: Späte Menschlichkeit für NS-Opfer
■ Land Berlin erleichtert die Anerkennung für Verfolgte des Nazi-Regimes
Von Klaus Hartung
Berlin (taz) - Einen „Durchbruch“ nannte Hilde Schramm (AL) die von der rot-grünen Koalition beschlossene Gesetzesnovelle. Und Helmut Hildebrandt (SPD) setzte hinzu: „Ein Signal an Bonn.“ Es handelt sich darum, daß noch vor dem 3. Oktober, dem Beitritt der DDR, im Land Berlin das „Gesetz über die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus (PrVG)“ an entscheidenden Punkten geändert werden soll. Die Neuregelung dieses Landesgesetzes räumt tatsächlich mit dem ganzen Wust an Drangsalierungen, Härten und bürokratischer Willkür auf, die von den Verbänden der NS-Verfolgten voller Bitterkeit als „zweite Verfolgung“ kritisiert wurde. Nach dem geänderten Paragraph 1 muß man nicht mehr ein Deutscher sein, wenn man als NS-Opfer anerkannt werden will. Wer bei Inkrafttreten des Gesetzes in Berlin wohnhaft ist, kann als Verfolgter anerkannt werden. Im Paragraph 2 werden die Verfolgungstatbestände so umfassend formuliert, daß sie auch dem tatsächlichen Bild der nationalsozialistischen Unterdrückung entsprechen. Ganz besonders wichtig ist, daß jetzt ein privatärztliches Attest genügt, um einen „Verfolgungsschaden“ anzuerkennen. Die Tortur durch das ärztliche Gutachten-Wesen entfällt. Auch soll niemand mehr von der Anerkennung ausgeschlossen werden, wenn er nach dem 30. November 1948 sich „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt“ hat. Rentenberechnungen werden jetzt erleichtert und Witwen (Witwer) werden bessergestellt. Auch Personen in Heimpflege erhalten nicht mehr nichts, sondern wenigstens 250 DM Taschengeld. Außerdem wird ein Beirat nur aus Vertretern der Berliner Arbeitsgemeinschaft der Verfolgtenverbände gebildet.
Diese späte Großzügigkeit oder besser Gerechtigkeit, deren sich im Lande Berlin nun die Verfolgten erfreuen können, wird etwa nur noch 300 „Fälle“ betreffen. Insgesamt ist dafür eine Aufstockung des Haushaltstitels um 10 Millionen Mark für 1991 vorgesehen. Für Ost-Berliner gilt grundsätzlich, daß die DDR-Rentenregelung für NS-Opfer dem Einigungsvertrag zufolge übernommen wird. Nur diejenigen, die auf Grund politischer Mißliebigkeit von diesen Ehrenrenten ausgeschlossen waren, kommen - mit einem entsprechenden Überleitungsgesetz - in Genuß dieses geänderten PrVG. Es wird nicht mehr viele betreffen. Für die gesamte DDR werden es ohnehin nur noch 400 Personen sein. Ein humanes, aber allzu spätes Ende der düsteren Entschädigungsgeschichte. Immerhin ist alles gestrichen, was die Wiedergutmachung der Opfer nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) so terroristisch machte. Ein Signal an Bonn? Die Entschädigung ist Bundessache und das Berliner PrVG ist deswegen kein Entschädigungs- sondern ein Anerkennungsgesetz, das gewissermaßen die Härten des BEG kompensiert. Anträge nach dem BEG sind nicht mehr möglich. Härtefälle können nur noch einen Sonderfond beanspruchen. Dessen 300 Millionen Mark sind nur zu einem Bruchteil ausgegeben worden. Bisher erhalten 130 Zwangssterilisierte, zwei Homosexuelle und fünf Deserteure Zahlungen. Daß Großzügigkeit nicht nur notwendig ist, sondern zynischerweise auch nicht mehr viel kostet, das wäre ein Signal an Bonn. Das andere betrifft die Zwangsarbeiterfrage. Bonn verschanzt sich hinter dem Londoner Schuldenabkommen, wonach die Frage auf jenen Friedensvertrag vertagt ist, der nun nicht mehr kommen wird. In Berlin werden auch ausländische Zwangsarbeiter, die zum Inkraftreten des Gesetzes in der Stadt gemeldet sind, anerkennt, allerdings aus gesetzestechnischen Gründen nicht als Zwangsarbeiter, sondern als „national Geschädigte“. HIER DIE TAZ-BADETUCH ANZEIGE
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