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Frauentritte auf dem Herrenrad

■ Heute startet in Roubaix die 7. Tour de France der Frauen - zum ersten Mal von der Männer-Tour emanzipiert, jedoch im Schatten der Medien: Eine Geschichte von 1869 bis heute

Aus Paris Alexander Smoltczyk

Elvire de Bruyn kam aus Belgien und war unschlagbar. Niemand trat so drastisch in die Pedale wie sie, niemand war so ausdauernd, und so konnte keine Konkurrentin ihr 1933 den ersten Weltmeistertitel im Frauen-Radfahren streitig machen. Bravo Elvire! Nur der leicht androgyne Körperbau der Weltmeisterin war Mäklern Anlaß, vor dem Frauenradeln zu warnen, weil es Gift für die weiblichen Formen wäre. Ein böses Vorurteil, dessen Haltlosigkeit sich vier Jahre später kurios beweisen sollte, als Elvire heiratete - unter seinem richtigen Namen Willy...

Dies war und blieb aber die einzige Panne in der ruhm- und ränkereichen Geschichte des Frauenradrennens, die an einem ersten November des Jahres 1869 begann, als eine Mademoiselle Julie die „500 Meter von Bordeaux“ gewann. Heute, mit dem Startschuß zur siebten Frauen-Tour de France soll eine neue Etappe in Angriff genommen werden. Diesmal allerdings ein Abstieg in die Ebenen.

Frauen-Radsportlerinnen müssen, das ist bekannt, nicht nur gegen widrige Winde, Anhöhen und Uhren ankämpfen wie ihre Kollegen, sondern auch gegen deren Vorurteile. Als Frankreichs Staatspräsident 1975 auf dem Pariser Radsalon auf eine leibhaftige Radrennfahrerin stieß, war sein Erstaunen groß: „Ja, gibt's denn so was überhaupt?“ Dabei hatten die „Velowomen“ schon hundert Jahre zuvor gezeigt, daß „auch wir Frauen solche Leistungen bringen können. Wenn wir vielleicht auch schwächer sind als die Männer, dann aber dafür ausdauernder auf den langen Strecken“, sagt die Amerikanerin Betsy King, die erste Frau, die 1984 im Männer -Peloton die „Bordeaux-Paris„-Tour mitfuhr.

Am 7. November 1869 startet in Paris, der Hauptstadt des Cyclismus, das erste große Radrennen: die 123 Kilometer bis nach Rouen. Unter den 129 Teilnehmern vermerken die Zeitungen jenes Tages auch fünf Velowomen in einer Kleidung, die wenig später Mode machen wird: einteiliger Badeanzug, schwarze Strumpfhosen und lange Handschuhe, all das verziert mit diversen bunten Bändern. Angesichts der allgemeinen Prüderie haben die Fahrerinnen das Recht aufs Pseudonym. So wird eine „Miss America“ nach knapp 24 Stunden ihr Velociped ins Ziel treten - immerhin als 29. (der Sieger James Moore benötigte knapp zehn Stunden).

Dann ging alles sehr schnell. 1885 stellt Madame Allan den ersten Geschwindigkeits-Weltrekord der Frauen auf: 321 Kilometer in 24 Stunden; und nur elf Jahre später wird Amelie Le Gall die hundert Kilometer in 2:41 Stunden fahren, also ebenso schnell wie noch drei Jahre zuvor der schnellste Mann dieser Jahre, ein gewisser Jules Dubois. 1903 findet dann die erste Tour de France statt. Ohne weibliche Beteiligung wohlgemerkt. Erst fünf Jahre später gelingt der Aviatorin Marie Marvingt nicht nur die Teilnahme, sondern auch die erfolgreiche Beendigung der (Tor-) Tour.

Knüppel zwischen

den Speichen

Obwohl seit 1923 regelmäßige Frauen-Straßenrennen organisiert werden und sich 1927 der erste Radfahrerinnen -Verband konstituiert, werden den Radlerinnen von den Sportpatriarchen ständig Knüppel zwischen die Speichen geworfen. In keiner anderen Sportart (Gewichtheben und Boxen ausgenommen) hatten es die Frauen so schwer, als gleichwertige Sportlerinnen anerkannt zu werden. Auf dem Herrenrad herrschen wir, lautet die Parole. Noch 1952 aberkennt die „Union Cycliste Internationale“ sämtliche Frauen-Weltrekorde, weil „so etwas“ in den Statuten nicht vorgesehen sei. Die erste Weltmeisterschaft 1958 wird von der Luxemburgerin Elly Jacobs gewonnen, in deren Heimat jegliche Frauen-Radrennerei verboten ist! In Spanien wurde ein ähnliches Verbot erst nach dem Tod Francos aufgehoben.

Ein erster Schritt zur Besserung ist erreicht, als trotz der Prophezeiung von Opa Coubertin („Eine Frauen-Olympiade ist undenkbar. Sie wäre undurchführbar, unästhetisch und unzüchtig!“) das Frauen-Radrennen als olympische Disziplin eingeführt wird. Blieb noch die „Tour“ zu erkämpfen, das Elysium des Radsports. Immerhin gibt es Anfang der Achtziger schon 1.200 lizenzierte Radsportlerinnen in Frankreich.

Als die Tour-Verantwortlichen 1983 verkünden, im nächsten Jahr eine Frauen-Tour durchzuführen, schwanken die Reaktionen zwischen Belustigung, Indifferenz und Skepsis. Das Fachblatt „La Provence cycliste“ kommentiert: „Frauen, die die großen Pässe hochkriechen? Kann man sich vorstellen, wie sie völlig ausgepumpt in Alpe d'Huez oder in Avoriaz ankommen, grau vor Staub oder schwarz von Schlamm? Werden sie sich den Kameras stellen, wenn sie derart entstellt sind, ohne sich vorher ein wenig frisch zu machen?“

Da sich keine Sponsoren finden, wird die Frauen-Tour aus dem Budget der Männer-Tour finanziert. Dennoch müssen die Belgierinnen wegen Geldmangel absagen. Nach langen Verhandlungen erklärt sich die FIAC bereit, achtzehn Renntage zuzulassen, obwohl das Amateur-Reglement nur zwölf vorsieht. Die Frauen sollen auf der gleichen Strecke wie die Männer fahren (nur die Pyrenäen werden ausgelassen), jedoch jeweils erst sechzig Kilometer vor dem Ziel starten. Dadurch, so die Organisatoren, würde den 36 startenden Frauen die gleiche Aufmerksamkeit der Medien zuteil wie ihren Kollegen. Doch als die sechs Equipes vorgestellt werden, vermerkt das Protokoll den plötzlichen Abgang aller Anwesenden. Die Radlerinnen lassen sich davon nicht beirren, und nach gut tausend Kilometern wird die Amerikanerin Marianne Martin erste Tour-Siegerin der Frauen.

Eigene Tour ein

Schritt zurück?

Heute nun gehen wieder fünfzehn Amateur-Mannschaften von je sechs Sportlerinnen an den Start und werden in neun Etappen 859 Kilometer durch Nordfrankreich, die Niederlande, Schwaben und Luxemburg fahren. Aber die Frauen-Tour wird zum ersten Mal nicht gleichzeitig, auf dem gleichen Parcours und vor allem nicht vor den gleichen Kameras wie die Große Tour stattfinden. Ja noch schlimmer, sie wird uns in einer Mogelpackung verkauft. Die 7. Frauen-Tour ist heuer Bestandteil der sehr bescheidenen „Tour der Europäischen Gemeinschaft“, die seit 1961 für Spitzen-Amateure durchgeführt wird. Eine Zehn-Tage-Tour ohne Bergetappen und sonstige Höhepunkte, in der die Frauen-Tour präsentiert wird.

Die Pariser Veranstalter erklären den Kurswechsel damit, daß sich „der Frauenradsport vollständig emanzipiert“ habe, und sehr viel besser ohne den erdrückenden Apparat der großen Tour auskommen werde. Maria Canins, die zweimalige Tour-Gewinnerin aus Italien, sieht es anders: „Auf einen Schlag hat der Frauenradsport verloren, was er in zehn Jahren gewonnen hat. Ein großer Schritt zurück. Ich hoffe nur, daß er nicht fatal sein wird“, zumal mit den Frauen -Rennen der Bretagne und der Vendee in diesem Jahr auch zwei andere internationale Wettfahrten abgeschafft worden sind.

Zu allem Überfluß hat Medienmagnet Jeannie Longo im November ihr Rad an den Nagel gehängt, nachdem sie dreimal hintereinander die Tour gewonnen hat und zum Abschluß noch einen Geschwindigkeitsrekord aufstellte: 46,352 Kliometer in einer Stunde. Jetzt sitzt sie nicht mehr im Sattel, sondern als Sportdezernentin im Rathaus von Grenoble.

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