: Polizeiaufmarsch in Friedrichshain
■ Polizei und Hausbesetzer trennten sich in der Niederbarnimstraße gewaltlos / Bürgermeister Mendiburu wollte mit Besetzern verhandeln / Niederbarnimstraße 23 will auch Mietvertrag
Friedrichshain. „Im Westen hätten sie mit euch kurzen Prozeß gemacht!“ ereiferte sich ein Herr mittleren Alters, nachdem die Polizei sich von dem besetzten Haus Niederbarnimstraße wieder zurückgezogen hatte. Doch auch moderatere Stimmen von Passanten, die in kleinen Gruppen auf der Straße mit den BesetzerInnen diskutierten, waren zu hören. So wurde ein junger Mann sehr nachdenklich, als ihn ein aus West-Berlin stammender Besetzer aus der in der Nähe befindlichen Kreutziger Straße auf die akute Wohnungsnot im Westteil der Stadt aufmerksam machte. „Und hier“, so der Besetzer, „stehen die Häuser leer und verfallen. Und irgendwann werden sie dann luxussaniert, und kein Mensch kann sie mehr bezahlen.“
Den Straßendiskussionen vorausgegangen war gestern nachmittag ein Polizeiaufmarsch vor einem besetzten Haus in der Ostberliner Niederbarnimstraße. Der Bürgermeister von Friedrichshain, Helios Mendiburu (SPD), hatte versucht, die Jugendlichen, die einen Seitenflügel des Hauses Nummer 23 besetzt hielten, durch Verhandlungen zur Räumung zu bewegen. Die BesetzerInnen mobilisierten Gleichgesinnte aus benachbarten Straßen und blockierten die Zufahrt zum Innenhof. Daraufhin standen sich die mit Schlagstöcken und Schilden ausgerüstete Polizei und Hausbesetzer gegenüber. Nach Auskunft des stellvertretenden Polizeichefs von Friedrichshain, Oberrat Klaus Schattach, habe Mendiburu „um Amtshilfe gebeten, nachdem eingeschätzt wurde, daß die zum Schutz des Bürgermeisters mitgeschickten Beamten“ etwaige Übergriffe auf den Kommunalpolitiker nichts hätten entgegensetzen können. Helios Mendiburu wies dabei ausdrücklich darauf hin, daß es ihm um eine friedliche Lösung gehe und Polizeiaktionen nicht vorgesehen waren.
Das Haus Niederbarnimstraße 23 sei seit dem 1. August besetzt, also nach einem Magistratsbeschluß, der keine weiteren derartigen Aktionen zuläßt. Sie seien mehrmals schriftlich zum Verlassen des Hauses aufgefordert worden.
Die Besetzer hingegen erklärten, daß sie bereits vor dem Beschluß der Stadtregierung zeitweise das Haus bewohnten und ihnen daher genau wie allen anderen vor dem Beschluß der „Berliner Linie“ besetzten Häusern ein Ausbauvertrag laut Magistratsbeschluß zustehe. Sie stellten sich voll hinter die Forderung des Besetzerrates, Verträge mit allen besetzten Häusern abzuschließen und keine Räumungen vorzunehmen.
Eine weitere Verhandlungsrunde zwischen dem Magistrat und dem Besetzerrat aller rund 110 besetzten Häuser im Ostteil der Stadt ist für morgen geplant. Wohnungsstadtrat Clemens Thurmann (SPD) hatte darauf verwiesen, daß neben diesen Bauten keine weiteren Inbesitznahmen zugelassen werden, mit Nachahmern nicht verhandelt und notfalls mit Polizeigewalt geräumt werde.
ok/adn
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