: Kulturgeschichte im Videoformat
■ Peter Kriegs Triologie „Vaters Land“, „Die Seele des Geldes“ und „Maschinenträume“ als Videokompaktpaket: Eine Sammlung, die zu erklärungswütig ist
Von Michaela Lechner
Ein kleines süßes Mädchen tapst durch Deutschland. Peter Krieg zeigt seiner Tochter die Republik. Der Regisseur geht auf Spurensicherung und versucht, die eigene Identität zu finden - als Vater, als Sohn eines Vaters und eines Vaterlandes. Vater und Land, ein Wortfeld wird bebildert: Am Vater Rhein steht die Germania, Ex-Landesvater Filbinger doziert über das Land der Väter, Gottvater in der Kapelle bestraft den Sohn, Soldaten verteidigen das Vaterland. Über allem schwebt diffus die Vaterordnung. Musik von Vivaldi sorgt für gedämpften Optimismus.
1986 erntete Peter Krieg mit seinem Film Vaters Land Kritikerlob und gleichzeitig Prügel von „Filmminister“ Friedrich Zimmermann. Der vermißte seinerzeit in dem fertiggestellten Werk den rechten vaterländischen Geist und wollte Krieg die Auszahlung der bewilligten Fördergelder im nachhinein verweigern. Das ist lange her, der folgende Rechtsstreit endete mit einem „Sieg“ für Krieg. Jetzt hat der Zweitausendeinsverlag Vaters Land, sowie die zwei folgenden Krieg-Filme aus seiner Mythen-der-Moderne -Triologie als Videokassetten-Editon herausgebracht.
Eigentlich eine gute Idee. Denn solche Filme verschwinden im Kino zu schnell vom Spielplan. Peter Kriegs Werk als handliche Kompaktkassette (drei Videos mit Beiheften: 9,9*19*10,5cm), paßt perfekt ins Bücherregal. 299 Minuten zum Ansehen und Nachsehen. Wie in einem Geschichtsbuch oder Lexikon. Mythen der Moderne versucht, die Darstellung und Reflektion kollektiver wie individueller Geschichte anders zu betreiben: dokumentarisch-essayistisch, als audiovisueller Fundus zu den Themen Vaterland, Maschinenträume und Geld. Keine „klassische“ Dokumentation, nicht „objektiv“ beoachtend sollte aufgezeichnet werden, so die Beihefte. Geplant war eine veränderte Seh- und Sichtweise unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: assoziativ, vernetzend, zyklisch, offen.
In einer alten Fabrikhalle liegt ein Mann in einem Metallbett. Er ist an Videomonitoren durch Kabel angeschlossen und träumt. Seine Träume verdichten sich zu Filmbildern: zwei töpfernde Hände, Stiche von Hirnoperationen, Menschen auf Rolltreppen, Roboter an Fließbändern; die ersten Automatenmenschen sind aus Holz und schreiben „cogito ergo sum“, zweihundert Jahre später fertigt ein japanischer Pygmalion eine lebensechte Marylin -Monroe-Puppe. Zwischendrin wird bei der US Army, in einem Kloster und im Gefängnis aufgedeckt, wie aus Menschen Maschinen werden. Autoritäten theoretisieren über Schöpfung, Evolution, Psychologie, Kybernetik, Chaos und künstliche Intelligenz. Eine Sprecherstimme verbindet Bild und Ton, indem sie illustriert und kommentiert. Experimentelle Musik sorgt gelegentlich für Endzeitstimmung.
Geld hat etwas mit „Opfer“ zu tun, nicht nur im Altgermanischen. Am Anfang des 20.Jahrhunderts kommen Über -Ichs dazu und Triebökonomien, bald geht es um die Verschuldung der Dritten Welt, Rohstoffkartelle, den Dollarkurs und Aktienmärkte. Ab und an erläutern Experten wie der Psychohistoriker De-Mause den Zusammenhang von Geld und Psyche und beschreiben, wie (unsere) Ökonomie von gruppenpsychologischen Prozessen bestimmt wird. Manchmal bezeugt Ex-Banker Bethmann die Richtigkeit von Bild und Ton. Peter Kriegs Seele des Geldes zeigt „ein wenig mehr, als wir von uns wissen können“, verheißt der Umschlag der Videokassette. Dieser Film zeigt, genau wie die beiden anderen der Trilogie, mehr, als sich beim Sehen und Zuhören auffassen läßt. Die verbale Informationsdichte und das Bemühen, das Komplexe auch wirklich komplex zu beleuchten, wirkt streckenweise überaus didaktisch, zumal die in allen Filmen präsente Theorie der Psychohistorie bereitwillig gesellschaftliche Prozesse erklärt, und es zu jeder Kassette ein handliches Beiheft gibt, das nochmals ausführlich und mit Fußnoten aufarbeitet. Gegen die Dominanz der Worte vermögen sich die Bilder kaum zu wehren. Allzu oft sind sie bloße Illustration. Die Montage von Bildern und Tönen bleibt auf vielen Bandmetern konventionell. Die armen bolivianischen Bauern und die Börsenmakler der Wall Street, die tapferen Blockierer von Mutlangen und Filbinger, der Unbelehrbare - Gegensätze durchbrechen immer wieder die assoziative Kette und verkrusten zu eindeutigen Feindbildern.
Eigentlich eine gute Idee - eine Art audiovisuelles Lexikon oder Geschichtsbuch, ein Fundus von Assoziationen zu verschiedenen Themen. Peter Kriegs Sammlung ist jedoch bereits so umfangreich, daß beim Betrachten Raum und Lust fehlen, eigene Bilder und Worte zu entdecken. Gerade die Allgegenwart erklärwütiger Autoritäten und ihrer Theorien scheibt dem kreativen Weiterdenken häufig einen Riegel vor. Mythen der Moderne - ein Kompaktpaket, vielleicht etwas zu kompakt.
Mythen der Moderne:
Teil I „Vaters Land“ (1986, 80 Min.)
Teil II „Die Seele des Geldes“ (1987, 135 Min.)
Teil III „Maschinenträume“ (1988, 84 Min.)
Buch, Regie, Kamera, Schnitt: Peter Krieg
Alle Filme in Farbe. Stück 29 D-Mark, als Paket 79 D-Mark bei Zweitausendeins.
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