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Ganz große Tragik

■ Diamanda Galas gastierte am Freitag im Hebbel-Theater

Diamanda Galas sprengt die Sprache, das Raster deskriptiver Intelligenz, reißt die Ordnung der Wendungen auseinander und verdichtet gleichzeitig ihren wesentlichen Gehalt, setzt sich dem unsagbar Anderen aus, beschwört das Leiden derer bis zur Dinghaftigkeit, die leben wollen und täglich alleingelassen sterben. Mag der Begriff „Seuchenmesse“ auch antiquiert oder schwulstig klingen, so trifft er den Vorgang dieses Abends doch genau.

Was zunächst auffiel, als sie, Diamanda Galas, nach einer der Diva gemäßen Wartezeit erschien, in Erscheinung trat, allein auf der Bühne, nur von einem einzigen Spot in ein düster glühendes Rot getaucht und mehr einem Schattenriß gleichend - was zunächst auffiel, das waren ihre Hände. Nahezu transparent leuchteten sie in den ersten Minuten aus dem Dunkel heraus. Wie ausgefahrene Antennen von Insekten spreizten und verknoteten sich ihre Finger, Medium einer Spannung zwischen dem Publikumsraum und dem geballt stehenden Körper - der die Stimme erhob. Jeder Muskel gefroren, das Blut durchgeschüttelt von künstlerischem Verlangen, starr vor konzentrierter Kraft stand ihr Leib, nur die Finger zuckten wirr, und es brach aus dem Mund: „There are no more Tickets to the Funeral.“

Nicht einfach die physische Präsenz der Galas, ihre Worte und Vortragskunst in Schrift zu fassen, diese „Beschwörung des Leidens und der Todesnähe, die sich gegen Verdrängung und Bigotterie stemmt, gegen die Bunkermentalität der Ausgrenzung des Kranken, Infizierten, Wahnsinnigen“, wie der Pressetext wohl richtig sagt und beschreibt. Und dennoch zerfallen die Buchstaben und Laute zu nichtssagendem Prunk, wenn du, in deinen Sessel gebannt, ausgesetzt bist einer einzigartigen Verdichtung und Variationsbreite stimmlichen Ausdrucks. Sätze, Satzfetzen werden im Sprechgesang wiederholt, moduliert, die Sprache zerbrochen, nur schneidender betonend die deutliche Anklage gegenüber jedem Versuch, sich in Rationalisierungen zu flüchten, sich der Wirklichkeit der Seuche Aids und ihrer ganzen Verheerung zu entziehen. Wenn niemals die anderen, die outcasts, die am Status quo zugrunde Gehenden, die Aids-Kranken, ohne Möglichkeit ihrem unpopulären Siechtum Gehör zu verschaffen, ein Organ gefunden haben, das die Weltgemeinschaft der Medienanhängsel konkret mit ihrem Sterben konfrontiert, dann in der Kunst von Diamanda Galas. „We will never rest in peace“ und „Remember me“.

Barbusig trägt sie die Maske des roten Todes. Obwohl sie sich kaum bewegt - gelegentlich schreitet sie gemessenen, stolzen Schrittes vom vorderen zum hinteren Rand der Bühne mischt sich die Farbe schon bald mit Schweiß, wird lebendig, schmiert und rinnt: „This is the Law of the Plague.“ Der Text bezieht sich auf Stellen aus dem 3. Buch Mose, Kapitel 15. Das liest sich in der Canstein-Bibel so: „Und der Herr redete mit Mose und sprach: Wenn ein Mann an seinem Glied einen Ausfluß hat, so ist er unrein. Jedes Lager, worauf er liegt und alles worauf er sitzt, wird unrein. Und wer sein Lager anrührt, der soll unrein sein bis zum Abend. Und wer sich hinsetzt, wo jener gesessen hat, der soll unrein sein bis zum Abend. Wer ihn anrührt, der sollunrein sein bis zum Abend.“ Und so weiter. Unclean, unclean, unclean - mit eisiger Kälte in der Stimme hebt die Galas dieses Stigma immer wieder hervor. Die Sprache, unsere Sprache, die Sprache des Gesetzes schreibt so autoritär und mythisch wie vor mehr als 2.000 Jahren den Umgang mit den Ausgestoßenen fest und vor. In der Galasschen Interpretation steht dieser Text in seiner Bestimmtheit das spricht klar, schnattert, trommelt in deinen Gehörgängen, vereist die Gehirnwindungen, täglich - dem Ihm -ohnmächtig-Ausgeliefertsein gegenüber. Stell dir vor, daß nette Menschen in alltäglicher Routine normal über dich verhandeln, Wissenschaftler, Spezialisten, Politiker sprechen dich mit der Macht der Vernunft unclean, unclean, unclean. Diamanda Galas kehrt vom hinteren Bühnenrand, wo sie das „Law of the Plague“ verkündete, zurück nach vorn, starrt kurz stumm und hebt an zu schreien, immer höher, wären deine Nerven aus Glas, würden sie zersplittern. Wahnsinn angesichts der Endgültigkeit im Alltäglichen.

Im Hintergrund laufen Bilder, Trommeln und tiefe Klänge von Synthisizer und Klavier, darüber das Sirren ätherischer Fetzen, brechend. Baut einen akustischen Dom, eine Kathedrale, in der diese Künstlerin eine Traditon von Katharsis - im besten Sinn des Wortes - pflegt. Keineswegs mythomanisch, doch dem physischen Schrecken eine Form verleihend, dem Grauen, das sich Macht verschafft, wenn du sterben sollst und es deine Umwelt einen Dreck kümmert, sie dich vielleicht gar schuldig, schuldig, schuldig spricht. „In that house there is no time für compassion“ (In dem Haus gibt es keine Zeit für Zuneigung), „only confession“ (nur Beichte/Geständnis). Drängend verlangt eine tiefe Stimme nach einem Geständnis, eine positive, bestätigend Antworte fordernd auf eine Frage, die nur nach Bestätigung von Moral verlangt: „Do you confess?“

Gelegentlich scheint es, als würde der schmächtige Leib der Galas von der schieren Kraft ihres Vortrags mitgerissen, hätte das ihrem tiefen Inneren entlockte Stöhnen und Stammeln, das kehlige Gekreisch, das entnervende Gekeife ein physisches Eigenleben, das die Muskeln zwingt zu folgen. Da sind Häme und Spott in der Stimme, auch revolutionäres Pathos, wenn sie im späteren zweiten Teil ihrer Seuchenmesse an ein Rednerpult tritt und den Teufel als homophob und impotent entlarvt. Sie singt Gospels, Rythmen zerlegend, mit vollem Gesangsvolumen und dem Gefühl für den Blues. Wechselt ständig zwischen der Stimme der Gesellschaft/ des Gesetzes, die sie wie das wirkliche Sperrfeuer täglicher Phrasenberieselung mechamisch klingen läßt, und den hilflosen Artikulationsversuchen einer außerhalb des Codes Existierenden. Bewegt sich mühelos über mehrere Oktaven hinweg, nagt und zerrt an deinen bloßem Nervenenden. Schwingt sich und das Publikum auf zu heroischem Klang, zu heroischer Geste, um anschließend um so meckernder zu lachen, das Stück in die Ambivalenz eines grotesken Totentanzes zu überführen: „You must be certain of the devil“ -, der swingt und bopt und groovt, „welcome to the holy day“. Ausdruck der gesunden Selbstzufriedenheit derer, die moralistisch-fatalistisch im Vorübergehen ihre pastellfarbenen Absätze in die schwärenden, stickenden Wunden der „Unreinen“ bohren.

R. Stoert

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