piwik no script img

„Alles ist Gedicht umher“

■ Vor 75 Jahren starb der expressionistische Dichter August Stramm

Ein deutscher Postbeamter zieht als Hauptmann der Reserve in den Ersten Weltkrieg. Aus dem Erschrecken über die Kriegswirklichkeit entstehen Gedichte, entsteht eine neue Sprache, die August Stramm zu dem Repräsentanten frühexpressionistischer „Wortkunst“ macht. Der Krieg befördert eine literarische Karriere, fortschrittliche Literatur wird zum Produkt reaktionärster Politik. August Stramm stirbt im zweiten Kriegsjahr an einem Kopfschuß. Auf den Tag genau 24 Jahre später fallen die Deutschen in Polen ein.

Jahresbeginn 1915. Die Landschaft der Oise. Stellungskrieg zwischen Peronne und Roye. In Gefechtspausen, im Unterstand, im Graben zwischen Blut und Dreck zwingt der Kompanieführer August Stramm sein Entsetzen in Kompositionen, für das die Sprache kaum Material bietet: GEFALLEN Der Himmel flaumt das Auge die Erde krallt die Hand Die Lüfte sumsen Weinen Und Schnüren Frauenklage Durch Das strähne Haar.

Nach einer Woche ununterbrochener Gefechte schreibt Stramm an den Verleger und Herausgeber des 'Sturm‘, Herwarth Walden: “...Du hast einmal gesagt, man kann sich alles vorstellen. Du hast Recht. Alles. Aber vorstellen und das vorgestellte erleben sind zweierlei. Ich bin nicht furchtsam. Ich habe keine Furcht gefühlt. Das war mir zu lächerlich klein. Zum Fürchten war alles zu furchtbar. Aber ein Grausen ist in mir, ein Grausen ist um mich herum, wallt, wogt umher, erwürgt verstrickt, es ist nicht mehr rauszufinden. Entsetzlich. Ich habe kein Wort. Ich kenne kein Wort. Ich muß immer nur stieren, stieren um mich stumpf zu machen. Um all das Gepeitschte niederzuhalten.“

Dreizehn Monate Krieg lang ringt Stramm dem Geschehen Worte ab, die er zu Gedichten verfugt, die in der Zeit des deutschen Expressionismus ohne Beispiel bleiben. Taufrische literarische Ware vom Originalschauplatz des Vernichtung. Walden veröffentlicht sofort, was ihn erreicht, und Stramm wird der Repräsentant der unter dem Namen „Wortkunst“ apostrophierten Dichtungstheorie des 'Sturm‘.

Die Radikalisten, Modernsten vereinigt Walden in seiner 'Wochenschrift für Kultur und Künste‘. Kandinsky, Marinetti, die Manifeste der Futuristen. Walden präsentiert die Kunstavantgarde. Kokoschka, Klee, Marcks, Macke, Feiniger, Chagall. Zu den ersten Autoren gehören Döblin, Lasker -Schüler, Ehrenstein, Scheerbart, Mynona, K.Kraus, van Hoddis, um nur einige hervorzuheben. Im März 1910 erscheint das erste Heft. Im gleichen Jahr veröffentlicht der 36jährige August Stramm seine Dissertation über „Das Welteinheitsporto“. Die Traumkarriere eines deutschen Beamten steuert ihrem Höhepunkt entgegen. Vom Postsekretär zum Postinspektor. Ein Abbild biederer Gründlichkeit. Exakt, strebsam, korrekt bis in den pomadisierten Scheitel. In der komfortablen Karlshorster Wohnung zwei gehegte Kinder, eine treu umliebte Frau. Die Trivialautorin Elsa Krafft. Ihr flatterte aus der Feder, was den Bürger rührig freute. Genügte Stramm seiner Bürotätigkeit, füllte sie Seite um Seite für 'Die Gartenlaube‘ und Sonntagsbeilagen. Ruhetags tauschte Stramm den Vatermörder gegen die Samtjoppe und malte artige Stilleben im Stile der Impressionisten. Hin und wieder riß es ihn aus dem Kreise seiner Lieben fort zu einer militärischen Übung. Er avancierte zum Oberleutnant der Reserve, später gar zum Hauptmann. Stramm war kein bißchen Bohemien. Nicht einmal Kaffeehausgänger. Er trug, was sich gehörte, er tat, was die Pflicht gebot. Wie eine Krankheit sei das Dichten über ihn gekommen, erinnert sich die Tochter Inge Stramm. Mit dämonischer, vernichtender Gewalt. Renommierte Zeitschriften wie 'Simplizissimus‘ oder 'Die Jugend‘ lehnten ab, der Familie Nahestehende empfahlen die Konsultierung eines Nervenarztes. Stramm schreibt. Von früh um vier bis gegen acht. „Schrecken Sträuben / Wehren Ringen / Ächzen Schluchzen / Stürzen / Du! / ...“ Dann geht er ins Amt. Wird Oberpostinspektor mit Berufung ins Reichspostministerium. In seiner Schublade, neben anderem, das später von Paul Hindemith vertonte Drama „Sancta Susanna“ und der grausam-komische Einakter „Rudimentär“. Mann und Frau warten in ihrer gruftigen Wohnküche auf die erlösende Wirkung des Gases. Schlecht ist ihnen schon, aber in diesem Saustall gefunden zu werden, geht zu weit. Das Sterben wird unterbrochen. “... et soll nich heeßen ... nee ... et warn doch ordentliche Leite ... solln se sagen...“ Beim Dreckumwälzen findet sich ein Rest Schnaps, eine Kippe. „... wir kennten so scheen lebn...“ Nach kurzer heftiger Schlägerei und nachfolgender Begutachtung der noch vorhandenen fraulichen Reste, entschließen sie sich, den Rest Wäsche zu „vakloppen“ und die Frau auf die Straße zu schicken. Verzögerung tritt ein durch den bemerkten Tod des Kindes. “... Wir ham dir jemordet!“ Lange Zeit zum Klagen bleibt nicht, denn da kriecht der Hund unterm Bett hervor, und da ist dieses verdammte Wort, das auf einem Zeitungsfetzen an der Wand hängt. Rudimentär. “... dät is'n Blinddarm...“ weiß der hinzugekommene Hausfreund zu erklären, “...son Ding, wat so rumbaumelt ... wien Portmonä ... abkommen ... wat een bloß noch lästig ist...“ In seinen Taschen klimpert's noch. Hyänen mit menschlich deformierten Schädeln, so umbuhlen sie sich, so treten sie sich, so versichern sie sich ihrer Anständigkeiten. Freude kommt hoch, als man feststellt, daß „se uns det Ja jeschperrt“ haben. Kein Mord, keine Scherereien mit der Polizei. „...eenes janz nadierlichen Dodes...“ Das Leben ist noch was wert, und so geht's in den Tiergarten.

Stramm schreibt. Kein Verrückter, kein Außenseiter. Ein Einsamer, ein dichtender Beamter, der die Sprache in die Pflicht genommen hat. Anfang 1914 findet Stramm in Walden den Verleger. Walden hat den Mann gefunden, dessen Dichtkunst er wegweisend der spektakulären Malerei zur Seite stellen kann.

Am 29. Juli '14 wird Stramm 40 Jahre. Drei Tage später gehorcht er seiner Abkommandierung in den Krieg. Ohne Begeisterung, nur selbstgetreu. Das jubelnde Kriegsgeheul so vieler Schreiber ist ihm zuwider. „Dehmel kam mir zu Gesicht neulich. Sein Kriegsgedicht. Quatsch, Schleim, Jauche. Wo sind Worte für das Erleben. Stümper elendige. Ich dichte nicht mehr, alles ist Gedicht umher. Elendes, feiges, heimtückisches Grausen...“

Im August 1915 hat Walden erreicht, wofür andere Desertation, Kriegsgericht, Irrenhaus und Tod auf sich nahmen. Stramms Befreiung vom Kriegsdienst. Stramm unterschreibt nicht und fährt von seinem letzten Urlaub zurück an die Ostfront. Seine Kompanie ist auf 25 Mann geschrumpft. „Es kreist noch so viel ungeborenes in mir, daß ich nicht sterben kann, daß der Weltgeist es nicht zulassen kann.“ Dieser Glaube, wenige Monate zuvor von ihm formuliert, hat ihn lange verlassen. Er geht, weil er seine Jungs nicht im Stich lassen kann. Am 1. September tötet ihn ein Kopfschuß bei einem Sturmangriff östlich von Brest -Litowsk.

“...Hier gibt es so schöne Gräben! Da scheint Sonne und Mond hinein und der Regen träufelt. Ab und zu kommt ein Bein raus und wird wieder zugeschaufelt. Aus Aberglaube vielleicht. ... Ich würde sicherlich ein Bein rausstrecken! ... Und wenn das Bäuerlein wieder friedlich das Feld ackert und die Knochen beiseite schmeißt, das wäre ein Heidenspaß. Entschuldigt!“

Andrea Czesienski

Heute abend, um 20 Uhr im Literarischen Colloquium, Am Sandwerder 5: „Dichter und Krieg. Eine Veranstaltung aus Anlaß des 75. Todestags des expressionistischen Wortkünstlers August Stramm.“ Vorgeführt werden der Kurzfilm „Späte Versöhnung“ und die Hörspielcollage „Das Wort schon stockt mir vor Grauen“. Unter dem Titel „Nach der Literatur“ diskutieren der Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott und der Konzeptkünstler Jochen Gerz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen