: Hoffnung für Juden aus Osteuropa
■ Frankfurts Stadträte beschließen, Juden aus Osteuropa als deutsche Vertriebene anzuerkennen
Berlin (taz) - Jüdische Emigranten, die aus der Sowjetunion und Osteuropa in die Bundesrepublik kommen und sich als Deutsche verstehen, haben es schwer in diesem Land. Als Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes werden sie nicht anerkannt, weil in den sowjetischen Pässen das Bekenntnis zum jüdischen Glauben als eine Zugehörigkeit zur jüdischen Nation gewertet wird. Die Passeintragung „Jude“ gilt in der Bundesrepublik als ein Bekenntnis gegen das „deutsche Volkstum“. Die Bürokratie handelt also nach dem Motto: Wer Jude ist, kann nicht Deutscher sein.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat bisher vergeblich versucht, das Nachweisverfahren über eine Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis für Juden aus den sowjetischen Republiken zu erleichtern oder zu vereinfachen.
Um so bedeutender ist daher der Beschluß Frankfurts, die Juden aus Osteuropa, die sich subjektiv als Deutsche fühlen, auch als deutsche Vertriebene anzuerkennen. Dies kündigten am Dienstag die Stadträte für multikulturelle Angelegenheiten, Christine Hohmann-Dennhard und Daniel Cohn -Bendit an. Möglich wird das, weil dem zuständigen Flüchtlingsdienst des Ausgleichsamtes im Frankfurter Sozialdezernat ein beratender Ausschuß beigeordnet wird, der strittige Fälle lösen wird. Dieser neue Ausschuß wird immer dann zusammentreffen, wenn sich die Glaubhaftmachung eines Antrages vornehmlich nur auf die Angaben des Betroffenen stützt oder der Flüchtlingsdienst dessen Angaben nicht folgen will.
Das bedeutet: Der Beweisnotstand für jüdische Emigranten wird abgeschafft. Eine subjektive Zugehörigkeit zum Deutschtum wird ausreichen, um in Frankfurt als Vertriebener anerkannt zu werden. „Es geht uns nicht um ein Sonderrecht für Juden aus Osteuropa“, betonte Cohn-Bendit gegenüber der taz, sondern modifiziert wird die „Zwangsinterpretation des Auswärtigen Amtes, wer Deutscher ist und wer keiner ist“.
Nachahmenswert ist die Frankfurter Regelung vor allem deshalb, weil der im Bundesvertriebenengesetz geforderte Nachweis für eine Zugehörigkeit zum „deutschen Volkstum“ für Juden eine makabre und zynische Angelegenheit ist. Der Emigrant muß nämlich Dokumente oder zumindestens glaubhafte Zeugen beibringen können, die das „Bekenntnis zum deutschen Volkstum“ belegen. Beweisfähig ist nach dem Vertriebenengesetz die Zugehörigkeit zu Vereinen mit deutsch -nationaler oder völkischer Zielsetzung, die Zugehörigkeit zu bestimmten christlichen Konfessionen, aber auch die sogenannten „deutschen Volkslisten“. Durchweg Beweise also, die jüdische Antragsteller von vornherein diskriminieren, weil sie nicht zu erbringen sind. Mit den „deutschen Volkslisten“ beispielsweise trennten schließlich die Nationalsozialisten in den besetzten Gebieten die semitische Spreu vom arischen Weizen. Als ein Beweis des Deutschtums gilt auch bis heute eine ehemalige Mitgliedschaft in der SS.
Pointiert bedeuten die Bestimmungen des Vertriebenengesetzes beispielsweise: Kinder lettischer oder polnischer Kollaborateure, die aufgrund einer deutschen Großmutter in die SS aufgenommen wurden und sich an antisemitischen Treibjagden beiteiligten, haben potentiell die Möglichkeit, in der Bundesrepublik als vertriebene Deutscher anerkannt zu werden.
Kinder verfolgter Juden, auch wenn die Vorfahren über Generationen deutsche Schulen besuchten, werden nicht als Deutsche anerkannt. Die geltendenden Bestimmungen schreiben so indirekt nationalsozialistisches Unrecht fort.
Die neue Frankfurter Regelung, die aufgrund eines Gutachtens des Rechtsprofessors Axel Azzola ausgearbeitet wurde, gilt allerdings nur für Juden aus der Sowjetunion und Osteuropa, die vor dem 1. Juli 1990 in der Bundesrepublik ankamen.
Nach den jüngsten Verhandlungen zwischen Bundeskanzler Kohl und Gorbatschow müssen die Bedingungen, um hier einen Vertriebenenausweis zu bekommen, im Ausreiseland geprüft werden.
Daniel Cohn-Bendit ist aber zuversichtlich, auch den später Ankommenden helfen zu können.
Anita Kugler
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