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„Sprengen gehört dazu - wie der Topf in die Küche“

■ Journalistenbesuch in Prora, der früher geheimen Offiziersschule der NVA für ausländische Militärkader

Aus Prora Klaus Wolschner

Auf einer Wiese auf der Insel Rügen stehen sieben Kamerateams, diverse Fotografen, dazwischen hier und da eine Schirmmütze der Nationalen Volksarmee. „Hier haben die Terroristen der PLO mit Sprengstoff geübt?“ Nein, offensichtlich nicht, die Grasnarbe ist völlig unbeschädigt.

Drei Hubschrauber lud die NVA am Donnerstag voll mit Presseleuten und Kameras, um die Harmlosigkeit der in Verruf geratenen Offiziersausbildungsstätte Prora auf Rügen zu beweisen. 14 Palästinenser sind hier ausgebildet worden, die Schlagzeilen haben sofort wieder Terrorzellen im ordentlichen deutschen Realsozialismus ausgemacht. Der Lehrkörper in Prora versteht die Welt nicht mehr. Am Donnerstag standen die Lehrer an den offenen Türen der Unterrichtsräume der Offiziersschule, nichts sollte verborgen bleiben.

Vor Ort begrüßt Generalleutnant Seefeldt die Presse-Truppe mit einem fetten Imbiß und einer kurzen Ansprache, die die Grundzüge der Ausbildung erläutert: Soldaten aus elf Ländern lernen hier, seitdem das Kasernengelände 1981 von den „Mot. -Schützen“ aufgegeben wurde, zunächst die deutsche Sprache, Rechnen, Militärgeschichte, dann LKWs reparieren, Artillerie putzen und Funkgeräte bedienen. Da die polytechnische Grundbildung der meisten Studiengruppen sehr niedrig ist, bleibt das Niveau unter dem deutscher Soldaten-Diplome zurück.

Vor einem Jahr noch war die Ausbildungsstätte streng geheim, die jungen Soldaten aus Nicaragua, Vietnam, dem Kongo oder eben auch dem Nahen Osten hatten strengen Befehl, außerhalb der Kaserne nur in Zivil herumzulaufen und sich auf Befragen als einfache Studenten auszugeben. Als die Presseleute ankommen, marschieren ihnen gleich zwei Dutzend Nicas durchs Bild. Die Gebäude sehen aus wie jedes zweite Schulgebäude, das ein wenig Farbe vertragen könnte, dafür aber erstaunlich gewienert. Drei KFZ-Mechaniker versichern glaubhaft, die Kaserne sei nicht für den Pressebesuch geputzt worden, das sei bei der NVA immer so.

In den technischen Lehrräumen stehen Funkgeräte herum, in Hallen Geschütze, die - zwanzig Jahre alt - nie einen Schuß abgegeben haben. In den Räumen der Offiziersschulung gibt es Modelle von Kriegsschauplätzen mit kleinen Bäumen, Sträuchern und Bächen. Unter Journalisten beginnen angesichts der Harmlosigkeit des Objektes Debatten, ob hier wieder einmal ein Potemkinsches Dorf vorgeführt wird. Jemenitische Soldaten, die sich befragen lassen, geben den Presseleuten die Botschaft mit auf den Weg, sie hätten Sorge, jetzt nach Hause geschickt zu werden. Die Kaserne liegt weit ab, aus ihrem Zimmer blicken sie auf die Ostsee, an der Wand hängen drei jemenitische Märtyrer und zwei Pin -ups.

Seit April verhandelt das Verteidigungsministerium über die Auflösung der Ausbildungsverträge. Bis auf Ausnahmen, etwa Libyen, das die Kosten selbst trägt, und Vietnam, Laos und Kambodscha, wo die Militärausbildung aus Solidaritätsgeldern bezahlt wird, trägt dabei aber die NVA die Kosten, versichert Eppelmanns Pressesprecher Hempel. Rund 25.000 Mark im Jahr kostete die NVA ein Ausbildungsplatz, 279 Soldaten aus sieben Nationen waren zuletzt da, etwa die Hälfte Kubaner. Als Kuba - wie Nordkorea - seine Schützlinge zurückbeorderte, setzten sich 17 von ihnen ab. Sie sollen sich irgendwo in der Bundesrepublik versteckt halten. Auch von den zehn Kambodschanern sind fünf spurlos aus Prora verschwunden, sagt ein Ausbildungsoffizier schulterzuckend. Früher habe es bei den Palästinensern auch einmal „diese Problematik“ gegeben. Insgesamt 52 Al-Fatah-Leute sind in Prora seit 1984 ausgebildet worden. Auch im Sprengen? „Sprengausbildung gehört zur militärischen Ausbildung wie der Topf in die Küche“, sagt Generalleutnant Seefeldt fast beleidigt. Trotz hartnäckiger Nachfragen bleiben die militärischen Betreuer der NVA eisern: Die Palästinenser sind gerade nicht in Prora. Ihre Zimmer haben sie noch nicht geräumt, aber seitdem vergangene Woche ihre Ausbildung - sie waren noch im ersten Jahr Sprachausbildung - abgebrochen wurde, hätten sie „Ausgang“.

Abflug der Journalistentruppe, Besichtigung der Raketenschnellboote, deren Kauf vor einigen Wochen Schlagzeilen gemacht hat. Das erste Schiff, die „Saßnitz“, liegt da. Die Kamerateams filmen unbehelligt alles, was zu sehen ist: Alu-Bleche, Monitore, Schaltknöpfe. Herbert Gerstmann, Chef der Peene-Werft, ist da. Er möchte den Auftrag noch abwickeln und einige seiner Schiffe liefern, allerdings ohne die Spezialaufbauten für Radar und Raketen. „Zur Gewährleistung der Sicherheit der zivilen und militärischen Schiffahrt“ auf der Ostsee könnten sie eingesetzt werden. Daß Schnellboote des Küstenschutzes dafür billiger seien, mag auch der Werft-Chef nicht bestreiten.

Die Matrosen der „Saßnitz“ haben wie der Lehrkörper in Prora nur ein Thema: Ob es für sie nach dem 3. Oktober noch Verwendung gibt. Die Offiziersschule ist dabei, so wurde versichert, sich auf die neue Zeit einzustellen und verschiedene Umschulungskurse anzubieten: Textverarbeitung Handel, Englisch, Französisch, „Deutsch im Alltag“...

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