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Schwedens Polizeispitze auf der Anklagebank

■ Prozeß um illegale Abhöraktionen nach dem Palme-Mord / Pannen und Heimlichkeiten schon bei Prozeßvorbereitung / Prominente MitwisserInnen im Parlament sollen geschont werden / Der angeklagte Geheimdienst darf selbst die Richter auswählen / Presse schon vor Prozeßbeginn: Justizparodie

Aus Stockholm Reinhard Wolff

Daß gleich sechs der obersten Chefs von Polizei und Geheimdienst auf einer Anklagebank sitzen, ist auch in Schweden eine Premiere. Am 3.September beginnt vor dem Stockholmer Amtsgericht ein Prozeß gegen diese sechs Herren wegen des Verdachts illegaler Abhöraktionen. Wanzen und Richtmikrofone sollen in ihrem Auftrag, mit ihrem Einverständnis oder zumindest ihrem Wissen installiert worden sein, obwohl dies nach keinem Gesetz zulässig war.

Wie so vieles in Schwedens Skandalchronologie, beginnt auch die Geschichte dieses Prozesses am Abend des 28. Februar 1986 an einer Straßenkreuzung in Stockholms City. Knapp eine Woche nach den tödlichen Schüssen auf Ministerpräsident Olof Palme gibt Hans Holmer, der Leiter der polizeilichen Ermittlungsgruppe, den Befehl, mindestens sieben Privatwohnungen und ein Geschäftslokal zu verwanzen. Für ihn ist die Gruppe der Hauptverdächtigen schnell klar: Mitglieder der als terroristisch eingestuften kurdischen Befreiungsbewegung PKK.

Der Geheimdienst SÄPO wird damit beauftragt, Wanzen in Wohnungen von KurdInnen zu installieren, die der Mitgliedschaft oder auch nur der Sympathie zur PKK verdächtig sind. Daneben wird auch die Wohnung eines Flüchtlingsehepaares aus Palästina verwanzt. Monatelang laufen in der SÄPO-Zentrale und in extra für diesen Zweck angemieteten Wohnungen die Bänder mit. Die letzte der bekanntgewordenen Abhöraktionen endet im Sommer 1987, mehr als ein Jahr nach den Schüssen auf Palme. Eine Schar von als „zuverlässig“ ausgewählten DolmetscherInnen übersetzt jedes Wort, was in den sieben Wohnungen und in dem Ladengeschäft fällt. Das Ergebnis ist bekannt: Die „PKK-Spur“ erwies sich als fixe Idee des Fahndungschefs Holmer, ohne Verbindung zu dem Attentat.

Abhöraktionen zum Zwecke der Überführung von Tatverdächtigen sind in Schweden nicht zulässig. Noch nicht. Um seiner Wanzenaktion auch nur ein löchriges Mäntelchen der Legalität umzuhängen, mußte Holmer einen draufsetzen: Die Sicherheit des Landes sei in Gefahr, denn die PKK plane weitere Attentate gegen führende Persönlichkeiten. Auch wenn er nie Belege für diese Vermutung brachte, fand der Fahndungschef Mithelfer in der polizeilichen Führungsriege. Sie, nicht die einfachen Beamten, die die Wanzen installierten, sitzen jetzt neben ihm auf der Anklagebank: Der ehemalige SÄPO-Chef Per-Göran Näss, jetzt Polizeichef von Uppsala, laut Anklage von Holmer angestiftet, soll grünes Licht für alle Abhöraktionen gegeben haben. Der Mithilfe angeklagt sind die nunmehr in führenden Polizeipositionen aufgestiegenen früheren SÄPO -Abteilungschefs Sture Höglund und Christer Ekberg: Sie hatten das Personal für die Aktionen abgeordnet. Weil sie den Gesetzesbruch trotz Kenntnis nicht verhindert haben, sitzen Golger Romander - damaliger Reichspolizeichef - und Sven-Ake Hjälmroth - damaliger SÄPO-Chef, jetzt Stockholms Oberpolizist - auf der Anklagebank.

Auf der Anklagebank fehlen jedoch diejenigen, die in erster Linie hätten angeklagt werden müssen. Die PolitikerInnen, die über die Lauschaktionen informiert wurden und wenn schon nicht offiziell grünes Licht gaben, so doch zumindest beide Augen zugedrückt haben müssen. Der Justizminister habe ihm freie Fahrt signalisiert, behauptet SÄPO-Chef P.G. Näss doch dieser will sich an nichts erinnern.

Vieles deutet darauf hin, daß die Frage des PolitikerInnenmitwissens genauso ungeklärt sein soll, wenn der Prozeß Ende November zu Ende gehen wird. Schon gleich nach Vorliegen der 4.000 Seiten umfassenden Anklageschrift wurden ganz erstaunliche Aktivitäten entfaltet, das Gerichtsverfahren nicht, oder zumindest nicht so, wie jetzt geplant, über die Bühne gehen zu lassen. Das begann mit dem Gedanken der Begnadigung aller Angeklagten noch vor Prozeßbeginn und endete - vorläufig - mit einem eigens in der Regierungskanzlei geschmiedeten Gesetzentwurf, der das Verfahren aus dem Feuer hätte reißen können.

Doch der Reihe nach: „Ich nehme die volle Verantwortung für die Lauschaktion auf mich. Ich gehe davon aus, daß es meine Pflicht war, mit aller Kraft die Ermittlungen voranzutreiben und neue Attentate zu verhindern.“ Wer sich hier so ungeniert selbst und allein belastet ist Hans Holmer in einem Brief an die Regierung im April dieses Jahres. Die Anklage war angesichts der Öffentlichkeit des Gesetzesverstoßes nicht zu vermeiden, der Beginnn des Prozesses war vom Gericht festgelegt auf den 9.Mai. Der Leiter der polizeilichen Ermittlungstruppe nimmt nicht nur alle Schuld auf sich, er appelliert auch an die Regierung, den ganzen Prozeß zu verhindern: „Weitere Öffentlichkeit könnte auf eine gefährliche und ernste Weise die Sicherheit des Reiches gefährden.“ Seit längerem macht man sich in der Administration bereits Gedanken darüber, wie das Verfahren zu stoppen ist. Offizieller Grund: Würden die Arbeitsmethoden des Geheimdienstes SÄPO öffentlich, könnte eine feindliche Macht, könnten Verbrecher und Terroristen daraus Nutzen ziehen. Teile des Verfahrens als „nicht öffentlich“ zu deklarieren, reiche nicht, da zumindest die Geschädigten, also die abgehörten Kurden, das Recht hätten, ständig abwesend zu sein.

Begnadigung

vor Prozeßbeginn?

Der Gedanke, die Angeklagten noch vor Prozeßbeginn zu begnadigen, wird geboren. Es geschieht etwas, das in der wenig konfliktfreudigen schwedischen Presselandschaft - vom Fernsehen ganz zu schweigen - zu den Seltenheiten gehört: Ein Sturm der Entrüstung in den Medien und ein Einschwenken der parlamentarischen Opposition auf diese Linie machen einen solchen Schachzug politisch unmöglich. Vorerst, muß wohl vorsichtshalber hinzugefügt werden.

Der nächste Schritt aus der Regierungskanzlei ist die Vorlage eines Gesetzentwurfs, wonach das Strafprozeßrecht so geändert werden soll, daß auch Geschädigte auf Dauer vom Ausschluß der Öffentlichkeit umfaßt werden können. Eine solche Gesetzesänderung käme allerdings zu spät, würde der Prozeß wie vorgesehen beginnen. Dreimal darf die LeserIn raten, was geschieht: Das Stockholmer Amtsgericht beschließt im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit, den Beginn des Verfahrens vom 9.Mai auf den 3.September zu verschieben. Den Beteiligten bliebe sonst nicht genug Zeit für die Prozeßvorbereitung.

Opportune Verschiebung

des Gerichtstermins

Die Regierung gewinnt dafür die Zeit, um eine Gesetzesänderung im Eiltempo noch vor der Sommerpause durchs Parlament zu jagen. Der „Ausnahmeparagraph“ wird auf den Weg geschickt. Da, wo die beratenden Gremien sonst monatelang Zeit für eine Stellungnahme haben, werden ihnen jetzt genau drei Tage eingeräumt. Doch die Regierung hat wieder kein Glück: Gleich vier hochkarätige Institutionen, der Justizombudsmann, der Oberste Gerichtshof, der Anwaltsverband und der Gesetzesrat - eine Art verfassungsrechtliche Kontrollinstanz der Regierung selbst sagen „nein“! Sie kritisieren sowohl das Ausnahmegesetz selbst, da es gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoße, als auch das Verfahren: ein Gesetz für ein schon anhängiges Gerichtsverfahren maßzuschneidern. Ein weiterer Rückzieher steht an - aber erst, als klar ist, daß auch im Parlament keine Mehrheit für die Gesetzesänderung zu holen ist...

...der Versuch einer Begnadigung, ein Ausnahmeparagraph. Die denkwürdige Tatsache, daß oberste Sicherheitschefs, denen schwere Gesetzesverstöße vorgeworfen werden, nicht etwa vom Dienst suspendiert, sondern im Gegenteil noch nach oben befördert werden. Ein Gericht, das den Prozeßbeginn „passend“ verschiebt und auch noch in seiner Zusammensetzung von der Angeklagtenseite her ausgewählt werden kann. Alle Schöffen dieses Verfahrens werden durch den Geheimdienst SÄPO einer „Sicherheitsüberprüfung“ unterzogen. Signalisiert die SÄPO „negativ“ fällt der/die Betreffende ohne Möglichkeit der Nachprüfbarkeit durch das Sieb. Die Schöffen also handverlesen durch die gleiche SÄPO, die in Gestalt ihrer Chefs auf der Anklagebank sitzt?

„Was sollen wir denn nicht wissen? Daß verbotene Abhörmethoden ganz selbstverständlich waren? Daß Gerichte ohne ein Zipfelchen von Courage zu allem Ja und Amen sagen, was die SÄPO will? Daß die SÄPO engste Beziehungen zu Geheimdiensten vom Schlage der CIA pflegt, daß sie mit Mitteln und Quellen arbeitet, die nicht offen vorgeführt werden können“, rätselt der schwedische Journalist Ahlqvist. Sollte dies wirklich alles sein, was mit den fieberhaften Aktivitäten der letzten Monate verborgen werden sollte, so wäre das kaum nachvollziehbar.

Auch die beispielhaft erwiesene Unfähigkeit der SÄPO kann nicht der Grund dafür sein, daß nun ein Geisterprozeß über die Bühne gehen wird.

Ausschluß der

Öffentlichkeit?

Denn - vorläufig - letztes Kapitel der Vorgeschichte dieser Gerichtsverhandlung: Der Staatsanwaltschaft kommt gut zwei Wochen vor Prozeßbeginn die Einsicht, daß es besser wäre, zu etwa 98 Prozent bei dem bevorstehenden Verfahren die Öffentlichkeit auszuschließen. Mindestens 46 der 51 ZeugInnen sollen hinter verschlossenen Türen auftreten, 41 von ihnen sollen gänzlich anonym sein. Eine beispiellose Ausnahme von dem seit 1806 in Schweden geltenden Öffentlichkeitsprinzip. Der Gerichtsvorsitzende stimmt dieser Vorgehensweise zu.

„Es sieht so aus, als ob nicht alles ans Licht kommen soll“, sagt Torleif Bylund, Professor für Prozeßrecht an der Universität Uppsala. Noch deutlicher der Schriftsteller und Journalist Jan Guillou: „Es geht nicht nur um diesen Prozeß, sondern um das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des schwedischen Rechtsstaats überhaupt.“

Um dieses Vertrauen sieht es, übernimmt man Guillous Maßstab, irgendwo im Grenzbereich zwischen ganz schlecht bis hoffnungslos aus.

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