und 1989 mindestens fünf Chefredakteure von Zeitschriften und Zeitungen entlassen. Im Oktober 1989 berichtete das Vietnamesische Menschenrechtskomitee in Paris, daß die Behörden des Bezirks Kien Giang einige Nummer von 'Kien Van‘ und 'Van Nghe Kien Giang‘ konfisziert, ihre Chefredakteure und einige Journalisten 1987 entlassen hätten. Einige von ihnen, unter anderem Ngo Van Tuoc, Nguyen Hong Yen und Diep Luat, wurden zum Arbeitseinsatz aufs Land geschickt.

In zwei Jahren mindestens fünf Chefredakteure entlassen

Im Oktober 1988 löste die Partei zwei bis dahin tolerierte kleine Parteien auf, die Sozialistische und die Demokratische Partei; ihre Zeitungen, 'To Quoc‘ ('Vaterland‘) und 'Doc Lap‘ ('Die Unabhängige‘) wurden ebenfalls aufgelöst.

Schließlich erreichte der Feldzug gegen Dissidenten die höchste Ebene - die der hohen Polizeikader. Im August verlor Generalleutnant Tran To, Direktor der Abteilung Kultur und Kunst im Zentralkomitee, seinen Posten: er war während seiner Amtszeit für mehr Freiheit für Schriftsteller und Journalisten eingetreten. Die Parteisekretäre dreier Proivinzen, Dong Nai, Vung Tau und Quang Ninh, wurden entlassen, ebenso Ha Xuan Truong, Chefredakteur des Theorieorgans der Partei, 'Tap Chi Con Sang‘.

Im Januar 1990 begann die Partei damit - offenbar als Vorspiel zum achten Plenum des Zentralkomitees -, die einflußreichste Gruppierung der internen Opposition zu neutralisieren, den „Club Ehemaliger Widerstandskämpfer“: die meisten von ihnen sind Südvietnamesen und wohnen in Ho -Chi-Minh-Stadt. Der „Club“ hat etwa 4.000 Mitglieder, die als hochangesehene und einflußreiche Kriegshelden immer schon milde Reformideen äußern durften. Seit seiner Gründung 1986 hat der Club als lokale Opposition innerhalb der Parteiführung des Südens operiert und ist von Anfang an für mehr Offenheit eingetreten; eine seiner Forderungen war die nach größerer Unabhängigkeit der Nationalversammlung (des Parlaments also) von der Kommunistischen Partei. Jetzt wurde ihre Zeitung verboten, der Vorsitzende Nguyen Ho und sein Stellvertreter Ta Ba Tang wurden abgewählt. Berichten zufolge, die im März von 'Far Eastern Economic Review‘ widergegeben wurden, „gab es Anweisungen von ganz oben, daß nur unter der Bedingung, daß der Club seine Linie korrigiert, die beiden Vorsitzenden abstößt und durch zwei weniger bekannte und starrköpfige Mitglieder ersetzt, er weiterbestehen darf“. Ta Ba Tang sagte, „der Club ist zu einflußreich, als daß er geschlossen werden könnte, also muß man uns zum Schweigen bringen. Die zehn Männer des Übergangskomitees sind Ja-Sager, die zwar selbst mit vielem unzufrieden sind, am Ende aber immer tun werden, was man von ihnen verlangt.“

Es gab weitere frühe Anzeichen dafür, daß die Partei beschlossen hatte, ihre Herrschaftsposition unter strikter Anwendung marxistisch-leninistischer Doktrin beizubehalten, vor allem Äußerungen des Parteisekretärs Nguyen Van Linh und seines designierten Nachfolgers, des Politbüromitglieds und Premierministers Do Muoi.

Neues Pressegesetz: Staatliche Kontrolle

Im Oktober 1989 warnte Premier Muoi auf den Kongressen des Schriftsteller- und Journalistenverbands die Anwesenden: „In letzter Zeit haben einige literarische Werke zu Pessimismus und Skeptizismus geführt, da sie einen falschen Blick auf die Geschichte und den heutigen Alltag geworfen haben. Bei der Entdeckung von Neuem und solchen Dingen, über die man schwer zu eindeutigen Ergebnissen kommen kann, sollte man immer von seinem gesunden Menschenverstand Gebrauch machen. In diesem Lernprozeß sollten wir die Diskussion nicht ohne Orientierung führen, denn das würde zu einer falschen und negativen Wertung revolutionärer Literatur führen und zu einer Abwendung von den Prinzipien sozialistischer revolutionärer Literatur.“ Über die Presse sagte er: „Einige Leute haben die Presse dazu benutzt, Berichte und Artikel zu veröffentlichen, die von einer irrtümlichen Wahrnehmung ausgehen, und um falsche Tendenzen und Standpunkte gewisser Einzelpersonen zu propagieren, die nicht mit Parteiprinzipien zu vereinbaren sind. Das ist bei uns und im Ausland von Verbrechern ausgenutzt worden.“

Im Dezember 1989 wurde dann ein neues Pressegesetz verabschiedet. Nach Artikel6 ist es die Pflicht der Medien, „Linie, Position und Politik der Partei zu propagieren und zu verbreiten„; Artikel5 besagt, daß es ein Vergehen ist, „gegen die herrschende Kommunistische Partei und gegen den Sozialismus Propaganda zu machen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung zu untergraben oder Parteiorganisationen zu verleumden“. Die Ernennung eines Herausgebers oder Direktors eines Medienorgans darf nur „nach Konsultation mit der staatlichen Körperschaft zur Medienbewirtschaftung“ (Artikel11) geschehen. Die staatliche Kontrolle der Presse bedeutet „(1) Gesetze, Programme, Pläne und Maßnahmen bezüglich der Medienfinanzierung und des Umgangs mit Journalisten zu beschließen, (2) Arbeitsregeln für die Medien zu verkünden und Erlaubnisse für einzelne Medienaktivitäten zu erteilen, (3) die Ausführung der Regulierungen, Aufgaben und gesetzlichen Auflagen zu überwachen und zu kontrollieren und die Verstöße gegen sie zu ahnden“. Artikel17 bestimmt die Regierung zum Kontrollorgan über sämtliche Medien. „Innerhalb des Rahmens seiner Aufgaben und Befugnisse nimmt der Rat der Minister das Recht zur staatlichen Kontrolle der Medien im gesamten Land in Anspruch.“

Am 26.Januar sagte der Parteisekretär Nguyen Van Linh über den gegenwärtigen Zustand Vietnams und unter direkter Bezugnahme auf die Situation in Osteuropa: „Die sozialistische Revolution Vietnams ist untrennbar verbunden mit der Weltsituation. Mehr den je muß sie im Licht der revolutionären und wissenschaftlichen Lehrsätze des Marxismus und der Realitäten Vietnams durchgeführt werden. Wir dürfen niemals unsere revolutionäre Wachsamkeit erlahmen lassen, denn der Imperialismus und die internationale Reaktion haben niemals ihre Anstrengungen aufgegeben, die Weltrevoltution zu sabotieren.“