: Pressefreiheit kostet Devisen
■ Zeitungen und Fernsehen im neuen Rumänien
Von John London
Lange Warteschlangen gibt es in Rumänien seit der Revolution nicht mehr nur für Obst, Gemüse, Brot und - ganz selten mal
-Fleisch, sondern auch für Zeitungen. Dabei arbeiten die Druckmaschinen des Landes rund um die Uhr, um den Lesehunger zu stillen.
Fast alle Zeitungen, die seit Jahrzehnten existieren, haben mit einer neuen Zählung begonnen, so daß 1990 als das erste Erscheinungsjahr firmiert. Die alte 'Romania Libera‘ existiert zwar weiter, aber auf ihren Seiten findet man jetzt Listen mit Namen und Fotografien von „Vermißten“, mutmaßliche Opfer des alten Regimes. Und das Parteiorgan 'Scinteia‘ heißt jetzt 'Adevarul‘ (Wahrheit) und führt den Untertitel „Unabhängige Tageszeitung“.
Auch die Wochenzeitungen 'Flacara‘ und 'Luceafarul‘ sind lange Zeit Garanten des Status quo gewesen. Die im Dezember 1966 in 'Luceafarul‘ publizierte Kritik hatte beispielsweise zur Schließung der von Miron Radu Paraschivescus gegründeten oppositionellen Zeitschrift 'Povestea Vorbii‘ geführt. Inzwischen druckt 'Luceafarul‘ an prominenter Stelle Gedichte von Mircea Dinescu. Seit Dinescu die Präsidentschaft der Schriftstellergewerkschaft übernommen hat, ist auch der Ton von 'Romania Literara‘ merklich anders geworden; Texte von früher verbotenen Schriftstellern werden gedruckt, und es gibt Übersetzungen aus den Arbeiten der argentinischen Schriftsteller Ernesto Sabato und Jorge Luis Borges. Eine weitere Literaturzeitung, das 'Jurnalul Literar‘, druckte Auszüge aus den Werken Mircea Eliades, Milan Kunderas und des bedeutenden Philosophen Constantin Noica, der früher im Gefängnis gesessen hat.
Bei allen Unterschieden haben die meisten neuen Publikationen einige Charakteristika gemeinsam. Auf der ersten Seite ist oft ein Motto oder Gedicht abgedruckt, in dem auf die Revolution Bezug genommen wird; alle Zeitungen sind dominiert vom gegenwärtigen Wandel in Rumänien; und in kaum einer findet sich ausführliche internationale Berichterstattung. Die meisten bestehen aus vier bis acht Seiten - Druck- und Papierqualität lassen zu wünschen übrig. Anzeigen gibt es kaum, und das wird bis zur Einführung einer einigermaßen freien Marktwirtschaft wohl auch so bleiben. Zwar steigen fast alle Preise, aber bei einem durchschnittlichen Zeitungspreis von drei Lei sind die Straßenverkäufer ihre Ware immer schnell los (eine U-Bahn -Fahrt kostet zwei Lei; im April waren für eine D-Mark etwa 70 Lei auf dem Schwarzmarkt zu haben).
„Clockwork Orange“
als Fortsetzungsroman
Die meisten neuen Zeitschriften erscheinen zwar wöchentlich oder vierzehntägig, entsprechen aber keineswegs den westlichen Begriffen von Magazin und Illustrierter. 'Noi, femeile!‘ heißt eine neue vierseitige und inhaltlich dürftige Frauenzeitschrift. Die erste Ausgabe der vergleichsweise bunten Revue 'Mondorama‘ bestand zum großen Teil aus Übersetzungen aus 'Time‘, 'Zeit'-Magazin und 'L'Express‘. Und in einem Bericht aus 'Le Monde‘ konnte man erfahren, wie erfolgreich Dustin Hoffmanns Londoner Auftritt im Kaufmann von Venedig sei...
Diese Abhängigkeit von der ausländischen Presse verweist bereits auf eines der zukünftig dringlichsten Probleme: die Regierung wird relativ bald in Devisen zahlen müssen, und die Zeitungen werden auf Korrespondenten im Ausland drängen. Die in Zeitungen publizierten Auszüge aus Übersetzungen beschränken sich nicht auf Presseartikel, sondern umfassen alle Genres und zeigen, wie groß der kulturelle Nachholbedarf ist. So veröffentlicht die Zeitung 'Anul 2000‘ Texte von Schopenhauer, und eine der besten Neuerscheinungen, die von der „Gruppe für gesellschaftlichen Dialog“ herausgebenene '22‘, druckt in Fortsetzung Vaclav Havels Essay Die Macht der Machtlosen (Havels Stücke durften bis vor kurzem in Rumänien natürlich nicht aufgeführt werden); in 'Catavencu‘ erscheint zum ersten Mal Clockwork Orange in Fortsetzungen.
Die Lockerung der Zensur hat noch ganz andere Aspekte: in 'Amicul Public nr. 1‘ erschien auf Seite 3 erstmals ein barbusiges Mädchen. Das Foto war als Lockanzeige für einen Schönheitswettbewerb gedacht - der Gewinnerin winkt eine zehntägige Reise nach Frankreich, bezahlt von der „Gesellschaft progressiver Intellektueller“... Die neuen Parteien, die genauso zahlreich entstehen wie neue Presseerzeugnisse, haben zusätzlich ihre eigenen Organe; die Nationalchristliche Bauernpartei wird beispielsweise sowohl von der Abendzeitung 'Dreptatea‘ als auch von der Wochenzeitung 'Renasterea‘ repräsentiert; das Organ der Liberalen Partei ist 'Viitorul‘. Die meisten anderen Zeitungen, wie etwa 'Express‘, erlauben jedoch die Diskussion zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen auf ihren Seiten.
Auch nicht parteigebundene gesellschaftliche Organisationen haben ihren Weg in die Öffentlichkeit schnell gefunden. Sowohl die Polizei als auch nahezu jede Universitätsfakultät hat ihre eigene Zeitung, die auf den Straßen an Passanten verkauft wird; es gibt sogar eine Zeitung der Detektive, herausgegeben vom „Rumänischen Verband der Privatdetektive“
-ihr Name: 'Der Detektiv‘.
Die neue Informationsflut ist sicher ein Zeichen dafür, daß man in Rumänien endlich alles öffentlich sagen kann und will, was man denkt. Gedämpft wird dieser Optimismus nur durch die Tatsache, daß bisher erst ein relativ kleiner Teil der Leserschaft erreicht wird. Anfang des Jahres streikten beispielsweise die Journalisten in Iasi aus Protest gegen die Weigerung der örtlichen Druckereien, Artikel zu drucken, die sich kritisch mit der Nationalen Rettungsfront beschäftigten. Zeitungen der Opposition sind fast nur in der Hauptstadt Bukarest erhältlich. Da sämtliche technischen Ausrüstungen mangelhaft sind, ist der Publikationsprozeß langsam und ineffektiv. Von allen Zeitungsredaktionen, die ich besuchte, hatte nicht eine einen Wordprocessor, und die Manuskripte kommen noch nicht als Fotokopien, sondern als Durchschläge. In einem Land, in dem man für den Besitz einer Schreibmaschine eine Lizenz brauchte, haben selbst elektrische Schreibmaschinen absoluten Seltenheitswert.
12 Stunden Druckzeit für Auflage von 600.000
Darüber hinaus hat die Nationale Rettungsfront ihre Druckpressen zwar für feste Produktionszeiten zur Verfügung gestellt, jedoch läßt sich kaum eine hohe Auflage drucken, so daß ein Massenvertrieb für die unabhängigen Zeitungen bisher unmöglich war: Für eine Auflage von 600.000 benötigt man zwölf Stunden Druckzeit. Die Versuche von Ion Ratio, Präsident des „Weltverbandes Freier Rumänen“, ein Gebäude für seine Druckerpresse zu sichern, sind bisher gescheitert.
Auch auf anderen Gebieten sind die Anstrengungen, eine breite Meinungsfreiheit zu sichern, mit Blockademanövern beantwortet worden. Der Repräsentant des „Weltverbandes“ in Bukarest bot in einem Brief vom 16. Januar unter anderem an, einen Radio- und Fernsehsender einzurichten, der von unabhängigen politischen Parteien, Gewerkschaften, Studentenverbänden und humanitären Organisationen genutzt werden könnte. Eine Kopie des Briefes, der in Rumänien und im Ausland veröffentlich wurde, enthielt die folgende handschriftliche Bemerkung von Ion Iliescu, Präsident der Nationalen Rettungsfront: „Nein! Wenn sie Geräte übrig haben, sollen sie sie dem Rumänischen Radio und Fernsehen anbieten.“ Einer der zwei existierenden Studentensender in Bukarest hat seine Geräte aus Belgien bekommen. Petre Roman erlaubte die Einfuhr der Anlage unter der Bedingung, daß sie nur zum Senden von Musik und Lyrik benutzt werden darf womit der Sender politisch neutralisiert war.
Der neue Präsident des Rumänischen Fernsehens, Ravan Teodorescu, läßt allerdings hoffen. Die Fernsehstudios sind immer noch streng bewacht durch die Armee; die Soldaten schlafen in Kojen, die man im Gebäude für sie aufgestellt hat.
Ein Telefonanruf von Elena Ceausescu hatte 1983 an allen Gesetzen vorbei die tägliche Sendezeit des Fernsehens auf zwei bis drei Stunden pro Sendekanal reduziert; so schlug sie zwei Fliegen mit einer Klappe: mit dem Stromverbrauch reduzierte sie die Möglichkeit zur Meinungsäußerung. Inzwischen sendet das Fernsehen den ganzen Tag, mit nur einer Mittagspause dazwischen. Es hat die Prozesse gegen Offiziere der Securitate gefilmt und überträgt die Parlamentssitzungen, die manchmal bis in die frühen Morgenstunden andauern. Wer in Rumänien nicht gerade Zeitung liest, sitzt vor dem Fernseher.
Olimpia Arghir-Varadi, Art-director beim Fernsehen und Teilnehmer an der Übernahme des Fernsehzentrums am 22. Dezember, erzählte: „Da wir für die Revolution so entscheidend waren, ist unser Budget erhöht worden. Die Zensur ist abgeschafft, und wir verfilmen Bücher von Dissidenten. Wir produzieren sogar gerade ein Theaterstück, das erst im Januar geschrieben wurde.“
Schwarzmarkt
für Videos
Regionale Fernsehsender sind im Entstehen. Sie können allerdings nur zwei oder drei Stunden pro Woche senden immer dann nämlich, wenn irgendwo Geräte und Filmmaterial zu haben sind. Die Ausstrahlung ausländischer Filme ist wegen der fehlenden Devisen nur begrenzt möglich. Dennoch zeigte ein Bukarester Kino im März den Film Butch Cassidy and the Sundance Kid.
Dies heißt übrigens nicht unbedingt, daß man unter Ceausescu in Rumänien keine Ahnung von modernen ausländischen Filmen hatte. Wer es sich leisten konnte, kaufte sich auf dem Schwarzmarkt für 70.000 Lei ein Videogerät (selbst Ärzte verdienen unter Umständen nicht mehr als 5.000 Lei im Monat). Der Besitz des Gerätes ermöglichte ihnen dann, die ebenfalls auf dem Schwarzmarkt kursierenden ausländischen Filme zu sehen.
Der Schwarzmarkt blüht in Rumänien nach wie vor. Wenn die Waren dieses Marktes Kulturgüter sind, dann muß das wohl leider als Zeichen dafür gesehen werden, daß die Freiheit der Kunst noch fern ist.
In den sechziger Jahren verhörte die Securitate regelmäßig jeden Rumänen, der mit Ausländern gesprochen hatte. Im Dezember 1971 trat ein Gesetz in Kraft, das den Bürgern des Landes verbot, Beziehungen mit Rundfunksendern oder Zeitungen aus Ländern aufzunehmen, die offiziell als rumänienfeindlich eingeschätzt wurden. Bei meiner Rückkehr in das Land bat mich jeder Rumäne mit großer Begeisterung in seine Wohnung. Man sprach absolut frei, zum Teil in offensichtlicher Herausforderung gegenüber den an manchen Orten durchaus noch vorhandenen Abhöranlagen. Ausnahmslos allen war jedoch schmerzvoll klar, daß eine vollkommen freie Presse und der freie Zugang zu Informationen und Nachrichten nicht allein mit dem Blut der im Dezember Getöteten zu kriegen ist, sondern daß man dafür harte Währungen braucht.
John London ist Mitglied des St.Cross College, Oxford, und war im März das letzte Mal in Rumänien. Obgleich seine Reise damit sowohl vor den Wahlen im Mai als auch dem Überfall der Prügelgarden Ion Iliescus im Juni stattfand, gibt der Bericht doch die grundsätzliche Situation der Medien und Medienarbeiter in Rumänien wieder.
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