Waldspiele

■ Theaterfestival in Menden

Es liegt einige Wochen zurück, da fiel das Licht wissenshungriger Journalisten in ein schwarzes Nest an der Hönne, und es geriet, ehe die Honoratioren der Stadt sich versahen, aus gräßlichem Anlaß in die Schlagzeilen. Menden heißt der Ort, wo in einem nahegelegenen Wandstück junge männliche Rechtsradikale solange auf junge Mädchen eindroschen, bis ihre Münder unter dem Gewicht des Knüppels neofaschistische Parolen formten. Sprachspiele und Initationsrituale unserer Gesellschaft.

Jetzt, aber unter anderem Vorzeichen, macht die Stadt erneut von sich reden. Zum ersten Mal findet hier unter der künstlerischen Leitung von Susanne Schulz eine Theaterwerkstatt mit Festivalcharakter statt, die bundesweit ohne Beispiel ist. Susanne Schulz nahm sich zum Ziel, „an der Schnittstelle zwischen Schule und Beruf Alternativen aufzuzeigen und den Boden zu schaffen für die Suche nach neuen Arbeitsweisen, theatralischen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten“.

Unter Einbindung der Bevölkerung, von der sich gewiß der eine oder andere im Schneidern der Kostüme, Bauen der Kulissen oder Einrichten des Lichts einen Kindheitstraum erfüllen könnte, haben drei Regisseure ihre ehrgeizigen Pläne umgesetzt. Zusammen mit angehenden Schauspielern und Bühnenbildern, die aus halb Europa in die sauerländische Provinz gereist sind, haben sie in einer zweimonatigen Werkstatt zusammen gewohnt, gearbeitet und gestritten, deren Resultat in Gestalt von drei Inszenierungen nun zu sehen ist.

Shakespeares Sommernachtstraum, von Werner Kuhn für das Mendener Amphitheater eingerichtet und in Szene gesetzt, machte am vergangenen Samstag den Anfang. Doch bevor der Vorhang aufging, sollten die Zuschauer mit langen Reden auf die Folter gespannt werden. Honoratioren und Kulturschaffende waren unter dem eigens für diesen Zweck erbauten Zeltdach zusammengekommen, um im Brustton des Kennertums über das zu sprechen, wovon sie naturgemäß am wenigsten verstehen: Politiker dozierten über die schöne Kunst, Künstler über Politik.

Das eigentliche Ereignis, zu dem man sich schließlich versammelt hatte, verlieh der Anstrengung des Wartens im nachhinein doch noch einen Sinn. Bei jedem Urteil, zu dem man im Anschluß an die Inszenierung gelangen mag, kann selbst der schärfste Kritiker dem zweiten Teil des Abends seinen hohen Unterhaltungswert nicht absprechen. Das mag zugestandenermaßen in seiner überraschenden Kürze von nur einer Stunde begründet liegen, gewiß aber im selben Maß auch in der beeindruckenden Körperarbeit, die von dem immerhin noch lernenden Ensemble geleistet wurde. In dem, wie der Regisseur fast zwei Monate lang mit seinen Akteuren gearbeitet hat, liegt der Anlaß zur höchsten Bewunderung ebenso wie der zur tiefen Skepsis. Ein stilprägendes und schulemachendes Mittel Jerzy Grotowskis, dessen Schüler Kuhn war, ist es, - grob verkürzt - die Darsteller in der Besinnung auf den menschlichen Körper einem unerbittlichen Training zu unterziehen, das sie befähigt, Astronauten gleich physische Hinernisse zu überwinden. Durch Anleihen aus der fernöstlichen Tradition des No- und Kabukitheaters verschiebt sich der Akzent von der Logozentrik hierzulande auf eine ausgefeilte Gestik. Abgeschottet von den Unwägsamkeiten des Alltags hat Werner Kuhn sein Ensemble in diesem Geist trainiert. Eine Sache ist es, die Arbeitsmethode eines Regisseurs zu beleuchten, eine andere, ihren Niederschlag in der Inszenierung zu registrieren. Das konnte der Zuschauer nur eingeschränkt.

Zwar wurde nicht auf gewöhnlichen Brettern gespielt, sondern a la Peter Brook auf vierzig Zentnern Sand, aber schon im Verein mit eingespieltem Meeresrauschen schlich sich ein unerträglicher Naturalismus ein, der unweigerlich eine Suche nach der berühmten Aussage auf den Weg brachte, die die Inszenierung nicht einzulösen vermochte. Die Spielfläche wurde begrenzt durch das Halbrund der Zuschauer auf der einen Seite, durch eine hohe und weiß getünchte Wand auf der anderen, aus der drei rechteckige Öffnungen profan herausgeschnitten waren, die Auf- und Abgänge der Darsteller erlaubten. Überhaupt verweigerte sich dem Auge alles, woran das menschliche Hirn beim Stichwort Wald gerne denken möchte. In der Tat, der Sommernachtstraum ist aller Rezeptionsgeschichte zum Trotz beileibe kein romantisches Stück. Das hat die Bühne von Werner Kuhn gut vermittelt. Daß Shakespeare ein Waldstück in der Nähe Athens zum Schauplatz seiner Komödie wählte, hat nichts mit deutscher Naturverklärtheit zu tun. Die teilweise recht gelungene szenische Lösung des turbulenten Spiels, seine Akrobatik und Präzision bleiben von dem Mißgeschick unbenommen, daß nur ein Handlungsstrang, den das Stück mit anderen verknüpft vorsieht, wirklich inszeniert wurde. Die labyrinthartige Geschichte der Liebenden muß ich gestehen, in der Tat neu gesehen zu haben; aber eben nur sie. Weder die Handwerker noch die Oberon-Titania-Geschichte kommen ins Spiel, so daß der hoch artifizielle Aufbau der Dramaturgie zur alleinigen Liebesromanze verflacht und sich der Zuschauer fragt, warum der Regisseur Shakespeare und nicht Marivaux auserkoren hat. Zwingend scheint die Wahl des Stücks in keinem Fall.

Jeder Darsteller bewegt sich in dem ihm eigenen Rhythmus (Theseus schreitet mit ausladender und selbstgefälliger Gestik, Puck ist vor allem agil und seinem Herrn Oberon ein bequemer Sitzplatz), aber so etwas wie ein Rhythmus der Aufführung ist hinter der Serie von Szenen nicht erkennbar. Eingespielte Musiksequenzen durchrennen sie eher, als daß sie sie verbinden.

Sprachlich sind die Schauspielschüler angewiesen auf das, was ihnen die Natur mit auf den Weg gegeben hat, und davon besitzt die Darstellerin der Hermia (Katja Hensel) als einzige genug. Dennoch nahm das Festival in Menden insgesamt einen guten Anfang. Eine Uraufführung des polnischen Dramatikers und Übersetzers vieler deutscher Dramen ins Polnische, Jacek St.Buras, wird am 4.September folgen.

Max Regensburger