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Verfassungsschutz geht nach Osten

■ Ab 4. Oktober wird das West-Berliner Landesamt für Verfassungsschutz als erste westdeutsche Geheimdienstbehörde auf ehemaligem DDR-Gebiet operieren / Alternative Liste ist gegen eine Ausdehnung nach Osten

Berlin (taz) - Berlins Vorreiterrolle im Vereinigungsprozeß soll sich auch im Bereich der Geheimdienste bestätigen. Nach Informationen der taz aus dem West-Berliner Landesamt für Verfassungsschutz bereitet man sich dort darauf vor, ab dem Tag X, der mittlerweile mit dem Beitrittstermin feststeht, seine Tätigkeit auch auf das Gebiet Ost-Berlins auszudehnen. Der Sitz des Landesamtes soll allerdings zunächst in der West-Berliner Clay-Allee bleiben, ehemalige Stasi-Liegenschaften will man auf keinen Fall in Anspruch nehmen.

Der Sprecher des Berliner Innensenats, Thronicker, bestätigte, daß nach Auffassung des Senats mit dem Tag des Beitritts die Zuständigkeit des West-Berliner Landesamtes im Prinzip für das gesamte Gebiet Berlins gegeben sei. „Es gibt ja nur ein Landesamt, das (da der ehemalige Staatssicherheitsdienst der DDR ja abgeschafft wurde) dann selbstverständlich zuständig ist.“

Trotzdem verwies Innensenatssprecher Thronicker darauf, daß Senator Pätzold der Ausdehnung des West-Berliner Verfassungsschutzes keine Priorität einräumt.

Das sei sicher nicht das wichtigste, was die ehemalige DDR nötig habe. Welche praktischen Folgerungen sich aus der Übernahme des Grundgesetzes durch die DDR für den Verfassungsschutz tatsächlich ergeben, will Pätzold mit den zuständigen Stellen erst „gründlich klären lassen“.

Im West-Berliner Landesamt selbst geht man allerdings davon aus, daß die Vergrößerung ihres Zuständigkeitsbereichs klar ist und dazu führt, bereits beschlossene Stellenstreichungen wieder rückgängig zu machen.

„Nach einem Beschluß des Westberliner Abgeordnetenhauses vom März des Jahres sollen im Haushalt für das kommende Jahr 20 Stellen gestrichen und 20 weitere gesperrt werden. Entgegen den Wünschen aus dem Verfassungschutz wollte Thronicker von der Aufhebung dieses Beschlusses allerdings nichts wissen. „Ich gehe davon aus, daß es so bleibt wie beschlossen.“

Die innenpolitische Sprecherin der Alternative Liste, als kleinerer Koalitionspartner zumindestens mittelbar mitverantwortlich, wandte sich entschieden gehen die Ausdehnung des Geheimdienstes nach Osten. „Nach den Erfahrungen der DDR-Bürger mit der Stasi ist der bundesdeutsche Verfasungsschutz wirklich das letzte, was nun in Ost-Berlin gebraucht wird.“ Auch die Zunahme rechtsextremistischer Auftritte, so Lena Schraut zur taz, könne nicht als Begründung für die Notwendigkeit des Verfassungsschutzes herangezogen werden. „Dieses Problem ist administrativ nicht zu erledigen.“

Mit der Neuorientierung des Berliner Verfassungsschutzes soll das Amt in drei Abteilungen gegliedert werden. Abteilung I (Verwaltung) Abteilung II (Extremismus, unterteilt in Links- und Rechtsextremismus plus Ausländerüberwachung) Abteilung III (Spionageabwehr). Amtsintern sollen Stellen aus der Spionageabwehr in die Abteilung II umgeschichtet werden, da man davon ausgeht, daß die Spionagetätigkeit angesichts der Entwicklung in Osteuropa nachlassen wird. Die Leitung der wichtigen Abteilung II soll demnächst ein Import aus Westdeutschland übernehmen. Der bisherige stellvertretende Leiter des Bremer Verfassungsschutzes, Lothar Jachmann, wird nach Berlin kommen und hier die Abteilung Extremismus und Ausländerüberwachung übernehmen. Jachmann war vor einem Jahr bereits einmal als neuer Amtsleiter der skandalgebeutelten Berliner Verfassungsschützer im Gespräch, scheiterte aber an einem Veto der Alliierten. Angesichts ihres bevorstehenden Abzuges erhielt Jachmann nun auch von den Besatzungsbehörden sein Plazet. Amtsleiter bleibt allerdigs der vor einem Jahr eingesetzte Senatsrat Annußek.

Jachmann ist innerhalb der Geheimdienstszenerie mehrfach heftig angegriffen worden, weil er als Sprecher der in der ÖTV organisierten Geheimdienstler die Datensammelwut seiner Kollegen scharf kritisiert hatte. Er gehört zu den wenigen Verfassungsschützern, die die „informationelle Selbstbestimmung“ der Bürger auch für den Geheimdienstbereich gelten lassen will.

David Crawford Jürgen Gottschlic

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