: Das verteuerte Öl beschleunigt die Inflation
■ Brasilien muß eine Milliarde Dollar mehr für die Importe zahlen / Regierung sucht Einzelverhandlungen mit Banken
Rio de Janeiro (afp/taz) - Der brasilianischen Regierung von Präsident Fernando Collor de Mello scheint das Glück abhold zu sein. Kaum war es ihr gelungen, die Inflation halbwegs in den Griff zu bekommen, da sah sie sich mit der Golfkrise und der anschließenden Preiserhöhung für Erdöl konfrontiert, die das Land noch dieses Jahr eine Milliarde Dollar zusätzlich kosten dürfte. Obwohl Brasilien 40 Prozent des benötigten Erdöls importiert - das sind 550.000 Barrel am Tag, von denen 200.000 aus Irak und Kuwait stammen -, wird bis Oktober wegen der noch vorhandenen Reserven nicht mit Engpässen gerechnet. Außerdem verhandelt die Regierung mit anderen Förderländern, vor allem Iran, Venezuela und Malaysia.
Doch die ursprünglichen Hoffnungen der Regierung in Brasilia, die Krise in der Golfregion werde rasch gelöst sein, ist angesichts der gegenwärtigen Entwicklung pessimistischen Erwartungen gewichen. Schon ist die Rede davon, der Preis für Erdöl werde womöglich kontinuierlich steigen, die Geldentwertung weiter anheizen und damit Collor de Mellos Programm zur Bekämpfung der Rezession zunichte machen. Dabei hatte sich zunächst im Sinne der nördlichen Geldgeber alles recht gut angelassen: Die Inflation, die in den zwölf Monaten vor der Amtsübernahme des Präsidenten im März dieses Jahres 4.854 Prozent betrug, konnte im Juni und Juli in den Bereich der zehn Prozent monatlich gedrückt werden.
Allerdings löste das Brachialprogramm den schärfsten Konjunktureinbruch der letzten zwei Jahrzehnte aus; im zweiten Quartal dieses Jahres fiel das Bruttosozialprodukt um 8,8 Prozent. Seither durchzieht eine neuerliche Streikwelle das Land. Und die Inflationsrate - deren neue Berechnungsmethode ebenfalls umstritten ist - hatte schon im Mai mit acht Prozent ihren Tiefststand gehabt, begann aber ihren neuerlichen Aufstieg deutlich vor der Golfkrise. Die aber trug dazu bei, die Preise allein in der zweiten Augustwoche um vier Prozent hochschnellen zu lassen (siehe auch taz vom 18. und 28.8.).
Denn wenige Tage nach dem Einmarsch der irakischen Truppen in Kuwait wurde in Brasilien der Preis der Erdölerzeugnisse trotz des anfänglichen Widerstands der Wirtschaftsministerin Zelia Cardoso de Mello zum zweiten Mal innerhalb von zehn Tagen angehoben: um 8,2 Prozent beim ersten und um 8,9 Prozent beim zweiten Mal. Die (noch) staatliche Erdölgesellschaft Petrobas forderte inzwischen von der Regierung eine neuerliche Erhöhung um 33 Prozent.
Inzwischen meldeten sich Brasiliens internationale Geldgeber zu Wort, die seit Juli vergangenen Jahres keine längst fälligen - Zinszahlungen mehr erhalten haben. Deren Summe beläuft sich mittlerweile auf immerhin zehn Milliarden Dollar. Zwischen Juli und August reiste der Präsident der größten Gläubigerbank Brasiliens, John Reed von der Citibank, dreimal nach Brasilien und drohte mit dem kurzfristigen Platzen der Kreditlinien, mit der Brasiliens Außenhandel finanziert wird.
In der vergangenen Woche dann traf der stellvertretende US -Finanzminister David Mulford in Brasilia ein, um Frau Cardoso de Mello unmißverständlich klarzumachen, daß die USA sehr an einer frühest möglichen Zinszahlung interessiert seien. Brasilien will über die Frage der ausstehenden Zinszahlungen im Rahmen des „Gesamtpakets“ der Auslandsschulden verhandeln, die derzeit rekordverdächtige 114,7 Milliarden Dollar betragen. Ein weiterer Punkt, der die Gläubiger beunruhigt, ist die Frage, was künftig mit dem bislang allmächtigen Bankkomitee geschehen wird, dem die meisten bedeutenden Kreditgeber angehören und in dem die US -Banken die Mehrheit haben.
Tatsächlich war es für die internationale Finanzwelt keine geringe Überraschung, als die brasilianische Regierung am 6. August ihre 30 größten Kreditgeber einlud, diese Woche Vertreter nach Brasilia zu entsenden, um dort individuell mit der Regierung zu verhandeln. Nur vier Banken leisteten der Einladung Folge, die Bank of America (der drittgrößte Gläubiger), Manufacturers Hannover, der Credit Lyonnais und die Societe Generale.
Auch die Ankündigung der Wirtschaftsberater um Collor de Mello, man gedenke die internationalen Verpflichtungen nicht aus dem Devisenfonds zu begleichen, sondern aus den Haushaltsüberschüssen, war für die Banker nicht leicht zu verdauen. Im Juni lagen die Reserven an Devisen bei 7,78 Milliarden Dollar. Doch es gibt auch Hoffnung. So kündigte Brasilien am 9. August als Zeichen seines guten Willens eine Regelung auf, die es dem Land ermöglicht hätte, seine Schulden für 1989 in Höhe von 1,8 Milliarden Dollar durch den Erwerb von Schuldtiteln zu verringern, die auf dem freien Markt mit Nachlässen bis zu 80 Prozent zu erhalten waren.
Ein weiterer Umstand, der die Gläubiger beruhigen dürfte, ist die Tatsache, daß Brasilien in diesem Monat seine Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds wieder angeknüpft hat. Dieser wird im übrigen ebenso wie die internationalen Financiers nicht müde, Collor de Mellos „Stabilitätsprogramm“ zu loben.
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