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Diestel verkauft sich Volkseigentum

■ DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (CDU) hat seinem Amt ein Haus mit Grundstück am See zum Schleuderpreis abgekauft / Auch andere Mitarbeiter des Berliner Ministeriums wurden bedacht / Zeuthener Bürger sind verärgert

Aus Zeuthen Dirk Wildt

DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (CDU) hat ein neues Eigenheim - umgezogen ist er aber noch nicht. Vormaliger Rechtsträger und offizieller Nutzer des 2.500-Quadratmeter -Grundstückes mit mehrstöckigem Einfamilienhaus: das Ministerium des Innern (MdI). Innenminister Diestel mußte als Dienstherr beim Verkauf des Grundstücks an den Privatmann Diestel zustimmen. Das Haus mit Fachwerkelementen am Ufer des Zeuthener Sees soll für ihn nicht einmal 200.000 D-Mark gekostet haben. In dem 25 Kilometer südlich von Berlin gelegenen Ort sind die Bürger sauer. „Das das so weiter läuft wie bisher, hatten wir nicht gedacht“, empört sich eine Nachbarin gegenüber der taz. Der Bürgermeister der Gemeinde, Karl-Ludwig Böttcher (SPD), bemühte sich seit langem darum, Diestels jetziges Grundstück und etliche andere Volkseigentümer von der Rechtsträgerschaft des MdIs in kommunales Eigentum zu übernehmen. Bishlang vergeblich. Oberster Entscheidungsträger war auch in diesem Fall der Innenminister. Die Wellen der Empörung bei seinen neuen Nachbarn versucht er nun zu glätten. Diestel hat dem Bürgermeister versprochen, zwei Gästehäuser des MdIs jetzt doch der Gemeinde zur Verfügung zu stellen.

Diestel hat in Zeuthen gute und vertraute Nachbarn. Vorgestern wurde bekannt, daß Diestel einen seiner neuen Nachbarn in Zeuthen zum Chef des künftigen Ost -Bundesgrenzschutzes gekürt hat. Der Ex-SED-Innenminister und Ex-Chef der Volkspolizei, Lothar Ahrendt, soll die schlagkräftige Truppe von 6.000 Mann aufbauen. Ahrendt selbst hat in Zeuthen ebenfalls zum staatlich festgelegten Schleuderpreis Volkseigentum erworben. Der Chef von der Verwaltung Bauwesen im Innenministerium, VP-Direktor Fischer, gehört auch zum Kreis ausgesuchter Eigenheimbesitzer: er wohnt in derselben Straße wie sein Dienstherr.

Fischer hat beim Komitee zur Auflösung des Ministeriums der Nationalen Sicherheit (MfNS) beantragt, ein Gewerbegrundstück in Berlin-Ahrensfelde kaufen zu dürfen. Er will aus der dortigen Versorgungseinrichtung der Volkspolizei eine Bau GmbH machen. Die dortige Versorgungseinrichtung soll drei Kilometer weiter auf ein ehemaligen Stasi-Gelände umziehen. Wie aus der Volkspolizei zu erfahren war, sollen die 400 Mitarbeiter nicht mit umziehen. Ihnen droht die Arbeitslosigkeit. Leiter der neuen Versorgungseinrichtung soll Chefinspekteur Müller werden. Er sitzt derzeit im MdI als verantwortlicher Leiter für Versorgungsdienste und Ressourcen. Sein Wohnsitz: Zeuthen, Eigenheim aus ehemaligem Volkseigentum, übergeben vom Rechtsträger MdI.

Auf welcher gesetzlichen Grundlage Diestel sein neues Eigenheim erworben hat, wollte er der taz nicht mitteilen. Statt dessen riet er: „Gucken Sie in den Gesetzesblättern nach.“ Doch in den Gesetzesblättern ist nur geregelt, wie die Treuhandgesellschaft Immobilien veräußert darf. Für Grundstücke, die dem Staat gehören, ist die Treuhand nicht zuständig. Bei Diestels neuem Domizil hat das Bürgerkomitee den Verdacht, daß es sich um eine ehemalige Stasi-Adresse handelt. Die Grundstücke des Stasi aber verwaltet das Komitee zur Auflösung des MfNS. Leiter des Kommitees ist Günter Eichhorn. Weil er in letzter Zeit ohne Absprache mit Mitarbeitern Anträge genehmigt haben soll, hängt in dem Amt der Behördensegen schief, berichtet ein Insider der taz. Wer ehemalige Stasi-Grundstücke kaufen darf, ist so gut wie nicht gesetzlich geregelt - nur der Preis. Und der ist immer sagenhaft günstig, weil staatliche Schätzer nicht nach dem aktuellen Marktwert gehen dürfen, sondern sich an längst überholte DDR-Richtlinien halten müssen. Aus dem Komitee heißt es denn auch, da es „gesetzliche Lücken“ gebe, würden zur Zeit keine Familienhäuser verkauft. Und trotz „rechtsfreiem Raum“ gab es auch schon am 27. Juli, als Diestel von Diestel Volkseigentum erwarb, eine Regel. Dann nämlich, wenn die Eigentümerfrage nicht geklärt ist, sollten MfS-Grundstücke nicht verkauft werden. Der ehemalige Vorbesitzer des jetzigen Diestelbesitzes in der Zeuthener Seestraße hält die Eigentumsfrage für nicht geklärt. Vor Jahren hatte Familie Klawitter das Familienhaus gekauft, mußte aber nach zwei Monaten plötzlich ausziehen.

Innenminister Diestel wollte sich gegenüber der taz nicht zum „Fall Zeuthen“ äußern. „Das Gespräch hat sich für mich erledigt“, antwortete der Minister in der Volkskammer, als er sich zum Preis äußern sollte.

Dirk Wildt

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