: „Wir brauchen keinen Weltpolizisten“
■ Der Bischof von Ivrea und Ex-Vorsitzende von „pax Christi“, Luigi Bettazzi, warnt vor Nord-Süd-Eskalation
INTERVIEW
Santini: Gerade wo die Welt mit dem Abbau der Ost-West -Auseinandersetzung und dem Ende des Kalten Krieges den Weg zum Frieden eingeschlagen glaubt, ist da der Alptraum eines neuen Krieges, der katastrophale Folgen haben könnte. Gibt es Wege, sich daraus zu befreien?
Bettazzi: Zunächst: Der einzige Weg, den man gehen kann, ist der über die UNO. Die dramatische Lage nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak muß man jedoch im viel größeren, komplexeren Rahmen der Nord-Süd-Frage sehen. Übrigens hat der Heilige Stuhl schon vor zwei Jahren, als der Gegensatz Ost-West noch bestand, in der Enzyklika „Sollecitudo rei socialis“ unter Bezug auf den Brandt-Report der Nord-Süd-Kommission darauf hingewiesen, daß dieses Problem wesentlich schwerwiegender ist als die Ost-West -Frage. Der Krieg des Irak, bei all den verdammenswerten Fehlern Saddam Husseins, ist ein Zeichen für die Spannungen zwischen einem intern armen und einem reichen Land der arabischen Welt. Natürlich ist die Arroganz des irakischen Diktators voll zu verurteilen - doch denken wir auch an die gleichzeitige Arroganz der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten: Anstatt sich sofort an die UNO zu wenden und dieser überparteilichen Organisation endlich ihren Wert zurückzugeben, haben die sich sofort für eine Art „direkte Justiz“ entschieden. Die große Gefahr ist in der Tat, daß die Amerikaner als Supermacht zu einer Art Weltpolizist werden - und dann alles nach ihren Bedürfnissen regeln. Vergessen wir doch nicht, daß hier eben dieselben Mächte zugange sind, die die Besetzung Palästinas und eines Teils des Libanons durch Israel und den Verbleib in Westjordanien zugelassen haben, ohne Flotten hinzuschickten und gar einen Krieg anzudrohen.
Zielen Sie auf eine neue internationale Ethik ab, eine neue Regelung, die Krieg in jedem Falle ausschließt und sich in gemeinsamen Institutionen wie der UNO ausdrückt?
Wir müssen unbedingt unsere Mentalität ändern und uns darüber klar werden, daß die hochindustrialisierten Staaten auch mit den Augen der ärmeren Ländern zu sehen lernen müssen. Derzeit entsteht jedoch der Eindruck, daß die westlichen Länder der UNO nicht hinreichend vertraut haben.
Wir hören derzeit viel vom „gemeinsamen Haus Europa“. Müßte sich dieses Europa nicht der Probleme annehmen und völlig neue Signale setzen?
Europa kann und muß gerade aufgrund der besten Elemente seiner Geschichte - wie der Grundlegung von Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität - viel tun, um die aktuellen Probleme anzugehen. Der Sozialist Craxi, als Beauftrager des UNO-Generalsekretärs für Fragen der Dritten Welt, hat auf die Gefahr hingewiesen, daß man sich nun mehr auf die Hilfen für den Osten konzentriert (damit diese sich besser entwickeln - und ihre Schulden zurückzahlen können) als auf die für die rückständigen Nationen, die weniger Gegenleistungen bringen können. Das Problem kann man nur durch internationale Solidarität lösen.
Das Gespräch führte Alceste Santini von der KPI-Zeitung 'L'Unita‘
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