piwik no script img

Widersprüchliches zum Einigungsvertrag

■ Für Bundesinnenminister Schäuble sind alle strittigen Punkte mit den Bundesländern geklärt / Björn Engholm widerspricht / Clearingstelle soll über Entlassungen von DDR-StaatsdienerInnen entscheiden

Bonn/Berlin (afp/taz) - Während die Bundesregierung gestern beim Einigungsvertrag „keine offenen Streitpunkte“ mit den Ländern mehr erkennen konnte, gab der schleswig -holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm zumindest zwei offene Fragen zu Protokoll: Sowohl die Kosten der Einheit als auch die Frage des öffentlichen Dienstes in der DDR seien auch während des dreistündigen Treffen zwischen Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder nicht ausgeräumt worden.

Dafür konnte Schäuble unwidersprochen zumindest den Durchbruch in den Fragen der theatralischen Einigung verkünden: Der 3.Oktober, Tag des Beitritts der DDR zum Grundgesetz, soll als „Tag der deutschen Einheit“ an Stelle des 17.Juni zum neuen Nationalfeiertag erklärt und im Einigungsvertrag festgeschrieben werden.

Engholm verlangte nach dem Treffen einen mittelfristigen Finanzierungsplan. Spätestens bis Mitte September müsse klar sein, wie die „riesigen Löcher“ im Haushalt gestopft werden könnten. Die Länder könnten „das Risiko ins Ungewisse“ nicht eingehen. „Wenn da gar nichts kommt, ist das ein entscheidendes Hindernis“, betonte Engholm mit Blick auf die notwendige Zustimmung der Länder zum Einigungsvertrag. Über Steuererhöhungen zur Finanzierung der Einheit müsse, so Engholm, nachgedacht werden.

Als wichtiges Ergebnis würdigte der SPD-Politiker, daß alle nach dem 9.November vergangenen Jahres getätigten Geschäfte wie Grundstücksverkäufe laut Einigungsvertrag revidierbar gemacht werden sollen. In der Frage der Parteivermögen sei der übereinstimmende Wille artikuliert worden, daß sie an die Treuhandanstalt gehen.

In der umstrittenen Frage des überbesetzten öffentlichen Diensts in der DDR vereinbarte die Runde eine „Clearingstelle“ beim Innenministerium, die den Verwaltungsaufbau in der DDR regeln und auch über Entlassungen entscheiden soll. Umstritten ist die Weiterbeschäftigung von über 600.000 Angestellten im öffentlichen Dienst der DDR.

Außerdem vereinbarten Bundesregierung und Länderchefs eine neue Stimmenverteilung im Bundesrat. Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sollen künftig sechs statt fünf Stimmen bekommen. Dies würde auf Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg zutreffen. Die neuen DDR-Länder würden alle jeweils vier Stimmen erhalten.

Innenminister Schäuble gab gestern die weitere Schritte zum Einigungsvertrag bekannt: am Donnerstag letzte Gespräche mit DDR-Verhandlungsführer Günther Krause in Bonn, am Freitag Verabschiedung des Vertragswerks im Bundeskabinett, und noch am selben Tag Unterzeichnung von Kohl und DDR -Ministerpräsident Lothar de Maiziere im Berliner Reichstag. Am 5.September soll der Vertrag in den Bundestag und am 21.September termingerecht abschließend in den Bundesrat. In beiden Kammern ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Die Grünen in Bonn kritisierten in einem offenen Brief, daß sie auch zum zweiten Spitzentreffen der Regierung mit der SPD-Opposition, das im Anschluß an das Treffen der Länderchefs mit Kohl stattfand, nicht eingeladen wurden. Diese Gespräche seien „außerhalb der demokratischen Institutionen“ angesiedelt. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Gerhard Jahn sagte, die SPD habe die Grünen beteiligen wollen, dies aber bei der Regierung nicht durchsetzen können.

eis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen