Eine Schule für Emigranten aus 15 Nationen

■ Sprachschule für Asylbewerber unterschiedlicher Nationalitäten in Prenzlauer Berg gegründet / Initiator ist der Jüdische Kulturverein / Finanzierung vorerst nur bis Jahresende gesichert / Gründerinnen hoffen auf gesamtdeutsche Unterstützung

Mitte. Die „Sprachschule Deutsch als Fremdsprache“ in der Dunckerstraße 11 am Prenzlauer Berg ist schwer zu finden, ein winziges Schildchen weist in den Hinterhof, die engen Stiegen in den zweiten Stock sind ausgetreten, von den Wänden bröckelt der Putz. Doch hinter all den grauen Mauern findet ein Experiment statt, bisher einmalig in der DDR und ausdrücklich unterstützt vom Büro für Ausländerangelegenheiten beim Ministerrat der DDR. Hier befinden sich die Unterrichtsräume der ersten privaten Sprachschule für Emigranten aus aller Welt. 154 Menschen pauken hier seit dem 16. Juli deutsche Vokabeln und die schwierige Phonetik, versuchen die Grundlage dafür zu schaffen, im zukünftigen Gesamtdeutschland zurechtkommen zu können. Die meisten Sprachschüler, fast 100, sind Juden aus der Sowjetunion, die anderen kommen aus 15 Nationen. Der jüngste ist zwanzig, der älteste fast siebzig Jahre.

In dieser Schule sitzt der Palästinenser neben dem russischen Juden, der christliche Grieche aus Zypern neben dem moslemischen Türken, und alle einigt das schwierige deutsche „R“ und das für Ausländer komplizierte „ng“. Das Konzept des Sprachunterrichts ist differenziert. 15 verschiedene Kurse werden angeboten, gelehrt wird in zwei Unterrichtsräumen und einem Phonetikraum. Die Unterrichtsmaterialien stammen aus dem Westen, das didaktische Konzept der Schule orientiert sich am Deutschunterricht des Goethe-Institutes. Beendet werden die Kurse mit einem Examen, Mitte Juli wird es für die ersten soweit sein. Das Ministerium hat der Schule die Prüfungskompetenz erteilt, man ist zuversichtlich, daß die Zertifikate auch nach der staatlichen Einigung anerkannt werden. Initiiert wurde die Sprachschule von Mitgliedern des Jüdischen Kulturvereins, der sich schon seit Monaten um eine Integration der aus Osteuropa stammenden Juden bemüht. Der Kulturverein wollte einfach nicht mehr warten, bis staatliche Stellen aktiv werden, erreichte aber mit bohrendem Engagement, daß das Ministerium für Ausländerfragen die Anschubfinanzierung übernahm und die Schule inzwischen als Modell für ein beispielhaftes „multikulturelles Experiment“ würdigt. „Die Schule ist ein Hoffnungsschimmer nach all den vielen Beispielen der Ausländerfeindlichkeit in der DDR“, freut sich Klaus Pritzkuleit vom Büro für Ausländerangelegenheiten.

Das Büro finanziert die 15 Dozentenstellen und die Unterrichtsmaterialien. „Wenn wir sehr knapp haushalten“, meinte Irene Runge vom Kulturverein, „dann ist für dieses Jahr die Schule gesichert.“ In die Zukunft blickt sie optimistisch. „Ich glaube nicht“, meint sie, „daß es eine deutsche Behörde geben wird, die es wagt, eine jüdische Schule zu schließen.“ Auch von der jüdischen Gemeinde West erhofft sich Frau Runge Unterstützung: „Wir gehen davon aus, daß uns Herr Galinski wohlwollend gegenübersteht.“

Die Seele und die formelle „Besitzerin“ der Sprachschule ist die Deutsch-Didaktikerin Professor Schmidt-Friedländer, auch sie Mitglied im Jüdischen Kulturverein. Von ihr wurden mit privatem Risiko die Räume angemietet, von ihr und ihrer Mitarbeiterin Angela Boost die Grundausstattung privat bezahlt. „Das grundsätzlich Neue dieser Schule ist“, sagt sie, „daß wir offen sind für alle Asylbewerber, unsere humanitäre Hilfe nicht nur den sowjetischen Juden zugute kommt, obwohl uns diese Gruppe natürlich besonders nah ist.“ Diese Offenheit würdigte gestern auch der Rabbiner Weinmann, ein Gast aus Jerusalem. Er sei sehr stolz auf den Kulturverein, denn der würde die besten jüdischen Traditionen ihres Volkes weiterführen, die Sozialarbeit für alle Bedrängten. Nicht in den Hintergrund gestellt haben möchte er die Vermittlung der jüdischen Traditionen. „Die aus der Sowjetunion stammenden Juden in der DDR müssen nicht religiös werden, um wirklich Juden zu sein“, sagte er, „aber das Wissen um unser Volk und die Bedeutung der jüdischen Feiertage“ müßten zu einer Identifikation mit dem Judentum führen. Vielleicht werden dann aus „kulturellen Juden auch religiöse Juden, denn erst wenn wir das Wasser erreichen, werden wir die Brücke überqueren“.

Anita Kugler