piwik no script img

Bank der Demokratie

■ Die DDR-Leichtathletik verabschiedete sich

PRESS-SCHLAG

Eine Bank wird doch auch nicht von den Filialen regiert.“ Heinz Kadow, Vizepräsident des absterbenden DDR -Leichtathletikverbandes (DVFL), ist verzweifelt. Und er hat kapiert: die Bank, das ist der West-Verband (DLV), der mit dem Geld, der Macht. Doch die Einlagen dieser Bank bestehen aus Leistungssportlern. 34 EM-Medaillen (zwölf Gold, zwölf Silber, zehn Bronze) hat die DDR im Kampf um die Kaderplätze erhalten. Mehr als je zuvor bei einer EM. Der Westverband, die Bank, hat sechs Medaillen vorzuweisen. Eine Filiale.

Und während Kadow mit letzter Kraft an den DLV appelliert, verabschiedet sich im Stadion eine der erfolgreichsten Sportnationen der Welt. Mit einer Ehrenrunde, die Fahne mit Hammer und Sichel wehmütig ein letztesmal vor sich hertragend. Eine halbe Stunde später, bei der Abschlußfeier, ist das Symbol bereits vereinnahmt, verknotet mit der BRD -Flagge. „69 DDR-Sportler sind angetreten, 55 erreichten die Finals, über 50 Prozent kamen mit einer Medaille heraus“, rechnet Kadow vor. Doch um Zahlen geht es ihm nicht. „Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Sportlern. Im Oktober geht das Training wieder los. Und wir haben noch kein Rezept für Erfolgssicherung.“ Das der DDR, das habe ihm DLV -Sportwart Manfred Steinbach klargemacht, kann aus Kostengründen nicht übernommen werden. Dann muß man sich eben an dem der Briten und Franzosen orientieren, Alternativen schaffen, sagt Kadow.

Staunend lauschen Steinbach und DLV-Chef Helmut Meyer. Was sie ihrem Team in Split anbieten konnten, war wenig mehr als Athletenschelte: „Zu verwöhnt, kein Biß, schlecht“, schoben sie die Pleite den Sportlern in die Schuhe. Doch waren es in erster Linie die Funktionäre, die nicht funktionierten. Steinbach kennt seine Athleten kaum beim Vornamen, Moltke, der Vizepräsident, redet viel und schnell, und der Leistungs -Meyer will unbedingt zum Medaillen-Meyer werden und läßt bereits jetzt die voraussichtlichen Medaillen für die WM in Tokio hochrechnen.

Ursachenforschung? Kein Thema! Dabei würde es genügen, Harald Schmid zu fragen. „Falsche Wettkampfvorbereitung, verkehrte mentale Einstellung, ungenügende Berufsausbildung“, diagnostiziert der Ex-400 m Hürdenläufer. Falsches Training also, und ungenügende Betreuung durch den Verband. Kadow sieht das offenbar ähnlich: „Ich sage ihnen etwas, das nicht mit dem DLV abgesprochen ist. Es wäre eine Dummheit, wenn an der Spitze der neuen deutschen Leichtathletik nicht Dr.Bernd Schubert, der Mannschaftstrainer der DDR, stünde, als fester Trainer.“

Meyer zuckt zusammen, Steinbach legt los. Von „zugegebenermaßen großen Lücken in der Leichtathletikentwicklung“ ist die Rede, von Arbeitsebenen, Finanzebenen, und von Demokratie, und das man in einer ebensolchen nicht einfach die 24 Bundestrainer austauschen kann. Wegen der Arbeitsverträge. So ist man auf eine Aufstockung des Etats durch das Bundesinnenministerium (BMI) angewiesen. Und der Bundeshaushalt 1991 wird noch auf sich warten lassen. Und wegen der Trainer - die können schon nach und nach auf freiwerdende Stellen gesetzt werden. Mit Zeit und Honorarverträgen, versteht sich. „Vorher müssen sie sich aber erst bei uns beweisen“, erdreistet sich Steinbach. Das sei nämlich auch Demokratie.

Doch wolle man die Ausdünnung des Sports auf DDR-Gebiet verhindern. Fünf neue Olympiastützpunkte sollen eingerichtet werden, in jedem Bundesland einer, das Geld vom BMI ausschließlich in die DDR gesteckt werden. Auch die Übernahme von schätzungsweise fünfzig der 600 DDR-Trainer soll nach der Prioritätenliste des DVFL vorgenommen werden, wahrscheinlich auch auf Grund der Demokratie.

Kadow wimmert nur noch, bittet, doch noch einmal über Konzepte nachzudenken. Noch ist nicht einmal heraus, ob DDR -Funktionäre in DLV-Gremien Sitz und Stimme erhalten werden. Aber als neue Oberlehrer in Sachen Demokratie müßte das für den DLV ein Muß sein. Über den nächsten Sportboykott, Herr Meyer, stimmen dann auch die Sportler ab, demokratisch, versteht sich.

-miß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen