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Die Blutspur der „Republik Liberia“

■ Die Hintergründe des Bürgerkrieges in Liberia reichen weit in die Geschichte Afrikas zurück / Der Versuch, Völker mit unterschiedlichster Vergangenheit gemeinsam zu unterdrücken, ist gescheitert

Von Dominic Johnson

Der Krieg in Liberia, der Ende Dezember 1989 begann und bisher an die 10.000 Opfer forderte, hat eine lange Vorgeschichte. Die Interessengegensätze, die jetzt so unversöhnlich aufeinanderprallen, reichen weit in vergangene Jahrhunderte zurück.

Durch die Geschichte der Republik Liberia spannt sich wie ein roter Faden das Schicksal des Krahn-Volkes. Es gehört zur Gruppe der Kru, die seit jeher an der westafrikanischen Küste beheimatet ist und zwischen Dakar und Duala mit den Völkern des Inlands Handel treibt. Als im 15. Jahrhundert die ersten Europäer - Portugiesen - die Küste Westafrikas bereisten, arrangierten sich die Kru schnell mit ihnen, und auch die nachfolgenden Händler kauften den Kru und anderen Küstenvölkern Gold, afrikanische Güter und auch Sklaven ab. Während die „Goldküste“, die „Elfenbeinküste“ und die „Sklavenküste“ bald auch von Europäern besiedelt und politisch beherrscht wurden, hatten die Kru mehr Glück: Die sumpfigen Tropenküsten in ihrer Heimat, dem heutigen Liberia, lockten keine Kolonisatoren an.

Im frühen 19.Jahrhundert jedoch ließen sich fremde Afrikaner an der Küste nieder. Es waren freigelassene Sklaven, die man in Amerika nicht mehr brauchte und die nun nach Afrika zurückgeschickt werden sollten. Die ersten Schiffe mit Ex-Sklaven landeten am Kap Mesurado im Jahre 1822. Hier gründeten sie, nachdem sie die Einheimischen vertrieben hatten, zu Ehren des US-Präsidenten Monroe die Stadt Monrovia. An einem Strand 300 Kilometer weiter südöstlich - im Siedlungsgebiet der Kru - entstand die Kolonie Greenville. 1837 vereinten sich die verschiedenen US -Kolonien zum „Commonwealth Liberia“, das zehn Jahre später zur Republik wurde und die Herrschaft über mehr als 100.000 Quadratkilometer Regenwald mitsamt seinen Bewohnern beanspruchte. Um ihre Macht abzusichern, versuchten die Afro -Amerikaner, die Häfen der eingeborenen Völker zu schließen. Die Kru wiedersetzten sich diesem Bestreben; es kam zum Krieg.

Der Konflikt zwischen Afro-Amerikanern und Kru endete erst 1980 - mit dem Sieg des krahnstämmigen Samuel Doe, welcher die ungeliebten Kolonisatoren durch einen Militärputsch von der Macht vertrieb, die sie 133 Jahre lang besessen hatten. Immer wieder kam es zu Aufständen der Krahn. Die liberianische Regierung äscherte ganze Städte ein und deportierte zeitweilig Angehörige des Krahn-Volkes auf die spanische Kolonie Fernando Poo. Die Schreckensherrschaft des Samuel Doe, welche jetzt zum allgemeinen Gemetzel verkommen ist, war eine Fortsetzung dieses mittlerweile 150jährigen Krieges - allerdings unter umgekehrten Vorzeichen.

Mit Doe errang in Liberia das alte, kampferprobte Händlervolk die Macht. Es arrangierte sich um des Überlebens willen mit der afro-amerikanischen Elite, und Liberia blieb auch unter Does Herrschaft ein Klientelstaat der USA. Wer zur herrschenden Elite gehören wollte, ging auf eine US -amerikanische Universität, lebte ein US-amerikanisches Leben, trug Zylinder, Frack und Abendkleid und organisierte sich in Freimaurerlogen. Sinnbild dieses Verhältnisses zur USA ist die liberianische Handelsflotte, ein seit 1949 zusammengewürfeltes Billigflaggenimperium mit der größten Tonnage der Welt, das von New York aus verwaltet wird und mit Westafrika genauso wenig zu tun hat wie Liberias Landeswährung, der US-Dollar.

Doe versuchte, mittels der Herrschaft eines einzigen Volkes - der Krahn - das Unternehmen „Republik Liberia“ fortzuführen. Diejenigen Mitstreiter Does, die anderen Völkern angehörten, verließen bald die Regierung oder wurden hinausgedrängt. Zu ihnen gehörte Thomas Quiwonkpa, der aus dem nordöstlichen Nimba County stammte, wo die Völker der Gio und Mano leben. Er versuchte 1985, Doe militärisch zu stürzen und scheiterte. Sein Leichnam wurde in Monrovia zur Schau gestellt, die Doe-treue Armee ging auf Rachefeldzug in Nimba. 3.000 Menschen kamen dabei um.

Dem jetzigen Guerillaführer Charles Taylor, der einst Doe unterstützte und sich in direkter Nachfolge des ermordeten Thomas Quiwonkpa begreift, fiel es deshalb leicht, die gedemütigten Gio und Mano aus Nimba County als Basis für seinen Kampf gegen Doe zu benutzen. Sie bilden heute das Rückgrat seiner „National Patriotic Front“. Mit ihrem Eintritt in den liberianischen Krieg kompliziert sich die Konfliktlage ganz erheblich. Die Gio, auch Dan genannt, sind ein innerafrikanisches Bauernvolk, das in der Vergangenheit immer wieder um seine Selbständigkeit kämpfen mußte. Von den Afro-Amerikanern und ihrer „Republik Liberia“ wurden sie zur Zwangsarbeit in den Minen und Plantagen von Bong County eingesetzt. Vor der Zeit Liberias, und auch heute noch in den Nachbarländern, wurden sie vom Volk der Mandingo dominiert und mußten auf deren Feldern arbeiten - früher als Sklaven, jetzt als Lohnarbeiter. Die Mandingo sind Nachkommen desjenigen Volkes, das zwischen dem siebten und dem 15. Jahrhundert das legendäre Königreich Mali errichtete und danach den Handel zwischen den verschiedenen Königreichen der westafrikanischen Savannen organisierte. Bis heute halten sie sich als islamisches Landhändlervolk, gewissermaßen als Pendant zu den Seehändlern der Kru.

Da NPF-Führer Taylor selbst zur Hälfte von Afro-Amerikanern abstammt, ist sein Ziel, Doe zu stürzen, mit dem Traum verknüpft, die Republik Liberia auf ein neues Fundament zu stellen. Den von ihm rekrutierten Gio und Mano dagegen geht es eher um Begleichung alter Rechnungen mit den Unterdrückern der Vergangenheit, den Mandingo, und der Gegenwart, den Krahn. Diese unterschiedlichen Motivationen werden am Beispiel des giostämmigen Prince Johnson deutlich, der sich durch Mord- und Raubzüge durch Bong County im Frühjahr einen Namen machte. Wegen seiner rein ethnisch begründeten Kriegsführung schloß ihn Taylor aus der NPF aus; nun steht er an der Schwelle zur Macht, nachdem er Doe und Taylor, gegeneinander ausgespielt und die Staaten Westafrikas zur Intervention ermuntert hat.

Im gegenwärtigen Bürgerkrieg verläuft die Frontlinie also nicht einfach zwischen Doe und denen, die er unterdrückte, sondern zwischen den Völkern aus Nimba - Gio und Mano - auf der einen Seite und den Gegnern Krahn und Mandingo auf der anderen. Darüberhinaus ist es eine Frontlinie, die Bauern und Handelsvölker teilt. Die beiden Seiten kämpfen auch deswegen so unversöhnlich, weil der gemeinsame Nenner einer „Republik Liberia“ immer mehr in den Hintergrund gerät. Die afro-amerikanische Elite, die nie mehr als einige zehntausend Menschen umfaßte - früher redete man von den 300 Familien, aus denen sie sich zusammensetzte - hat sich längst abgesetzt. Wer nach Does Putsch nicht schon in die USA ging, verschwindet nun unter dem Eindruck der mörderischen Massaker. Und Doe wie auch Taylor und Johnson setzen auf die ihnen ergebenen Völker. Die jetzt erfolgte Intervention durch eine westafrikanische Friedenstruppe, einmalig in der Geschichte des postkolonialen Afrikas, besiegelt denn auch das Verschwinden der „Republik Liberia“ als lebensfähige politische Einheit.

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