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„Ein richtiger Mann hat bis zum Schluß gekämpft“

■ Die vom Faschismus verfolgten Kriegsdienstverweigerer und Deserteure sind noch immer nicht anerkannt / Nur sechs Betroffene erhalten Beihilfe NS-Regime schickte Zehntausende ins Konzentrationslager / Gerichte sehen keinen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze

Bonn (taz) - Die Grünen-Fraktionssprecherin Antje Vollmer, der frühere Direktor des militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr, Professor Manfred Messerschmidt, und Ludwig Baumann, Ex-Wehrmachts-Deserteur und heute Initiator der „Interessenvertretung der Opfer der NS-Militärjustiz“, legten am Mittwoch in Bonn einen von den Grünen erarbeiteten Antrag an den Bundestag vor. Erklärtes Ziel: die Rehabilitierung und Entschädigung der unter dem Faschismus verfolgten Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“.

Die Chancen, daß aus diesem Projekt etwas wird, sind nicht nur angesichts der bekannten Mehrheitsverhältnisse denkbar gering. Auch die Sozialdemokraten werden sich kaum mit dem Gedanken anfreunden können. Und am Ort des Geschehens, in der Noch-Hauptstadt Bonn, mußte 1989 ein am Antikriegstag, dem 1. September, aufgestellter Gedenkstein für den „unbekannten Deserteur“ kurz nach seiner Einweihung wieder abgeräumt und anschließend zur Evangelischen Studentengemeinde weiterverfrachtet werden.

Mehr als 20.000 Todesurteile sind von der NS -Wehrstrafjustiz zu verantworten - eine Zahl, auf die selbst der NS-Volksgerichtshof unter Roland Freisler nicht kam. Dieser „Blutjustiz“ (Vollmer-Mitarbeiter Günter Staathoff) fielen ferner Zehntausende zum Opfer, die wegen Desertion, Wehrdienstverweigerung oder „Wehrkraftzersetzung“ „lediglich“ zu Haftstrafen verurteilt wurden. Die „Wehrpsychiatrie“ nahm sich derjenigen Menschen an, die einen „Ausweg der Seele“, sprich Kriegsneurosen und physische Selbstverstümmelungen, suchten. Doch bis zum heutigen Tag warten diese Verfolgten des Nazi-Regimes auf eine politische und auch materielle Geste der Bundesrepublik Deutschland.

Der Ausweg über die Seele wurde hauptsächlich „behandelt“ mit der „Pansen-Prozedur“. Diese schon im Ersten Weltkrieg verwendete „Waffe“ gegen „Kriegszitterer“ kam vermehrt seit dem Winter 1941/1942 zum Zuge. Die „Kriegsneurotiker“, die im militärischen Bereich nicht mehr eingesetzt werden konnten, wurden nach Hadamar gebracht oder in das „nächstgelegene“ Konzentrationslager abgeliefert: Ordnung muß sein.

Und auf Ordnung legte auch der Bundesgerichtshof gerade in der Behandlung von NS-Vorgängen großen Wert. So galt noch 20 Jahre nach Konstituierung der BRD der Grundsatz: Als Teilnehmer des deutschen Widerstandes dürfte nur gelten, wenn die Handlung, die unter dem Faschismus verfolgt wurde, „Teil eines Gesamtverhaltens war, das eine gewisse Erfolgsaussicht hatte“.

Und genau darüber befand eine Justiz, deren wesentliche Träger vom Kaiserreich in die Weimarer Republik, von der Weimarer Republik in das NS-System und - wie erinnerlich vom Faschismus in die Verwaltung des westdeutschen „Separatstaates“. Erst 1966 ließ der BGH das Kriterium der „Erfolgsaussichten“ fallen.

Noch 1986 stellte die Bundesregierung in einer Unterrichtung fest: „Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht oder Zersetzung der Wehrmacht haben im allgemeinen nicht gegen rechtstaatliche Grundsätze verstoßen, da solche Handlungen auch in Ländern mit rechtsstaatlicher Verfassung, zum Beispiel in den westeuropäischen Staaten, während des Krieges mit Strafe bedroht waren“. Gleichwohl könnten „im Einzelfall“ Verurteilungen der entsprechenden Art auf „Verletzungen rechtsstaatlicher Grundsätze“ beruht haben.

Im Dezember 1987 faßte der Bundestag gegen die Stimmen der SPD und der Grünen einen Beschluß über eine neue sogenannte „abschließende Härteregelung“. Die Formel, nunmehr auf Deserteure und Kriegsdienstverweigerer angewendet, hat folgenden bemerkenswerten Wortlaut: „Als Unrecht gelten auch gesetzmäßig verhängte Strafen, wenn sie, auch unter Berücksichtigung der Zeit-, insbesondere der Kriegsumstände, als übermäßig bewertet werden müssen.“ Da kann es niemanden wundern, daß es im gesamten Bundesgebiet keinem einzigen „Wehrkraftzersetzer“ gelungen ist, eine laufende Leistung zu erhalten, und ganze sechs Personen eine einmalige Beihilfe erhielten. Ein Rechtsanspruch auf die „Härtefall„ -Entschädigung besteht ohnehin nicht.

Professor Manfred Messerschmidt setzte sich scharf mit der Auffassung auseinander, der „richtige Mann“ habe 1945 „bis zum Schluß gekämpft“, und die Deserteure seien Versager und Feiglinge gewesen. Für Messerschmidt ist es erwiesen, daß der Bruch der Loyalität gegenüber dem „Führer“ ein „politisches Delikt“ war.

Vom 19. bis 21. Oktober wird in Bremen die „Interessenvertretung der Opfer der NS-Militärjustiz“ gegründet. Ihr Sprecher, Ludwig Baumann, erläuterte seinen persönlichen Leidensweg: Er wurde 1940 Soldat, desertierte 1942 in Frankreich, wurde verhaftet und zum Tode verurteilt, später zu 12 Jahren Zuchthaus „begnadigt“. Die Niederlage des Faschismus erlebte Baumann im emsländischen Konzentrationslager Esterwegen. Heute will er es „nicht länger hinnehmen, daß alle, die dem Hitler-Regime und seinem verbrecherischen, völkermordenden Krieg gedient haben, weiter im Recht sind und wir Opfer weiterhin kein Recht auf Anerkennung und Entschädigung haben“.

Matthias Dahmen

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