: Linke - wie hältst du's mit dem Teufel?
■ „Klassische“ Linke und starker intellektueller Anhang tun sich bei der Einstellung zu Hussein und Bush am schwersten
Plötzlich ist es wieder da, das Gespenst des Krieges. Die friedliche, scheinbar posthistorische Zeit dauerte nicht einmal zehn Monate - zu kurz wohl, um neue Mechanismen zur Bewältigung von Krisen aufzubauen. Zu kurz wohl auch, um all jenen ein neues Instrumentarium von Antworten zu verschaffen, die sich seit jeher für Frieden und Friedfertigkeit schlugen. So traf sich eine Gruppe Pariser Altlinker, kaum hatte Frankreichs Präsident Mitterrand Mitte August von der „Logik des Krieges“ gesprochen, um, wie damals zu Zeiten des Algerienkriegs, über den Aufbau eines illegalen Netzes für Deserteure nachzudenken. Vor den US -Stützpunkten Siziliens bildeten sich „Beobachtergruppen“, wie während der „Cruise„-Stationierung. Neue Blockaden von den US-Luftbasen in der BRD sind nicht mehr undenkbar. Doch Linke, Grüne, Friedensgruppen haben keinerlei einheitliche Haltung vorzuweisen - und manche drücken sich wohl auch ganz gerne vor Stellungnahmen. Die Grünen im Europaparlament schimpfen zwar über deren „Absens“ bei den Entscheidungen doch selbst waren die meisten von ihnen den ganzen August über unauffindbar. Inhaltlich lassen sich innerhalb der Linken allenfalls erste Lagerbildungen orten.
Für die einen steckt hinter dem Aktivismus der USA nichts anderes als der alte US-Imperialismus. „Der tiefere Sinn der amerikanischen Invasion im Golf, nach der in Vietnam und Panama, wird von dem Medienlärm übertönt“, schreiben der algerische Revolutionsführer Ben Bella und der islamisierte Ex-Kommunist Roger Garaudy in einem gemeinsamen Text. „Es geht um den Ölkrieg und eine neue Aggression gegen die Dritte Welt, um eine entscheidende Etappe im Krieg der Reichen gegen die Armen.“ Die europäischen Trotzkisten („Das ist nicht unser Krieg“, Alain Krivine von der französischen LCR) und ein nicht geringer Teil der westdeutschen Linken suchen die Hauptverdächtigen im eigenen Land, bei den Rüstungs- und Chemieexporteuren. Die „Ohne uns„-Haltung („Der Nahe Osten gehört den Arabern“) stößt freilich bei vielen französischen Linken auf Unverständnis - die Deutschen z.B. machten es sich „zu bequem“, wenn sie sich hinter dem Grundgesetz versteckten. Sie sollten sich Frankreich anschließen, gerade um einer amerikanische Hegemonie entgegenzuwirken.
Diskutiert wird vor allem in Parteien, die ihre Identität großenteils aus dem Anti-Imperialismus bezogen haben, etwa in Spanien und der Türkei (siehe die Artikel dazu), zunehmend auch in der französischen KP. In Italien haben sich PCI und die Linksunabhängigen über die Frage der Intervention gespalten. Ein Drittel der Fraktion hat während der Abstimmung über die Golfpolitik unter Mißachtung des bloßen Enthaltungsbeschlusses der Parteiführung den Plenarsaal verlassen. Begründung: Regierungschef Andreotti habe mit der Entsendung von Schiffen bereits Fakten gesetzt, die Abstimmung sei eine Farce. Erst langsam verlagert sich die Diskussion auf die eigentliche Frage: der Haltung zur Golfkrise. Dabei holt die parteiinterne Linke um Pietro Ingrao ihre alte, aus Parteirücksicht zeitweise zurückgesteckte Aversion gegen die USA hervor und sieht in Bush mehr und mehr den Bösen, während Iraks Hussein allenfalls als Kreatur des Westens erscheint. Die Mehrheitsfraktion um Parteichef Occhetto, die gegen den Willen des linken Flügels den PCI sowieso auflösen will und eine neue Sammelbewegung „progressiver und alternativer Kräfte“ anstrebt, will ihrerseits beweisen, wie pro-westlich sie eingestellt ist.
Im ehemaligen Mutterland des Anti-Amerikanismus, derSowjetunion, gab es zwar Ansätze zu einer Protestbewegung, als die Krisen-Kontakte zwischen Moskau und Washington bekannt wurden. Die Radikalen Boris Jelzins waren mit dabei sowie kleinere Dissidenten- und Gewerkschaftsgruppen. Doch als Gorbatschow nach seiner Unterzeichnung der UN-Resolution erklärte, keine Kriegsschiffe in den Golf schicken zu wollen, verebbte die Besorgnis. In den sowjetischen Zeitungen gibt es kaum andere Stimmen. In den Redaktionen kommt es jedoch zu Debatten, ob die golfpolitische Abstinenz Gorbatschows nicht zu sehr das weltpolizeiliche Monopol der USA fördert.
Die Angst, ein Golfkonflikt könne zu einer allgemeinen Kontroverse mit dem Islam werden, ist nicht nur bei der EG vorhanden, sondern noch stärker bei linken Intellektuellen. Viele Beiträge der ersten Wochen nach dem Einmarsch suchen zu klären, inwieweit Hussein als Sprecher der armen arabische Nationen legitimiert ist, inwieweit also der drohende Konflikt wirklich als erster Nord-Süd-Krieg und nicht als x-beliebige Expansion eines Militärregimes eingeschätzt werden muß.
Der Konfliktforscher Johan Galtung wirft in diesem Zusammenhang den Europäern, besonders aber Spanien, vor, ihre Vermittlerrolle zwischen arabisch-islamischer Welt und Westen zu leicht aufgegeben zu haben. Bisweilen ist die Furcht davor, den mühsamen Dialog mit dem Islam wegen eines Ölscheichtums gefährdet zu sehen, stärker als die Sorge um das Existenzrechts Kuwaits. Jacques Beque, Arabist am Pariser Geistestempel College de France, verteidigt den Irak mutig gegen die öffentliche Meinung seines Landes als „einziges Land der 3. Welt, das noch Dynamik zeigt“ und fordert eine internationale Konferenz über alle Okkupationen in Nahost.
Eine weitere Position gibt sich vor allem pragmatisch: „Hussein ist kein Nasser“ (so der Soziologe Alain Touraine), die Linke muß Interventionen gegen derartige Abenteurer unterstützen - gerade im Interessen der schwachen Staaten. Die deutschen Grünen Antje Vollmer und Udo Knapp billigen militärisches Eingreifen unter UN-Kontrolle nicht nur deshalb, weil Hussein mit Hitler vergleichbar sei: Auch pazifistische Mittel wie Wirtschaftsembargen seien ohne militärische Zwangsmittel Augenwischerei.
Solche Positionen sind vor allem dort geschätzt, wo die Kapitulation vor Hitler bleibende Narben hinterlassen hat: in Frankreich. Mit Ausnahme der Trotzkisten herrscht in allen Parteien der Linken, inklusive PCF, Konsens darüber, daß Frankreich auch militärische Verantwortung im Golf übernehmen muß, sofern die UNO ihren Segen dazu gibt und keine Chance für eine diplomatische Lösung mehr besteht.
Die Labour Party in Großbritannien unterstützt Thatchers Engagement im Golf voll und ganz - mit Erfolg: Meinungsumfragen haben ergeben, daß Labour ein paar Punkte zulegen konnte. Die Botschaft Neill Kinnocks lautet ebenso wie in Frankreich: In Fragen der Verteidigung steht die Opposition fest zur Regierung. Mit einer Ausnahme: Tony Benn vom linken Labour-Flügel nannte den Aufmarsch „einen Versuch der USA, mit voller Unterstützung Großbritanniens eine ständige militärische US-Präsenz in Saudi-Arabien einzurichten, um das feudalistische Regime dort zu stützen“.
Die liberale britische Presse schlägt inzwischen kritischere Töne an. Der 'Independent‘ schrieb am Samstag, Interventionen im Ausland seien Kniffe, die die Briten nie verlernt hätten. Die Golfkrise habe die Unterschiede in der Einstellung zwischen Großbritannien und dem Kontinent gezeigt. Mit Ausnahme von Frankreich sei Europa „vom Gefühl her isolationistisch“. London habe seine militärische Stärke vom Südatlantik bis zum Golf bewiesen und würde in den US -Kalkülen eine größere Rolle spielen als ein Deutschland, das weder psychische noch völkerrechtlich die Verfassung zum Kämpfen habe. Die britische Identität stünde so eher im Mittelpunkt einer atlantischen denn an der Peripherie einer europäischen Zivilisation.
Irland gibt sich neutral. Am Samstag gab es eine Demonstration verschiedener linker Organisation mit dem Tenor „Hände weg vom Golf“. Besonders kritisiert wird die Genehmigung, US-Kampfflugzeuge in Shannon zwischenlanden und auftanken zu lassen. Einhellig ist die Verurteilung der Geiselnahme. Die irische Unabhängigkeitsbewegung Sinn Fein: „Die irakische Regierung hat kein Recht, die Menschen gegen ihren Willen festzuhalten.“ Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl befinden sich freilich auch mehr Geiseln aus Irland in Irak und Kuwait als aus irgendeinem anderen Land.
Alexander Smoltczyk, unter Mitarbeit von Werner Raith (Rom)
Ralf Sotscheck (Dublin) un
Michael Bullard (Brüssel)
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