piwik no script img

Viel flotte Pampigkeit aus den regionalen Fenstern

■ Zwei private TV-Regionalmagazine im Vergleich: „Wir in Niedersachsen“ (SAT 1) und „Nord live“ (RTL plus)

Gleich hinter Bremen fängt Niedersachsen an, wo vor etwa einem Jahr SAT 1 und RTL plus begonnen haben, ihr regionales Fenster aufzumachen: RTL plus am 1. Juni mit „Nord live“, SAT 1 am 19. Juni mit „Wir in Niedersachsen“. Als stadtstaatlicher Bremer allerdings kann man an beiden Regionalmagazinen nicht fensterln: RTL plus ist in Bremen gar nicht lizensiert, SAT 1 nur mit seinem nationalen Programm.

Darum muß sich unsere Beobachtung beschränken auf Konserven der Woche vom 9. bis 13. Juli, und mit den zugeschickten Kassetten fängt's schon mal an: Laut Fernsehprogramm dauern beide Magazine jeweils eine Stunde, von 17.45 bis 18.45. Das stimmt für den Mitschnitt von SAT 1 - bei RTL plus hingegen fehlt eine Viertelstunde: Das Glücksspiel „Sterntaler“ von 17.45 bis 18 Uhr ist nicht dabei, und so wirkt „Nord live“ schon deshalb ein wenig seriöser als „Wir in Niedersachsen“, wo „Chance“, das „Supergewinnspiel“, im Magazin plaziert ist.

Nur an den Konserven liegt es nicht, daß beim Anschauen von „Nord live“ und „Wir in Niedersachsen“ der Eindruck entsteht: In Niedersachsen bewegt sich außer den Wetterwolken nicht viel. Das mag auch in der Themennot im Sommer liegen, obwohl RTL plus auch in der Hansestadt selbst ein Regionalmagzin eingerichtet hat. Und sicher spielt auch die schlechte finanzielle Ausstattung eine Rolle: Es tauchen ständig dieselben Reporternamen auf; das jeweilige Team muß also ziemlich klein sein. Aber das alles entschuldigt nur bedingt die erschreckende Einfallslosigkeit, den Mangel an Recherche und die naßforsch dahergestammelte Moderation in beiden Magazinen.

„Glückauf, gesamtdeutscher

Kumpel, deine Zukunft

ist dunkel“

Bei „Wir in Niedersachsen“ liegt die Moderation in einer Hand: Helga Hamade steht allein im Studio und hat sich der lässsig-coolen Präsentation verschrieben: Den „Tag nach dem Endspiel in Rom“ moderiert sie an mit einem Fußball in der Hand; ein aufgespannter Regenschirm soll hinweisen auf den „Antisommer“, und mit „och och tumtum tiketee“ Geheul samt Indianerschmuck auf dem Kopf bereitet sie vor auf einen Beitrag über die Karl-May-Festspiele mit Pierre Brice. „Glückauf, gesamtdeutscher Kumpel, deine Zukunft ist dunkel“, dichtet sie nach einem kurzen Beitrag über die Schließung eines Bergwerks in der DDR. „Ganz schön beschämend“ findet sie Dioxin im Kindergarten, und daß Niedersachsens Umweltministerin Monika Griefahn die Sommerferien auf einer Nordseeinsel verbringen will, sei mutig. „Aber die geht dann ja bestimmt mit Ganz

körperbadeanzug ins Wasser. die ist ja nicht blöd. Und wir sind auch nicht blöd“, schiebt sie zusammenhanglos nach. Ab und zu interviewt - besser gesagt: unterbricht sie Studiogäste: Den Kultusminister Wernstedt raunzt sie an, es sei „verdammt ärgerlich, wenn es zu wenig Lehrer gibt“.

Der Motzton und das ständige Unterbrechen sollen wohl die vielgerühmte Frechheit bei den Privaten suggerieren, doch diese Frechheit ist keine journalistisch bohrende, sondern eine persönlich pampige. „Haben Sie Stasi-Mitarbeiter beim Verfassungsschutz?“, fragt sie Joachim Bautsch, den Leiter der niedersächsischen Verfassungs-Behörde. Er hoffe nicht, antwortet der, und Helga Hamade erwidert: „Sie haben recht, man muß immer wachsam sein.“ Einen gänzlich rätselhaften Beitrag über Skulpturen in einem Hannoveraner Park - kein Wort über Anlaß, Dauer der Ausstellung oder Künstler beendet sie mit dem Satz: „Ham Sie gesehen? Plastik im Regen. Macht gar nichts, Plastik ist ja immer imprägniert. Und das war schon so viel doof, daß wir jetzt Schluß machen.“

Mit dieser ruppigen, gewollten Dusseligkeit springt einen die Moderatorin ständig an, um die journalistische Leere des regionalen Magazins zu übertönen. Am Freitag, dem „Nord -Talk„-Tag, an dem sie mit einem Kollegen bei „Mövenpick“ Talkshow macht, begrüßt sie das Publikum mit den Worten: „Das ist hier übrigens eine der erfolgreichsten Talkshows hier im Norden. Zumindest im privaten Regionalfernsehen, weil wir sind ja die einzigen.“

Reeperbahn-Schlacht:

„Tja, eimal mehr

erschütterne Bilder“

Eigenlob gibt es auch bei „Nord live“ von RTL plus: Hier sitzt ein Moderatorenpaar - Vera Cordes und Heinz Oberlach profihaft hinter dem Studiotresen und macht auf familiär: „Na, Heinz, hast du auch zünftig mitgefeiert gestern nach dem Endspiel?“, fragt die Kollegin, und Heinz, verzweifelt lächelnd, nickt. „Nord live“ zeigt, anders als SAT 1, nicht nur die grölenden Fans in Hannover, sondern die Schlachten auf der Hamburger Reeperbahn. „Tja, einmal mehr erschütternde Bilder“, findet Vera Cordes und kündigt die Kurznachrichten an, zu Oberlach gewendet: „Du bist jetzt dran, Heinz, und als erstes berichtest du, glaube ich, über die Giftmülldeponie in Münchehagen.“ „Ja ganz genau“, bestätigt Heinz und setzt sich in Positur.

Das gehört zum Konzept in diesem Magazin: Steife Gesprächssimulation zwischen den Moderatoren, was ebenso unbeholfen ist wie der Versuch, das Magazin als

journalistisch wertvoll herauszustreichen: „Wir haben schnell und gründlich nachrecherchiert“. Doch trotz dieser treuherzig ungeschickten Moderation - „und jetzt Themenwechsel“, oder: „Das war ein heißer Tip, weniger heiß bleibt allerdings das Wetter“ - trotz dieses Ungeschicks wird in „Nord live“ im deutlichen Unterschied zu „Wir in Niedersachsen“ an einer Magazin-Struktur gebastelt: Montag ist Sport dran, Dienstag Carlheinz Hollmann mit „Klar text“. Am 10. sprach er mit Heinz Galinski über Angst oder Nicht -Angst der Juden vor deutschem Nationalismus. Mittwoch „Film ab!“ mit Kinotips für Niedersachsen; Donnerstag die „Reportage“, diesmal zum Thema Gewalt von Hooligans, und Freitag „Nord-Life“ mit einem Unterhaltungsthema, diesmal Freitag, der 13.! - Gespräch mit einer Wahrsagerin über den traditionellen Unglückstag.

Das journalistische Niveau dieser Rubriken ist freilich niedrig: Der eitle Hollmann plaudert unkonzentriert -verblasen, die Kinotips werden von vollgequasselten Kommerzfilm-Trailern unterbrochen, die Reportage über Gewalt von Fußballfans und Neofaschisten reiht Bild an Bild und springt im Kommentar von purer Sensationsmacherei über Kritik am unorganisierten Polizeieinsatz zur Kritik an „den Bedingungen“ für Gewalt. Und jene Wahrsagerin in „Nord-Live“ war nun wirklich der Gipfel im Ausweiden eines Themas Freitag, der 13. -, das keines ist. Doch im Vergleich zu „Wir in Niedersachsen“, wo täglich von Hölzchen nach Stöckchen gesprungen wird, wo man am Ende der Sendung schon nicht mehr weiß, was eingangs berichtet wurde, fällt in „Nord live“ immerhin auf, daß jemand da ist, der sich Gedanken darüber macht, wie man eine Sendung strukturiert.

SAT 1 hat dreimal in einer

Stunde Kurznachrichten, die sich natürlich meist wiederholen und häufig unfreiwillig komisch präsentiert sind: „Das Lager Friedland platzt aus allen Nähten“, erzählt der Nachrichtensprecher, während hinter ihm auf einem Foto der grüne Minister Trittin herzlich lacht. Die Nachrichten über den Kälbermast-Skandal werden über Tage hinweg vom immer gleichen Foto käuender Kälber illustriert - einen Bericht zu diesem Thema gibt es bei SAT 1 nicht, wohl aber in „Nord live“, wo man überhaupt viel häufiger mit der Kamera unterwegs ist, auch wenn man nicht viel mehr mitbringt als wortkarge Interviews im Grünen.

Supergewinnspiel:

Gäste applaudieren

von der Konserve

Montag, Dienstag und Donnerstag gibt es bei „Wir in Niedersachsen“ auf SAT 1 das „Supergewinnspiel Chance“, bei dem ein fahrig desinteressierter junger Mann namens Andreas Franke zwischen zwei Kandidatenpaaren steht, die Begriffe aus Sport, Unterhaltung oder „Land und Leute“ erraten müssen. Ein kleiner Film führt uns nach Salzburg, und der Quizmaster fragt: „Aus Salzburg kam der größte Musiker aller Zeiten. Wer war das?“ „Karajan“, meint ein Kandidat. „Nein. Mozart. Der ist mit 35 gestorben“, sagt Franke, „na, da hab ich ja noch zwei Jahre.“ Gewinnen kann man Geld, Telefunken -Geräte, Phil-Collins-Konzertkarten, Ein-Tages-Reisen in die Heide oder - „mit Ihrem zuverlässigen Partner air voyage“ 14-Tages-Reisen nach Kreta und Mallorca. Als Zuschauer wird man auch animiert, sich zu beteiligen, um vielleicht eine Reise oder Schinken zu gewinnen. Ausscheidende Kandidaten erhalten ein struppiges Blumensträußchen - und Applaus von

Gästen im Studio, die man freilich niemals sieht. Also wird es wohl eine Applauskonserve sein - fast schon wieder mitleiderregend billig wirkt diese Show, in der, mit Ausnahme der Nachdenk-Sekunden für die Kandidaten, unentwegt Supermarkt-Bigband-Klänge tönen.

Mittwochs gibt es, statt „Chance“, 20 Minuten lang „Oldie„ -Videoclips, präsentiert von Elena Brandes, die wissen will, ob „ich auch so cool wirke“ wie die Frau im Clip. Dann zieht sie sich zurück „mit meiner Fanpost“. Und freitags erholt sich das „Wir in Niedersachsen„-Team beim „Nord Talk“ - an jenem Freitag mit Evelyn Künneke, dem „Unterhaltungs -Urgestein“, mit einem „Headhunter“, der Führungskräfte ins Management hineinberät, und mit Jim Rakete, „Rockimpressario“ - wobei das Doppel-S im Insert wohl eher auf Rechtschreibschwäche bei SAT 1 hindeutet als auf ein beabsichtigtes Spielen mit diesem Wort. Hier nun, bei „Mövenpick“, ist endlich das Reden aus dem hohlen Bauch Programm. Jetzt muß sich keiner mehr abplagen mit der sauren Pflicht zur Regionalberichterstattung, mit Beiträgen, zum Beispiel, über die „Futterköchin“ im Zoo Hannover, über „Hurra, hurra, die Ferien fangen an“, über den „Funkfinger“ der Caritas, mit dem „die alte Frau Gäbelein“ per Knopfdruck Hilfe herbeiholen kann oder - jaja, auch das kommt vor über Insektengift im Kräutertee oder das Gift in den Vinyl -Tapeten. Ein bißchen Umwelt muß hin und wieder sein. Ab Montag wieder.

Der Abspann verrät:

„Vera Cordes trägt Mode

von Cartoon“

Jetzt sitzen sie in Freizeitstimmung da, Helga Hamade und ihr Kollege Bernd Schmidt, „vonDyckhoff, dem Fachgeschäft für

Damen-, Herren-und Kindermode eingkleidet“, wie man es täglich im Abspann liest. „Dyckhoff“ ist ein zeitlos -hausbackenes Mode-Warenhaus, das mutlosen Kunden zeigt, wo's langgeht.

Die Moderatoren von „Nord live“ hingegen werden, auch das verrät der Abspann täglich, „von Daniel Hechter und Chanel Beaute gekleidet“, und „Vera Cordes trägt Mode von Cartoon“. Das klingt schon etwas wohlhabender, wie überhaupt „Nord live“ mit drei bis vier Werbeblöcken in 45 Minuten gut versorgt ist. SAT 1 hat keine Werbung, dankt aber im Abspann zahlreichen „Partnern“ wie „telefunken“ oder verschiedenen Reiseunternehmen, die am „Supergewinnspiel“ mit Preisen beteiligt sind.

Irgendein journalistisches Gespür für regionale Themen war in dieser Woche in keinem der beiden Magazine zu entdecken: Man sitzt halt in Niedersachsen und berichtet, in Worten oder Bildern, was ohnehin die Agenturen melden. Viel Zeit verbrachte man bei „Nord live“ mit Verbrauchertips und Vorbereitung auf die Ferien: Auto fahrtüchtig machen, auf Staumeldungen achten, Wohnung vor Einbrechern schützen („Merkblatt in Ihrer nächsten Polizeidienststelle“). Und beide Regionalteams stürzen sich wie Pawlows Hunde auf Ferienbeginn und Zeugnisse. In beiden Magazinen dieselben einfallslosen, gestellten Bilder: Schultür geht auf, die Kinder toben jubelnd in Richtung Kamera - dann Schwenk aufs Zeugnis: „Bist du zufrieden mit deinem Zeugnis?“ „Naja.“

Die Chance, aus sommerlicher Themennot wenigstens die Tugend der anspruchslosen Unterhaltsamkeit zu machen, wird standhaft vertan. Aus Wurschtigkeit? Unfähigkeit? Ich jedenfalls konnte mich in diesen knapp neun Stunden nur über eines zuverlässig amüsieren: über den „Teleshop„-Werbeblock in „Nord live“. Tagtäglich bietet dort ein aufgeräumter Herr zwei Dinge an: den „Alleshörer“, ein Walkman-ähnliches Gerät, mit dem man „eine Stecknadel fallen hören“ oder „das Flüstern von Menschen in drei Metern Entfernung belauschen kann“. Und: ein „unglaublich attraktives, blütenweißes Kleid“ mit Namen „Blanche“. „Angenehm feminin“ die riesengroße Schleife, die über den Rücken baumelt, der Ausschnitt ist „dezent gehalten“. In Offenburg - ganz weit im Süden - ist dieses wunderbar durchbrochene Kleidungsstück für 129 Mark zu haben. Könnte ich nicht vielleicht ...? Das Kleid? Als Rezensionsexemplar von RTL plus...? Ich würde auch bestimmt darüber schweigen und bei nächster Gelegenheit „Nord live“ mordsmäßig loben. Sybille Simon-Zülc

aus: epd/kifu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen