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Neue Blocklogik?

■ betr.: LeserInnendiskussion zum Golfkonflikt

betr.: LeserInnendiskussion zum Golfkonflikt

So sympathisch die einfachen Wahrheiten von gestern in einer Welt ohne Ost-West-Konflikt zunächst sind, die Antimilitarismusargumente von gestern allein reichen nicht, um die Ablehnung einer Beteiligung der BRD an militärischen Operationen in der Golfregion überzeugend zu begründen.

Denn es bleibt die Frage unbeantwortet, ob nicht ein tatenloses Zusehen der internationalen Staatengemeinschaft bei dem Überfall und der anschließenden Annexion eines Mitgliedes der Staatengemeinschaft unverantwortlich ist.

Das Argument jedenfalls, daß doch schon an so vielen anderen Orten zugesehen wurde, ist reichlich absurd und eine unerträgliche Verhöhnung der Opfer dieser Tragödie: Unrecht wird eben durch seine Häufung nicht im Einzelfall erträglicher! Und wäre es nicht ausgerechnet Israel, das schon viele Jahre dem palästinensischen Volk durch die Annexion seines Territoriums das Selbstbestimmungsrecht völkerrechtswidrig verweigert - mancheR BeobachterIn aus deutschen Landen hätte sich mit den Forderungen nach Boykottmaßnahmen gegen diesen Aggressor wohl leichter getan. Das Beispiel gab der Diktator auch, fürwahr, und er tat es aus geschickter Strategie heraus, um zum arabischen Führer zu wachsen.

Nichtsdestotrotz ist die Forderung nach einem Rückzug der Israelis aus den besetzten Gebieten dort nach wie vor und eben auch jetzt noch berechtigt! Und dies gilt eben für die Kurden, und es gilt für - Kuwait! Und eine entschlossene Reaktion der Staatengemeinschaft ist natürlich gerade unmittelbar nach der Annexion gefragt - doch mit der Seeblockade sind die Nordstaaten unter der Führung der USA schon zu weit gegangen:

Hätte sich ihr Beitrag in Saudi-Arabien auf die Optimierung der saudischen Verteidigungsfähigkeit unter saudischem Oberbefehl beschränkt statt durch offensiv ausgerichtete Truppenstationierung unter der US-Flagge auf „heiligem“ Boden sich die Option eines Angriffskrieges gegen einen arabischen Staat zu eröffnen - würde sich der reiche Norden jeglicher militärischen Aktion auch zur See enthalten - auch gegen Sanktionsbrecher - und sich auf die Beobachtung solcher Schiffe beschränken, um mit guter Aussicht auf Erfolg die Ausweitung der Sanktionen gegen solche Staaten in der UNO zu fordern, die den ökonomischen Boykott des Irak unterlaufen - dann würde nicht der fatale Eindruck entstehen, daß auch dieser Konflikt den USA und ihren „PartnerInnen“ nur als Vorwand dient, die ganze Welt zum Vorhof ihrer Interessen und damit zur Verfügungsmasse der Nato zu erklären.

Es ist ja auch zu verlockend, von der ökonomischen und ökologischen Katastrophe ablenken zu können, vor deren Folgen lange genug gewarnt wird. Außerdem freut sich der militärisch-industrielle Komplex, der ja nicht seit der Überwindung des Ost-West-Konflikts aufgehört hat zu existieren, darauf, daß die Waffen, die Nord-Ost und Nord -West einträchtig in den Süden liefern, nun endlich Umsatz schießen können.

Durch militärische Vergeltung wird das Regime nach innen stabilisert, daß zu schwächen Bush vorgibt, Hussein wird zum Shooting-Star der verarmten Teile der arabischen Welt, welche Glanzleistung amerikanischer Außenpolitik. (...) Neue Feindbilder also im Süden und Norden, die die Kinder schon früh lernen sollen; in den Hinterhöfen spielen die Kleinen Krieg wie eh und je, nur mit einer Neuverteilung der bösen Fratzen: Der Outsider mit der dunklen Hautfarbe hier als der „Irre von Bagdad“, die Mischlingstochter in Amman als „Yankee-Hure“, die programmierte Feindschaft der nächsten 40 Jahre?

Natürlich ist das irakische Regime ein rassistisches Terrorregime, an dessen Beseitigung jedeR MenschenfreundIn Interesse hat. Aber dazu brauchen wir den langen Atem der Unterstützung kurdischer und anderer oppositioneller Gruppen im Irak. Dazu brauchen wir das konsequente Embargo und seine Erleichterung durch massive Wirtschaftshilfe an Staaten, die vom Embargo selbst massiv betroffen sind. Dies ist unsere Großmachtkontrolle im Konflikt, nicht der geschichtsblinde Schlachtruf: „Germans to the front“.

Wenn wir die historische Blödheit besitzen, uns an militärischen Angriffsoperationen gegen den Irak zu beteiligen, die tatsächlich zum finalen Aufstand der armen arabischen Staaten unter der Führung eines intelligenten, schlag-kräftigen Diktators gegen den reichen Norden führen, dann zementieren wir die Welt in neue Blocklogik, dann versagen wir angesichts der Aufgabe, weltweit die Rettung unserer natürlichen Lebensgrundlagen durch solidarisches Umdenken in einer sozialverträglichen Weltwirtschaftsordnung anzugehen, auf tragische Weise. Die Zeche dafür werden wir jedenfalls mit Blut und Tränen nicht nur in weiter Ferne bezahlen.

Andreas Neunert (Bundestagskandidat für die Grünen, München -Mitte (BRD)

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