: Die symbolische Kriegslogik der Medien
■ Die 'Bild'-Zeitung, die Golfkrise, „der Irre“ und „wir“
DEBATTE
Am treffendsten hat Mitterand unsere Lage formuliert: „Wir stecken in einer Logik des Krieges“. Zu dieser Logik gehört eine symbolische Kriegslogik des Medienkurses. Dabei müssen komplexe und komplizierte machtpolitische, militärische und ökonomische Prozesse in einfache Interaktionen zwischen ein paar „Männern“ umgerechnet werden, damit „wir“ uns einfühlen und dadurch überhaupt erst richtig ein kriegerisches „Wir“ bilden können. Die subjektive Rüstung der Medien besteht demnach in Feindbildern im Wortsinne: Fotos und Karikaturen von bösen Männern, Subjekt-Situationen, in denen „wir“ symbolisch bedroht und vor allem „gedemütigt“ sind, Kollektivsymbole von Feuer, Flut, Epidemie und Griff an die Gurgel. Und bei diesem Wörterbombardement (Schlag-Zeilen) tut 'Bild‘ mit symbolischen ABC-Waffen in vorderster Front mit, als symbolische ABC-Schützen-Abteilung sozusagen.
'Bild‘ als symbolische ABC-Schützenabteilung
Es war deshalb eine wahrhaft strategische Entscheidung, als die 'Bild'-Redaktion dafür votierte, von sofort ab bis zum Endsieg uns unseren täglichen „Irren“ heute zu geben. Am ersten Tag war er noch der „Hitler von Bagdad“ gewesen (nach US-amerikanischen und westeuropäischen Vorbildern: 'Bild' -Schlag 3.8.: „Krieg! Der Hitler von Bagdad“), aber seitdem ist er der „Irre“ schlechthin (was ja eine bestimmte Vorstellung von Hitler wundervoll einbegreift). Damit ist tatsächlich eine diskursive ABC-Waffe im Einsatz. Es genügt ja beileibe nicht, wenn jeder einzelne Deutsche sich persönlich von Saddam bedroht fühlt: es braucht auch ein kriegerisches „Wir“, eine „Solidarität“, und dazu braucht es auch ein feindliches „Sie“. In Edward Saids nicht genug zu empfehlendem Buch Orientalismus sind (im Anschluß an Foucault) die einschlägigen Fakten nachzulesen: Immer ist der „Orient“ das konstituierende „Andere“ des „Okzidents“ gewesen. Ohne „orientalischen Fanatismus und Wahnsinn“ keine „abendländische Vernunft“. Ohne „asiatischen Despotismus“ keine „abendländische Demokratie“.
Und wenn es wahr ist, was schon Heidegger schwante, daß die deutsche Sprache ein besonders enges Verhältnis zur Wahrheit hat: ist es dann nicht geradezu von metaphysischer Tiefe, daß unsere Sprache bei „Irrak“ und „Irran“ die „Irren“ immer gleich mitdenkt? So konnte denn auch die 'Zeit‘ zu Recht über den Nahen Osten titeln: „Region des Wahnsinns“. 'Bild‘ sendet an uns alle also eine mehrstimmige Botschaft. Am deutlichsten ist die Stimme des „gemeingefährlichen Irren“ mit der unausgesprochenen Implikation „Triebtäter“: Mit Vorliebe stellt 'Bild‘ ihn einer einzelnen Frau und einem einzelnen Kind gegenüber: „Deutsche entkam dem Irren“ ('Bild'-Schlag 20.8.) - „Der Irre und das Geiselkind“ ('Bild'-Schlag 24.8.) - „Wie eine Frau, deren Mann selbst Geisel des Irren ist, anderen Geiseln Mut macht“ (24.8.). Das ist anschließbar an die Stimmung in Dörfern mit offener Psychiatrie: Der Irre ist am Schulweg aufgetaucht! „Was macht der Irre jetzt?“ ('Bild'-Schlag 9.8.). Aber Gott sei Dank sind Polizei und Feuerwehr auch unterwegs, um ihn einzukreisen und notfalls „unschädlich zu machen“ ('BamS‘ 19.8.): „Der Irre ist umzingelt“ ('Bild'-Schlag 14.8.). Was dabei allerdings völlig untergeht, ist die vernünftige Überlegung, daß ein Maximum an Überlebenschancen für Geiseln und sonstige Menschen (einschließlich Kindern und Frauen) darinliegen dürfte, auf einen Volksaufstand im Irak im Kontext einer arabisch-islamischen Lösung zu setzen. Offenbar muß der „Irre“ statt dessen ganz schnell „plattgemacht“ werden, egal wer sonst noch umkommt (Simulation 'Bild‘: „Der Irre ist platt!! Danke, Amerika!!“) - dazu gleich Näheres.
Zusammen mit der Stimme vom „Triebtäter“ erklingen nun weitere dunkle Stimmen, die vom kollektiven Unbewußten eingesogen werden: Die „Region des Wahnsinns“ muß ein für allemal „zur Vernunft gebracht“ werden. Schließlich gibt es dort niemand, der nicht plötzlich wahnsinnig werden kann: lange Zeit waren Gaddafi und Chomeini doch die Irren, gerade auch für 'Bild‘ (ein „Psychologe“ analysierte am 15.4.1986 Gaddafis Foto als das eines Irren - so wie jetzt Saddams Handschrift von Experten als die eines Irren analysiert wurde). Damals überfiel Saddam den Irren Chomeini, schien also bei bester Vernunft.
Syriens Assad, mit dem Bush jetzt ein „gutes Gespräch“ am heißen Draht führte, war vor kurzem noch ein Irrer. Wir können sicher sein, daß nach Saddams Ausschaltung die nächsten Irren schon vorprogramiert sind (zum Beispiel könnte der „Irran“ dadurch wieder stark werden!) Schließlich der besondere deutsche Basso continuo „Gas“: Saddam ist der eigentliche Hitler, daß heißt Hitler als Irrer. Als Irrer war Hitler Asiat: Saddam-Hitler beweist im nachhinein Noltes These, daß Auschwitz eine „asiatische Tat“ war (haben sich dort nicht Asiaten gegenseitig vergast wie unter Saddam?) Indem wir Saddams (von uns gelieferte) Gasanlagen zusammen mit ihm selbst ausschalten, können wir Hitler symbolisch endgültig nach Asien, in den Orient abschieben... Nach okzidentaler Logik ist es einzig und allein der Irrsinn, der die „Zurechnungsfähigkeit“ und damit den Genuß von Autonomie, Freiheit, Selbstbestimmung (gerade auch juristisch) gänzlich aufzuheben erlaubt. Damit hat 'Bild‘ für den Endsieg über den „Irren“ die Weichen gestellt: Eine „Option Noriega“ scheidet aus. Saddam kann und wird nicht gefangen und vor ein Gericht gestellt werden. Einen neuen Nürnberger Prozeß wird es nicht geben, weil Irre unzurechnungsfähig sind.
Symbolisch wird Hitler endgültig in den Orient abgeschoben
Daß Saddam von der Rechtsstaatlichkeit in der Tat nicht verdaut werden könnte, dürfte allerdings auch ohne „Irrsinn“ einleuchten: Schon der Noriega-Prozeß zieht sich hin, weil Bush (immerhin Ex-CIA-Chef und damit in nächster Nähe aller schmutziger Wäsche der USA) fürchten muß, daß Noriega auspackt. Und nun Saddam! Über zehn Jahre der engste Verbündete gegen den „Irran“ und seinen „Irren“ (Chomeini). Saddam, der die geheimsten Deals nicht nur mit dem Pentagon, sondern auch mit Frankreich (Verteidigungsminister Chevenement ist der Protektor der „Französisch-irakischen Freundschaftsgesellschaft“!) und mit deutschen Managern, darunter ABC-Managern, ausgetüftelt hat... Der Mann kann in der Tat nicht weniger als vollständig „irre“ sein; hätte er nur einen Funken Vernunft, so wäre er der fürchterlichste Kronzeuge gegen die „freie Welt“, der je existiert hat. Er würde in einem Super-Water- und Irangate den Rest von „Vertrauen der Finanzmärkte“ mit sich in den Abgrund ziehen: Irrengate. Saddam wird also wie ein „gemeingefährlicher Irrer“ enden müssen: durch physische Liquidierung. Der Stabschef der US-Luftwaffe hat jedes Wort überlegt, als er am 24.8. erklärte, daß in einem „schnellen, entscheidenden Vernichtungsschlag... auch der irakische Präsident Hussein und seine Kommandostruktur zerstört“ werden müßten.
Was uns das alles angeht? Zumindest symbolisch wird diese Lösung als UNO-Lösung gelten. Wenn also demnächst die Bundeswehr im Rahmen einer endlich von der verbliebenen Supermacht lenkbaren UNO militärisch in die Dritte Welt geht (die SPD ist schon dafür, sogar einige Grüne), wird sie in diese und keine andere „Logik des Krieges“ eintreten. Jeder kann es vorher gewußt haben und jede: ach überhaupt - hat die Frauenbewegung dazu wirklich nichts zu sagen?
Jürgen Link
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