: Das mentale Unentschieden
■ Bochum und Frankfurt einig im Nullzunull, die Zuschauer uneins zwischen Jubel und Murren
Von Christoph Biermann
Bochum (taz) - Ja was denn! Wie sollte man es halten mit diesem Nullnull? Die Zuschauer im Ruhrstadion waren sich völlig uneinig.
Als die Frankfurter und Bochumer Spieler freundlich winkend ihren Fankurven entgegenliefen, wurden sie aus einer ungewöhnlichen Mischung aus Jubel und Pfiffen begrüßt. Das Nullzunull ist halt immer noch das garstigste aller Fußballergebnisse und sorgt scheinbar allein für Tristesse und Langeweile. Selbst die höchstpersönliche Ansichtnahme eines doch guten Spiels führt nicht zwangsläufig zu einer positiven Stellungnahme.
Am speziellen Beispiel von Bochum kam erschwerend hinzu, daß die Spieler die Aufgaben ihrer Trainer sorgfältig erfüllt hatten. „Taktisch diszipliniert“ hieß es im Branchenjargon von Frankfurts Berger und Bochums Saftig. Schließlich hatten beide vorher die große Sorge gehabt, ihrem jeweiligen Gegenüber zu viel Platz zum erfolgreichen Konter einzuräumen. Dagegen hatten sie sich allerlei Kniffe und Anweisungen einfallen lassen, und die Spieler hatten sich neunzig Minuten daran gehalten. So war es kein jugendlicher Stutzen-runter-Sturmlauf, sondern ein erwachsenes Unsere-Chance-wird-kommen-Spiel. Schön sah das aus, wie beide Mannschaften ruhig kombinierten, gelassen die Lücke suchten und sie gelegentlich auch fanden. Bochum hatte einige Chancen mehr, aber da zeigte sich, daß die historische Einsicht „it's not made by great man“ zumindest auf die Bundesligageschichte dieses Samstags nicht zutraf. Der große einzelne - Uli Stein - rettete die Eintracht nämlich einige Male mit atemberaubenden Paraden ganz allein.
Der VfL Bochum scheint in dieser Saison seine Inspiration aus der gleichen Quelle zu beziehen wie die Eintracht im Vorjahr: Es ist der Schrecken der Relegation, den die Spieler von Beginn an mit aller Macht abwehren wollen. Ein „das bitte nie mehr“ führt zu konzentrierter, schwungvoller Arbeit auf dem Rasen. Wegmann und Rzehaczek zeigten darüberhinaus noch etwas Fußballkunst, während Ersatzstürmer Stefan Kohn in seinem 100. Bundesligaspiel überzeugend wie selten kickte.
Eintracht Frankfurt übernahm den Part des ganz schönen, aber etwas ziellosen Fußballs. Das Samt-und-Seide-Mittelfeld mit Möller, Bein und Falkenmayer produzierte zwar nicht nur Höhepunkte, aber es gibt trotzdem keine Mannschaft in der Liga, die dem Ball mit soviel Zartgefühl entgegentritt. Fast wirkt ihr Spiel auf dem Rasen vornehm, adelig gar, und unwillkürlich klingt einem der Name des ehemaligen Vereinspräsidenten wieder im Ohr: Achaz von Thümen.
Solche Feinsinnigkeiten gingen den Pfeifern im Ruhrstadion sicherlich ab. Sie hatten aber andererseits mit feinem Sinn etwas bemerkt, was den Jublern vielleicht entgangen war: Eigentlich war schon vorher alles klar. Frankfurt mußte Gründel, Yeboah und Weber ersetzen, Bein, Falkenmayer, Studer und Körbel waren nicht ganz gesund. Bei dieser Ausgangslage und dem guten Saisonstart des VfL im Blick spielten sie auf ein Unentschieden. Auch der VfL Bochum mußte auf Spieler verzichten, nicht alle auf dem Platz waren ganz gesund, sie hatten einen Meisterschaftsfavoriten zu Gast, und so steuerten auch sie ein Remis an.
Beide Trainer hatten ihre taktischen Verhinderungsmaßnahmen ausgegeben. So wuchs schon vor dem Anpfiff ein Unentschieden in den Köpfen, dem wir den leuchtend-neuen Fachterminus „das mentale Unentschieden“ geben können.
Weil sich auf dem Rasen eben alle an die Vorgaben hielten, wurde aus dem mentalen ein reales Remis, ein logisches Nullzunull. Die Pfeifer fanden's blöd, die Jubler freuten sich über ein schönes Spiel und dachten schließlich, daß die Torlosigkeit vielleicht doch an Uli Stein gelegen hat.
Bochum: Wessels - Kempe - Oswald, Reekers - Nehl, Ridder, Rzehaczek, Heinemann, Wegmann, Legat (64. Peschel) Kohn
Frankfurt: Stein - Binz - Roth, Körbel - Lasser, Möller, Bein (73. Sievers), Falkenmayer, Studer - Turowski, Eckstein (59. Sippel)
Schiedsrichter: Berg (Konz)
Zuschauer: 18.504
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