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„Normale Polizisten müssen keine Sorgen haben“

■ Am 3. Oktober hat Gesamt-Berlin eine Polizei / Die taz fragte West-Berlins Innensenator Erich Pätzold (SPD), zur Kompetenzverteilung zwischen Magistrat und Senat, zum Umgang mit ehemaligen Stasi-Leuten und SED-Polizeiführern und dazu, was der Innensenator als erstes machen wird

taz: Herr Pätzold, letzte Woche haben Sie sich mit DDR -Innenminister Diestel angelegt. Sie forderten den Rücktritt des Ostberliner Polizeipräsidenten, Sie bemängelten, daß mit den „La Belle„-Ermittlungen ehemalige Mitarbeiter des ZKs und der SED-Sicherheit befaßt sind, Sie kritisierten, daß der damalige Innenminister der Modrow-Regierung den Bundesgrenzschutz der DDR aufbauen sollte. Jetzt ist Funkstille. Ist der Wahlkampf schon wieder vorbei?

Erich Pätzold: Das hat alles nichts mit Wahlkampf zu tun, sondern damit, wie die Themen auf den Tisch kommen. Herr Bachmann hat einen mehr als dreisten Brief geschrieben; der erforderte eine politische Antwort. Die konnte nur an Herrn Diestel gehen. Dann kommen Leute zu einem, die höchst erstaunliche Unterlagen in der Hand haben; darum muß man sich kümmern. Dann erfährt man, daß Herr Ahrendt und ein Oberst des Grenzschutzes damit beauftragt sind, den neuen ostdeutschen Bundesgrenzschutz auch personell auszuwählen. Die Dinge bündeln sich mitunter, und dann gibt es Tage ohne solche Hiobsbotschaften.

Der taz liegen bereits weitere Informationen vor. Diestel will, daß ein hoher MdI-Inspekteur neuer Chef der Versorgungseinrichtung der Ostberliner Polizei werden soll. Pikanterweise auf einem ehemaligen Stasi-Gelände. Dort sollen, so unsere Informationen, unbekümmert ehemalige Stasi -Leute arbeiten. Wie können Sie durchschauen, welchen ehemaligen Stasi-Mitarbeitern und SED-Funktionären Diestel in letzter Minute noch zu guten Posten verhilft?

Wir erfahren nur das eine oder andere von denen, die etwas wissen oder von denen, die meinen etwas zu wissen. Einen systematischen Überblick kann es nicht geben. Aber die Fülle dessen, was nachweislich behauptet wird, macht mich besorgt. Ich höre auch Dinge über ehemalige Stasi-Gelände und andere Sachen mehr. Ich kann nur wiederholen: Von dem Tage an, wo wir die Verantwortung für Gesamt-Berlin und die Gesamtberliner Polizei tragen, wird all diesen Hinweisen die dann auch offiziell zu Recht zu uns kommen - mit der gebotenen Nachdrücklichkeit und Strenge nachgegangen werden. Die Bevölkerung in Ost-Berlin wurde lange genug gequält und darf sich darauf verlassen, daß die in West-Berlin bewährte Polizei in ihrer unbestechlichen Art allem nachgeht, dem nachgegangen werden muß. Das wird allerdings eine gewaltige Aufgabe werden.

Im Auftrag von Diestel wird gerade die jetzige Versorgungseinrichtung der Polizei an eine Transbau GmbH verkauft, hinter der GmbH stecken Mitarbeiter des MdI. Vermutlich werden Teile des bebauten Grundstücks zu Schleuderpreisen verscheuert. Die in der Einrichtung beschäftigten 400 Polizisten und Zivilbeschäftigten werden arbeitslos. Kriegen sie nach der Länderbildung ihren Job zurück?

Ich habe von solchem Vorfall noch nichts erfahren, aber wenn es so sein sollte, daß hier Grundstücke verschleudert und verschoben werden, dann werden wir genau prüfen, zu welchen Straftaten es dabei gekommen ist, und werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Alle diejenigen, die unsere Mitarbeiter werden, werden sich auch unabhängig von strafrechtlich relevanten Sachverhalten daraufhin überprüfen lassen müssen, ob sie ihren Dienstpflichten nachgekommen sind. Wenn nicht, werden wir sie auch dafür zur Rechenschaft ziehen müssen. Wenn auf diese Art und Weise einige versuchen, sich oder anderen einen Vorteil zuzuschanzen, und dabei unbescholtene Polizeikräfte in die Arbeitslosigkeit drängen, werden wir uns um die Menschen kümmern, denen Unrecht angetan worden ist.

Irgendwann wurde doch mal vom Zusammenwachsen geredet, Herr Pätzold. Jetzt hören Sie sich an, als würden Sie die Ostberliner Polizei einfach übernehmen.

Das liegt daran, daß der Einigungsvertrag vorsieht, die jeweils zuständigen westlichen Instanzen prüfen zu lassen, inwieweit sie Ost-Behörden übernehmen wollen und können oder abzuwickeln haben. Wir wollen, daß die Stadt zusammenwächst, aber wir müssen trotzdem überlegen, welche Behörden wir übernehmen - nicht nur, weil wir diesen Einigungsvertrag haben.

Meinen Sie nicht, daß das bei den Polizeibeamten einen gewissen Frust auslöst, daß die sich - wie Herr Bachmann sagte - okkupiert fühlen?

Das kann sein. Aber der Einigungsvertrag ist auch von der Regierung der DDR so ausgehandelt worden. Und der größte Teil der Menschen in der DDR will der Bundesrepublik beitreten. Wer beitritt, tritt einem anderen Staats zu dessen Maßstäben bei. Egal, ob einem das im einzelnen gefällt oder nicht. Aber wir wollen mit dem Prozeß so menschlich wie möglich umgehen. Und es mag ja sein, daß Herr Bachmann oder einzelne seiner getreuen Polizeiführer sich okkuopiert sehen. Ich bin aber sicher, daß die große Mehrzahl der anständigen, normalen Polizeikräfte in Ost -Berlin durchaus nach unseren westlichen Berliner Strukturen arbeiten will.

Es gibt Befürchtungen in der Ostberliner Polizei, daß einem Herrn Pätzold diese Polizei zu linkslastig sei. Man zieht da Vergleiche mit der Rep-Lastigkeit der Westberliner Polizei und glaubt der Innensenator steht unter Druck - von der deutschen Polizeigewerkschaft, Herrn Franke, zum Beispiel.

Also Links- oder Rechtslastigkeit, was immer man darunter versteht, interessiert mich nicht. Und Druck von der Deutschen Polizeigewerkschaft gibt es bei mir überhaupt nicht. Im Gegenteil, der Herr Franke ist ja der neueste Freund von Herrn Bachmann. Früher war er ein absoluter Linken-Fresser; jetzt ist er stolz darauf, die alten SED -Führungskräfte zu vertreten. Es kann sein, daß es Ängste und Sorgen bei den höheren Polizeiführern mit langer SED -Vergangenheit und Vorbelastung gibt. Die Herren haben aber wenig Grund sich zu beklagen. Wäre die Entwicklung umgekehrt gelaufen, weiß ich, wie sie mit anderen umgegangen wären. Dagegen ist das alles sehr menschlich, was hier ablaufen wird. Die normalen Polizisten wollen nicht von diesen Polizeiführern vertreten werden - sie fühlen sich von denen auch nicht vertreten. Aber man versucht ihnen einzureden, sie müßten Sorgen haben. Die normalen Polizisten müssen überhaupt keine Sorgen haben. Mein Ziel ist, die Masse der anständigen Polizeikräfte in die neue Gesamtberliner Polizei zu übernehmen, aber genauer hinzuschauen bei denen, die in hohen Rängen lange und sehr engagiert einem verbrecherischen Regime und einer greisen Parteiführung mit ihren unmenschlichen Befehlen gefolgt sind.

3. Oktober, Null Uhr. Wird dann die Ostberliner Polizei dem Innenstadtrat Krüger unterstellt sein?

Das glaube ich nicht. Am 3. Oktober ist Deutschland wiedervereinigt. Nach der jetzigen Fassung des Einigungsvertrages, die allerdings nur bekräftigenden Charakter hat, ist dann der Senat von Berlin gemeinsam mit dem Magistrat, durchaus bei Vorhand des Senats, zuständig für Ganz-Berlin. Da es nur eine Polizeiführung geben kann, wird die jetzige Polizeiführung von West-Berlin auch die von Ganz-Berlin sein.

Am 3. Oktober, einem Mittwoch, untersteht dem Berliner Senat die gesamte Polizei. Was ist das erste, was Sie machen werden?

Dazu werde ich mich jetzt noch nicht äußern. Aber es ist klar, daß wir sofort eine einheitliche Führungsstruktur herstellen werden. Wir werden auch dafür sorgen, daß der Dienst in Ost-Berlin gut weiterläuft und sehr schnell an unsere westlichen Strukturen und Erfahrungen angeglichen wird.

Was passiert mit dem Ostberliner Polizeipräsidium?

Es kann nur einen Polizeipräsidenten und auch nur eine Polizeiführung geben, und das wird der Westberliner Polizeipräsident und im Kern die Westberliner Polizeiführung sein.

Wie hoch ist jetzt die Polizeistärke in Ganz-Berlin und wie hoch wird sie nach dem 3. Oktober sein?

Ich glaube schon, daß das, was in Ost- und West-Berlin an Polizeistärke vorhanden ist, etwa zueinander paßt.

In Ost-Berlin sind etwa 110 Häuser besetzt. Werden die nach dem Beitritt geräumt?

Nach der sogenannten Berliner Linie - die in West-Berlin auch praktiziert worden ist, wenn Häuser in größerer Zahl besetzt waren - soll man versuchen, die Besetzungen durch Verhandlungen, möglichst durch Mietverhältnisse, zu legalisieren. Schließlich haben die Besetzungen drüben auch damit zu tun, daß das alte Regime eine unglaublich große Zahl von Häusern und Wohnungen total verkommen ließ. Und trotzdem Menschen nicht erlaubt hatte, in den Häusern zu wohnen und sie vielleicht instandzusetzen.

Das Interview führten

Olaf Kampmann und Dirk Wildt

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