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„Dein Kind ist das Opfer seines Vaters“

■ Frauen, deren Kinder sexuell mißbraucht wurden, wird von der Umgebung oft nicht geglaubt

Im Kindergarten werfen sie ihr vor, daß sie nicht eher dahinter gekommen ist, warum ihre dreijährige Tochter seit Wochen auffällig aggressiv ist. Jaqueline S. erinnert sich: „Nicole wurde immer fieser und gemeiner. Ich fand einfach keinen Grund dafür.“

Die Kleine ließ sich nicht mehr ausziehen und fauchte ihre Mutter an: „ich bin nicht aus deinem Bauch rausgekrochen. Ich schlaf bei Papa, weil er mich lieb hat.“ Als sie Rötungen im Intimbereich ihrer Tochter entdeckte und Nicole zudem meinte, „er liegt mit dem Popo auf mir“, begriff Jaqueline S., daß ihr geschiedener Mann die Dreijährige sexuell mißbraucht.

Am nächsten Tag stürzte sie zum Amt für Soziale Dienste und zum Familiengericht, um per einstweiliger Verfügung das Sorgerecht zu bekommen und die Tochter zu sich nehmen zu können. „Es macht mich völlig fertig, daß er hier in der Nähe wohnt und daß er sich an seiner eigenen Tochter vergriffen hat.“ Dabei sei ihr ehemaliger Mann „eher der verschlossene Typ“, ganz normal und nicht aggressiv. Er habe sie nie gewaltätig angefaßt, erzählt die 23jährige Mutter.

Sie lebt jetzt mit ihrem zweiten Mann und ihrer Tochter in einer winzigen Wohnung, ist arbeitslos und weiß nicht, wie sie die nächsten Monate finanziell überstehen soll. Schlechte Karten also, um dem materiell wesentlich besser gestellten Ex-Mann das Sorgerecht streitig zu machen. „Es gibt nichts, wo die Mütter sich mal aussprechen können. Die Gefühle sind bei allen gleich: Haß, Ekel, Panik und Ohnmacht,“ beschreibt Jaqueline S. die Situation von sich und ihren Leidensgefährtinnen.

Die erste Zeit habe sie „nur geschrien, geheult und starke Beruhigungsmittel genommen“. Um überhaupt etwas zu tun, erstattete sie Strafanzeige. Bei der ersten Anhörung stand Aussage gegen Aussage und der Anwalt von Nicoles Vater betonte, sein Mandant habe sich liebevoll um die Kleine gekümmert und keine Ahnung, wie es zu solchen Vorwürfen gekommen sei. Dann kam eine Kinderpsychologin mit Puppen und Bildern zu ins Hause, die ein Gutachten schreiben sollte. Sie habe sich erst zufrieden gegeben, als Nicole sie angeschrien habe „Papa lag auf meinem Bauch“. Das Verfahren läuft noch.

Julia W. hingegen, mit der Jaqueline S. Kontakt aufgenommen hat, hatte bisher noch nicht den Mut, den Vater ihres Kindes anzuzeigen. Vor drei Wochen machte ihr eine Freundin klar: Dein Sohn ist das Opfer seines Vaters. Der Vierjährige weinte ständig, sah Monster rund um sein Bett schleichen und gestand schließlich, „Papas Glied wird groß und dick und spritzt mir in den Mund“. Da rief Julia W. endlich eine Ärztin und den Kinderschutzbund an. Der Junge kehrte seine Wut, plötzlich nicht mehr zum Vater zu dürfen, brutal nach außen, vor allem gegen seine Mutter.

Inzwischen im Kinderschutzzentrum in Therapie, malt der Kleine fortwährend die gleichen eindeutigen Szenen. „Er verdrängt alles, fühlt sich schuldig und hat Angst, bestraft zu werden“, schätzt die 33jährige Pädagogin, der dennoch von allen Seiten Zweifel und Diskriminierungen entgegenschlagen: Phantasiert das Kind? Lügt die Mutter? Denn der Vater des Mißbrauchten ist in einer Einrichtung für Kinder tätig. „Wenn er mir über den Weg läuft“, sagt Julia W., „mach‘ ich einen auf Marianne Bachmeier.“ Lisa Schöneman

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