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Worte, Blasen und Wichtigkeiten

Uwe Lehmann-Brauns, der Oppositionshassemer, steigt dieser Tage wieder ganz gewaltig ein zur Rettung des „begehrten Rohstoffes Kultur“ (Originalhassemer). Zuerst schickt er uns eine Broschüre: Kultur im Übergang, die sich beim Durchlesen als Mao-Bibel für metropolen Kulturjargon entpuppt, und dann steigt er in den Ring für Mehrausgaben diversester dezentraler bis alternativer Kultureinrichtungen. So ist es brav, da lächelt auch Volker H.

Was aber macht Anke Martiny? Sie übernimmt die Schirmherrschaft für den Graffiti-arts-Wettbewerb auf dem Berliner Oktoberfest. Daß auch der Schaustellerverband den Metropolenjargon beherrscht, zeigen uns so vortreffliche Begriffe wie Kunstinsel, kreativer Spielraum und eben Graffiti arts auf der Pressemitteilung zum Ereignis. Jeder kann mitmachen bei Graffiti arts, muß allerdings 100 Mark berappen als Startgeld. Die drei schönsten Graffiti bekommen Geldpreise - wie hoch, geht nicht aus dem Schreiben hervor, vielleicht werden es ja mehr als 100 Mark werden. Anrufen unter 310799.

Johannes Müller schreibt uns, nennt uns liebe Freunde und setzt überall dort, wo im Text sonst „Sie“ steht, handschriftlich „Ihr“ drüber. So was wärmt unser Herz, und was unser Herz wärmt, wird abgedruckt. Also: Johannes macht bei der Volkshochschule Tiergarten ein Experiment, heißt: Kunst und Wirklichkeit, und darin wird der Text eines Märchens durch Fakten aus dem Bereich Rüstung und Rüstungsexport angereichert. Telefoniert die Volkshochschule an: 39052338!

Niemanden anrufen und auch nichts zu bezahlen braucht man bei den 11. Steglitzer Kunsttagen. Einfach in eines der 67 Steglitzer Geschäfte gehen und die Werke von 82 Künstlerinnen und Künstlern anschauen, sozusagen zwischen Schrippe und Knackern noch Bildung mitnehmen - wir sind doch ein Kulturvolk.

Einen Höhepunkt der deutschen Kultur wird es am Dienstag und Mittwoch im Friedrichstadtpalast geben: Dort wird vom ZDF die 31. Peter-Alexander-Show aufgezeichnet. Und weil wir in Berlin sind, darf ein Urberliner nicht fehlen: Günther „Hertie“ Pfitzmann wird es sein, der Mann mit dem Bilka-Charisma.

Schon lange geht das Gerücht, daß man den „Ossies“ ('The Guardian‘) all die Kulturgüter andreht, die hier niemand mehr haben will: Am Ku'damm durchgefallene Filme bekommen in Mecklenburg eine letzte Chance und Bücher, die seit 20 Jahren und länger nicht mehr gelesen werden (zum Beispiel Ludwig Erhards Buch über die soziale Marktwirtschaft). Letzter Beweis: Aerobic im SEZ (Sport- und Erholungszentrum an der Leninallee), immer montags, mittwochs und donnerstags ab 19 Uhr 30. Dabei heißt das doch jetzt wieder Gymnastik.

Und schon sind wir wieder beim Thema: Es wächst zusammen, was zusammengehört, diesmal Schauspieler und Publikum. Denn am 23. September steigt in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg -Platz die längste Theateraufführung seit Bestehen der DDR. Das Drama mit dem Titel DIERÄUBERANDERERMACHART soll achtundvierzig Stunden dauern, und am Ende sollten Schauspieler und Publikum nicht mehr zu unterscheiden sein. Versprochen wird uns ein „Wetterleuchten in der Berliner Theaterlandschaft“, auch wenn bisher niemand von den Veranstaltern weiß, was dabei herauskommt. Aber leuchten ist immer gut, erst mal.

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