Der Mann aus Santa Marta

■ Undurchsichtiges Spiel Bremer Zollfahnder / Kolumbianer seit elf Monaten ohne Indizien im Knast

Der Bremer Zollbeamte H. ist ein „gewissenhafter Beamter“. So jedenfalls hat es sein Vorgesetzter N. am Freitag vor dem Landgericht ausgesagt und beeidet. In der Rauschgift -Abteilung der Bremer Zollfahndung ist H. für die Aktenführung zuständig. Als er im September vergangenen Jahres den Meldeschein eines Kolumbianers aus Santa Marta auf den Tisch bekam, da wußte er auch gleich, wohin der Zettel gehört: nämlich in die Akte „Unisierra“. Doch einen Zusammenhang zwischen dem peruanischen Schiff

„Unisierra“ und dem „Mann aus Santa Marta“ will H. im September 89 überhaupt nicht gesehen haben - sagte er jedenfalls vor dem Landgericht und beeidete es.

Die Aufklärung dieses Widerspruchs hätte durchaus praktische Folgen: Sie könnte zum Beispiel dazu führen, daß der Kolumbianer Marino T.-L., der bereits seit elf Monaten zwangsweise hinter Bremer Gittern lebt, unverzüglich freigelassen und für die Haft entschädigt werden müßte. Von dem Peruaner Daniel G.-N. wird er beschuldigt, Hintermann des

Schmuggels von zwei Kilo Kokain zu sein, bei dem G.-N. im September '89 im Bremer Freihafen auf frischer Tat ertappt wurde. Doch Indizien, geschweige denn Beweise dafür konnte die Staatsanwaltschaft bislang nicht präsentieren.

Britischer Zoll wünschte „Waidmannsheil“

Erst am Freitag, fast ein Jahr nach Festnahme der beiden Südamerikaner, kam nun ein möglicher Hintermann ins Spiel, für dessen Täterschaft weit mehr spricht, als nur die Zeugenaussage eines Kokainschmugglers. Sein Name, Carlos Bajares, stand in einem Telex, das dem Zollfahnder H. am 31. August 1989 auf den Tisch flatterte. Es gäbe Hinweise, daß das Schiff „Unisierra“, auf dem Bajares als Mechaniker arbeite, mit 132 Kilo Kokain in Richtung Bremen unterwegs sei, teilten die britischen Zollkollegen mit und beriefen sich auf weitere Informationen aus den USA, nach denen auch „Kolumbianer aus Santa Marta“ an dem Kokain-Schmuggel beteiligt seien. Die britischen Rauschgift-Hunde hatten zwar in der Kabine des Bajares Witterung aufgenommen, gefunden wurde bei der Durchsuchung jedoch nichts. Am Schluß des Telex wünschten die englischen Zollfahnder ihren Bremer Kollegen mehr Glück und „good hunting“ (Waidmannsheil).

Nach Ankunft im Bremer Freihafen stellte der Zoll die von der „Hapag Lloyd“ gecharterte „Unisierra“ tatsächlich unter „verstärkte Überwachung“. „Das bedeutet, daß die Zollbeamten ab zu zu mal dort vorbeifahren und nach dem Rechten sehen“, erklärte H. vor Gericht diesen Begriff. Beobachtet wurde jedoch nichts, und um den als möglichen Schmuggler von 132 Kilo Kokain avisierten Mechaniker Carlos Bajares kümmerten sich die Beamten überhaupt nicht.

Dafür verhörten sie aber am 17. September einen Mann namens Carlos Pajares, Mechaniker auf der „Unisierra“. Dessen Name stand nämlich auf einem Zettel, den der Peruaner Daniel G. -N. in der Tasche hatte, als er im Hafen mit zwei Kilo Kokain festgenommen worden war. „Ich bin aber nicht davon ausgegangen, daß dieser Carlos Pajares der gleiche war, wie der Carlos Bajares, den das britische Telex angekündigt hatte“, erklärte H. jetzt dem staunenden Gericht.

Einen Blick in seine Akte „Unisierra“ hätte er weder vor noch nach der Vernehmung des Carlos Pajares geworfen, beteuerte H., „die Unterlagen waren ja jedem von uns bekannt.“ Sogar bei einer anschließenden Konferenz zwischen den Zollfahndern sei niemand auf die Idee gekommen, Pajares und Bajares zusammenzubringen. Stattdessen wurde der von Daniel G.-N. beschuldigte Marino T.-L. im Hotel Flensburger Hof festgenommen. Wieso Zollfahnder H. dann allerdings den Meldeschein des „Mannes aus Santa Marta“, der beim

Portier des Flensburger Hofes mitgenommen wurde, ebenso in die Akte „Unisierra“ heftete wie alle anderen Dokumente, die später im Zusammenhang mit den Festnahmen von Daniel G.-N. und Marino T.-L. auftauchten, das konnte Zollfahnder H. dem Gericht genauso wenig erklären wie die Tatsache, daß er später aus der dicken Akte „Unisierra“ nur einen Teil an das Gericht weitergegeben hatte.

Wollten die Zollfahnder ihre eigene Schlamperei verbergen oder ließen sie Pajares alias Bajares wieder laufen, weil er einer von ihnen war, ein verdeckter Ermittler? Gegen die erste These spricht der Spürsinn, mit dem Zollfahnder H. den „Mann aus Santa Marta“ richtig zuordnete. Gegen die zweite These spricht der Eid seines Vorgesetzten: „Es war kein Informant oder verdeckter Ermittler eingesetzt.“

Die Wahrheit bleibt vorerst ungeklärt - und der Kolumbianer Marino T.-N. setzt seinen Bremen-Besuch vorerst weiter hinter Oslebshauser Gittern fort.

Dirk Asendorpf