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Sand auf Mallorca

■ Ein offener Brief zum Buch "Ein Winter auf Mallora"

Ein Reisebericht aus dem Jahr 1840 ist heute ein touristischer Bestseller auf Mallorca.

Die modern anmutende Klage George Sands über Touristenbeschiß in Spanien wird dort wie hier ohne kritischen Kommentar verkauft, aber scheinbar auch nicht gelesen. Denn spätestens dann müßte man/frau entweder das Bild einer toleranten und politisch einfühlsamen George Sand korrigieren oder aber wünschen, ihr Bericht wäre niemals verlegt worden.

Der aggressiven, literarisch verbrämten Abrechnung mit den Mallorquinern schickt der deutsche Herausgeber Ulrich C.A. Krebs (dtv-klassik) ein Vorwort voraus, in dem es heißt: „Es ist ihr allerdings nicht zu verdenken...“ Warum eigentlich nicht? “...daß sie dem Herzen in ihren Aufzeichnungen Luft macht.“ Luis Rapoll geht im Vorwort der in Spanien verkauften deutschsprachigen Ausgabe zwar auf zeitgenössische Kritiker - wie den jungen Jose Maria Quadrado - ein, allerdings um ihn (und nur ihn) ob seiner leidenschaftlichen und sicherlich auch beleidigenden Reaktion in der Literaturzeitschrift 'La Palma‘ (März 1841) zu tadeln.

Während den Kritiker heute keiner mehr kennt, begegnet einem auf der Insel allenthalben „Ein Winter auf Mallorca“. Ein Sommer auf Mallorca 1989 war Anlaß für einen fälligen offenen Brief.

erehrte Baronesse, sehr geehrte Madame Dudevant, liebe George Sand!

Ihren Reisebericht Ein Winter auf Mallorca haben Sie mit der erklärten Absicht niedergeschrieben, um „alle früheren weit in den Schatten zu stellen“.

In der Tat übertrifft Ihr Buch manches, was wir in den darauffolgenden einhundertfünfzig Jahren bewegter europäischer Geschichte an Chauvinismus und Rassismus vorfinden. Sie haben das Land und seine Leute abschätzend in Augenschein genommen wie eine Eroberin. Das Land hat vor Ihren verwöhnten Augen bestehen können - der Mallorquiner nicht.

Er „versteht nicht“, „schätzt wenig“, „ist nicht fähig“, „kann sich nicht aufraffen“, ist von „unglaublicher Langsamkeit“. So „bleibt ihm nichts anderes übrig als zu vegetieren, als seinen Rosenkranz abzuleiern und seine Hosen zu flicken, die in einem traurigeren Zustand sind als die von Don Quijote, seinem Vorbild an Armseligkeit und Stolz“. „Erweckte ihn nicht die Eitelkeit von Zeit zu Zeit aus seiner Erstarrung, um ihn zum Tanz zu treiben, würde er die Festtage verschlafen.“ Daß die Eingeborenen anders riechen als ihre wohlparfümierte Pariser Gesellschaft, konnte Ihrem Eroberungsinstinkt nicht lange verborgen bleiben. „Wird einem an der unwirtlichsten Stelle der Duft ranzigen Olivenöls zugetragen, braucht man nur aufzuschauen, man wird in hundert Schritten Entfernung einen Mallorquiner auf seinem Esel sehen.“ Ihr dreimonatiger Aufenthalt war Ihnen ausreichend, um festzustellen: „Es gibt nichts Erbärmlicheres und Elenderes auf der Welt als diese Bauern, der nur beten, singen und arbeiten kann, und niemals denkt.“

Diese Ausführungen und nicht „Zöllner und Gendarmen“ - wie Sie fälschlicherweise behaupten - sind „Verkörperungen des Mißtrauens und Fremdenhasses“, den wir heute Ausländerfeindlichkeit nennen und der sich ähnlich zwiespältig darin äußert, in einem Atemzug Italiener als „Spagettifresser“ und Afrikaner als „Bimbos“ zu bezeichnen und gleichzeitig vom herrlichen Urlaub auf Sizilien oder der Safari in Kenia zu schwärmen. Es ist erstaunlich, daß es Ihnen im Verlaufe Ihres Berichts gelingt, diese Tiraden noch zu übertreffen: „Er ist nicht hassenswerter als ein Ochse oder ein Schaf, denn er ist nicht mehr Mensch als das Wesen, das unschuldig im Tier schlummert. Er spricht seine Gebete, ist abergläubisch wie ein Wilder, aber er würde seinen Mitmenschen bedenkenlos auffressen, wäre es des Landes so der Brauch... Ein Fremder ist für ihn kein Mensch... Wir hatten Mallorca 'Affeninsel‘ genannt, weil wir uns inmitten dieser tückischen, diebischen und dennoch unschuldigen Biester daran gewöhnt hatten, vor ihnen auf der Hut zu sein, ohne ihnen mehr zu grollen... als die Inder der schelmischen und scheuen Orang Utans.“

Mit Verlaub, Madame, so schreibt eine Faschistin! Welch ungeheuerliche Feststellung in wohlgesetzten Worten, welch grandiose Projektionen Ihrer eigenen Aggressivität! Ihr ehrliches Entsetzen angesichts der Zeugnisse der Inquisition in Spanien hätte Sie eigentlich davor bewahren müssen, einem Volk den Status des „Menschseins“ abzusprechen. Auch die Mörder der Inquisition haben ihre Opfer zuvor in einem willkürlichen intellektuellen Akt außerhalb der Gemeinschaft der Christenmenschen gestellt. Die Nationalsozialisten in Deutschland, hundert Jahre nach Ihrer Zeit, haben mit bedrückend ähnlichem Vokabular, wie Sie es benutzen, die spätere Vernichtung von vielen Millionen Menschen anderer Rasse oder Nationalität als angebliche Schädlinge des Volkskörpers gerechtfertigt. Bei Ihrer Analyse der darniederliegenden mallorquinischen Landwirtschaft haben Sie scharfsinnig einen Zusammenhang hergestellt zwischen der Initiativlosigkeit der verarmten Bauern und den Großgrundbesitzverhältnissen. Aber dann stellen Sie alles wieder auf den Kopf. War es denn wirklich „eine eingefleischte knechtische Gesinnung, welche die Mallorquiner zu Dutzenden in den Dienst der Reichen und Adligen trieb“, oder nicht vielmehr Armut, Hunger und eben der fehlende Besitz von Land und Kapital?

Elitäre Intoleranz und pseudoreligiöser Eifer kennzeichnen auch heute noch häufig unsere Beziehungen zu den Völkern der sogenannten Dritten Welt. Wie Sie bereits 1840 zu formulieren beliebten: „Eines Tages werden wir sie in die höhere Zivilisation einweihen, ohne ihnen vorzuhalten, was wir alles für sie getan haben. Sie sind noch nicht erwachsen genug, um den revolutionären Stürmen zu trotzen, die das Streben nach Vervollkommnung über unseren Köpfen entfesselt hat... Einst wird der Tag kommen, da sie von uns die Taufe der wahren Freiheit empfangen werden... Und während die angrenzenden Völker nach und nach in unsere revolutionäre Kirche eintreten, werden sich diese unglückseligen Insulaner, durch ihre Schwäche in ständiger Gefahr, die Beute böser Nachbarn zu werden, unserer Gemeinde anschließen“. Die fraternite Ihrer stolzen Französischen Revolution haben Sie offenbar vergessen, Ihre egalite sträubt sich vor dem ranzigen und faulen mallorquinischen Affenmenschen, und seine Freiheit ist Ihrer liberte ein Greuel.

Sie mögen meinen Zorn unverständlich finden und meine Schlußfolgerungen ungeheuerlich überzogen, wollten Sie doch nur „wie durch ein Fernrohr“, „passiv“ und scheinbar objektiv beschreiben, was Sie zu sehen glaubten. Die gelegentlich gehörte Entschuldigung, Ihre Kritik sei Ihnen vielleicht aus persönlicher Betroffenheit oder wegen erlittener Kränkungen damals zu ätzend geraten, kann ich nicht gelten lassen. Ihr Reisebericht erschien doch zwei Jahre nach Ihren aktuellen Erlebnissen. Zugestanden, meine „Weisheit“ resultiert aus der Distanz einer um einhundertfünfzig Jahre fortgeschrittenen europäischen Geschichte. Ich hätte Ihren literarischen Ruhm auch unbekrittelt gelassen, wenn nicht ausgerechnet auf Mallorca Ihr Pamphlet zu einer Art touristischen Besteller geworden wäre.

Wenn Sie sehen könnten, was heute aus Teilen Mallorcas geworden ist. Wenn Sie in Palma oder Arenal promenierten oder Ihre Klosterzelle inValdemossa aufsuchten, könnten Sie mit schauriger Genugtuung festellen, wie wörtlich Ihr Tadel mangelnder Gastfreundschaft und fehlender Angepaßtheit der Mallorquiner beherzigt wurde. Wiederum nicht aus „knechtischer Gesinnung“, sondern unter ökonomischen Druck haben die Einheimischen Teile ihrer Insel und ihrer Seele hingegeben. Und schlimmer noch, hier kann jeder Fremde sofern er es nötig hat - im Kleinen die Erfahrung machen, die Insel gehöre eigentlich ihm, und die Mallorquiner müßten froh sein, ihn in seinem Urlaub bedienen zu dürfen. Mallorca ist nur ein Beispiel solcher Expeditionsländer. Nach Hause zurückgekehrt, stellt sich so keine Verständigung der Völker ein, man hat ja gerade unter südlicher Sonne in einem „objektiven“ Kulturvergleich seine eigene Überlegenheit beweisen können.

In Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland - es wird Sie erschrecken zu hören - erreichen erneut ultrarechte Parteien Stimmengewinne, die mit Parolen wie „Ausländer raus“ Stimmung machen gegen alles Fremde. Sie haben freilich keine Möglichkeit mehr, ihren unglückseligen Reisebericht daraufhin kritisch durchzuarbeiten und sich so aus der schlechten Gesellschaft herauszubegeben, in die Sie nolens volens geraten sind. Ihre Verleger lassen es bei sehr vorsichtigen Vorworten bewenden. Ich meine aber, Ihr Reisebericht verlangt eine Antwort aus heutiger Sicht. Dies sind wir Ihrem literarischen Ruhm, Ihrem Mut und Ihrem ehrlichen politischen Engagement schuldig. Sie haben, Madame, ein vieldeutiges Lehrstück über den Umgang mit fremden Völkern abgeliefert. Wir Touristen könnten darin wie in einem Spiegel eigene Überheblichkeiten, nationalistische Ressentiments und die unbewußte Neigung wiedererkennen, der Angst vor den Fremden durch ihre tatsächliche oder phantasierte Niederwerfung beizukommen.

Immerhin haben Sie damals ihren mallorquinischen Gastgebern zugehört und deren Antworten getreu protokolliert: „Ihnen gefällt unser Land nicht? Warum bleiben Sie dann hier? Wir kommen auch ohne sie aus. Sie glauben wohl, daß Sie bei uns alles auf den Kopf stellen können?“

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