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Zur Rettung des Kinderhörspiels

■ „2.Deutsche Kinderhörspieltage in Bensheim“

Im Herbst 1989 hatte der Bensheimer Autor Arno Fischer erstmals die Initiative ergriffen und zu einem Treffen rund ums Kinderhörspiel eingeladen. Die „1.Bensheimer Kinderhörspieltage“, die ersten in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt, waren ein lokaler und überregionaler Erfolg. So konnten sie in diesem Jahr vom 23. bis 26.August erneut inszeniert werden und sollen fortan regelmäßig stattfinden. Die Schirmherrschaft hat die Stadt Bensheim übernommen. Als Förderer konnten - neben den örtlichen Sponsoren - überregionale Institutionen gewonnen werden wie die „Stiftung Lesen“ in Mainz, die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt und das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in Bonn.

Diese Öffentlichkeit hat das Kinderhörspiel bitter nötig. Denn nicht Benjamin Blümchen, TKKG oder Knight Rider in den Kassettenständern der Warenhäuser sind gemeint, sondern die literarische Kunstform „Kinderhörspiel“. Gleichwertig neben dem Buch, dem Theater, dem Film für Kinder und Jugendliche kämpft sie um Stellenwert und Fortbestand inmitten einer von Massenware und Marketing beherrschten Medienlandschaft. Das Kinderhörspiel hat keine Lobby.

Desillusionierend waren die Perspektiven, die Rieke Müller -Kaldenberg, Redakteurin beim SDR/Kinderfunk, innerhalb einer großen Podiumsrunde offenlegte: Strukturveränderungen innerhalb der ARD, Pläne der Neuorientierung und Koordinierung bei ZDF, ARD und den Rundfunkanstalten der DDR entpuppen sich immer mehr als ernsthafte Bedrohung für die kleine Nischensparte „Kinderhörspiel“. Innerhalb eines ohnehin ständig reduzierten Kinderfunks verliert das Kinderhörspiel immer mehr an Boden. Beispielsweise der RIAS Berlin: Dort, wo ehemals qualitativ ausgezeichnete Original -Kinderhörspiele produziert wurden (viele davon erreichten über MC-Verlage den Markt), dort werden nach Strukturreformen Kinderhörspiele nur noch in Ausnahmen gesendet; oder der SFB: Sendetermine für das Kinderhörspiel wurden in jüngster Zeit um die Hälfte reduziert zugunsten von Magazinsendungen. Hiobsbotschaften fast überall, mit Ausnahme vom NDR. Kann man es glauben, daß von 80 Sendestunden pro Tag in den verschiedenen Programmen des SDR etwa nur täglich 17 Minuten (!) für Kinder reserviert sind? „Und die Eltern schlafen“, hieß es in Bensheim lakonisch. Gemeint ist die Öffentlichkeit, auch die Presse. Der Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wird vielerorts nicht mehr eingehalten. Die privaten Rundfunkanstalten setzen sich ohnehin darüber hinweg. Sie bieten keine Programme für Kinder an.

Wie eine Fata Morgana mußte auf Autoren und Kinderfunkleute wirken, was zwei Dramaturginnen vom Rundfunk der DDR/ Ressort Kinderfunk unter dem Stichwort „Entwicklungsdramaturgie“ von ihrer bisherigen Arbeit erzählten. Inmitten einer in der DDR hoch angesehenen Kulturlandschaft hatte das Kinderhörspiel, gleichberechtigt neben dem Erwachsenenhörspiel, einen großzügigen, auch finanziell abgesicherten Platz - und mit ihm der vertraglich eingebundene Autor. Auch die enge persönliche Zusammenarbeit zwischen Dramaturg und Autor bei der gemeinsamen Entwicklung eines Stückes dürfte hierzulande weitgehend unbekannt sein. Überdies schien es, als sei das Kinderhörspiel der DDR eine jener Nischen gewesen, in denen, weitgehend unbeachtet von ideologischer Indoktrination, viele Stoffe entwickelt werden konnten, die anderswo nicht durchführbar gewesen wären.

Auf all das mögen die Dramaturgen der DDR nicht verzichten. Doch ihre Stühle wackeln; von 30 Mitarbeitern im Ressort Kinderfunk sind nach Umstrukturierungen noch 14 übriggeblieben. Was aber nach der Neuorientierung der gesamten Medienlandschaft in einem vereinten Deutschland wird, ist offen. Doch Ernst beiseite: Die „2. Deutschen Kinderhörspieltage“ unter dem Signet eines Ohrwürmchens auf einer zum Buch aufgefledderten Kassette hatten noch eine andere Seite. Hier konnte das Praktische, das Spielerische, das Phantasievolle und Kreative zum Ausdruck kommen - und damit das Hörspiel selbt.

Von Schulbesuchen der Autoren wäre zu berichten, auch von der Verleihung des „Bensheimer Publikumspreises“ durch eine Kinderjury. Drei Hörspiele standen zur Wahl. Ohne Umschweife, nach ein paar Sekunden Bedenkzeit fiel das Urteil. Der Preis ging an Albert Wendt (DDR) für sein Hörspiel Vogelkopp, in dem er die phantastische Geschichte von einem Holzfäller erzählt, der ein Nest mit zu früh geschlüpften Vögeln unter seiner Mütze beherbergt und fortan sich weigert, vor der Obrigkeit den Hut zu ziehen... Es wäre zu berichten von vielen anderen Hörspielen und dem Blick über die Schulter Hartmut Kirstes, der begreifen ließ, wie die Story eines Manuskripts in der Vorstellung des Regisseurs zu leben beginnt und schließlich in Dialogen, Geräuschen und Musiken hörbar wird - und schließlich von der Rettung des Kinderhörspiels als eines wichtigen Elements der heutigen Kinderkultur. Ansatzpunkte sind: die Verabschiedung einer Resolution an Rundfunkanstalten, Aufsichtsgremien und Öffentlichkeit; medien- und institutionsübergreifende Kooperation; Aktivitäten, bessere Information und Öffentlichkeitsarbeit; vielleicht auch eine Liste empfehlenswerter Kinderhörspiele... Alles ist denkbar, solange die Autoren und ihre Helfershelfer noch nicht aufgegeben haben, nichtsdestotrotz ihre Kinderhörspiele zu schreiben und zu produzieren. Es gibt nur noch wenige, die diese wenig anerkannte, schlecht dotierte und gleichwohl um der Kinderkultur willen dringend notwendige Kunst wagen und beherrschen.

Heide German

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