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Pfötchengeben im Zeitalter des Wassermanns

■ Auf der Internationalen Zuchtschau Deutscher Schäferhunde in Frankfurt zahlen Japaner astronomische Preise für Punkte- SiegerInnen / „Schußgleichgültige“ Rüden, „Hecktriebler“ und Gebrauchshunde mit „ganzheitlichen Führungsaufgaben“

Aus Frankfurt Heide Platen

Wenn erwachsene Männer gröhlend, schreiend, mit Trillerpfeifen, Tröten und Tuten im Frankfurter Waldstadion herumhetzen, dann ist das Sport. Wenn sie dabei außerdem noch kleine Plastikeimerchen schwenken und wie wild auf Quietschtiere drücken, dann ist das Hundesport. Damit die aufgeregten Herrchen und Frauchen nicht zwischen die weit weniger aufgeregten Hunde geraten, sind auf dem Gelände, auf dem sich sonst gerade die Eintracht Frankfurt in die vorderen Bundesligaplätze kickt, sogenannte „Ringe“ abgetrennt. Innen drin ziehen Dutzende braunschwarze Deutsche Schäferhunde mit ihren FührerInnen ganz gelassen hintereinander im Kreis. 2.000 Aussteller aus 25 Ländern notierte der „Verein für Deutsche Schäferhunde“ (SV) zur dreitägigen SV- Bundessieger Zuchtschau. Ermittelt werden die Weltsieger in drei Klassen: Gebrauchshunde, Junghunde und Jugend.

„Sascha! Mischa! Marko! Arras!“, hallen hektische Rufe. Die Hunde sagen nicht mal „Wuff“. Das Geschrei und Gerenne außerhalb des Ringes soll die Tiere animieren, noch munterer, lebendiger, aufmerksamer dreinzuschauen als sonst. „Wir sehen das nicht gerne“, sagt Karl Krug vom Verband. Richter Reinhard Meyer, der die Punkte an die Junghund -Klasse Rüden vergibt, guckt indigniert. Er bewertet die Hunde dreimal: erst Standmusterung, dann Gangwerksprobe und schließlich Endausscheidung. Die Hunde müssen dem „Standard möglichst nahe kommen“, der am 22. April 1899 von Rittmeister Max von Stephanitz festgelegt und seither nicht verändert wurde. Dazu gehört, neben kräftiger Farbe, dichtem Fell und ausgeglichenem Charakter, vor allem ein kräftiges, rückwärtiges Fahrgestell. Der Schäferhund ist, erläutert Pressesprecher Gerhard Dalla-Bona, „ein Hecktriebler“: „Die Vorderpfoten hat er eigentlich nur, um nicht auf die Schnauze zu fallen.“ Davon, daß kritische Tierärzte die Züchter angegriffen haben, weil deren Vorstellungen vom Standard die Wirbelsäule der Tiere immer mehr verkrümme, will er nichts wissen. Ein ordentlicher Schäferhund ist für ihn vorne so hoch wie hinten. Alles andere sei „eine optische Täuschung“. Daß die Tiere mit ihren 42 vom Standard vorgeschriebenen Zähnen auch kräftig zubeißen können, liegt für die meisten Verbandsfunktionäre erstens an inkompetenten Haltern und zweitens an der Presse, die Panik gemacht habe.

Gerhard Dalla-Bona, der die Zahl der gesamtdeutschen Mitglieder seines Vereins auf inzwischen 120.000 schätzt, hält sich streng an die von der Vereinsleitung verordnete neue Image-Pflege. Der Verband sitzt in Augsburg und wird dort von rund 50 MitarbeiterInnen modern gemanaged. In der Vereinszeitung dieses Monats zeichnet Prof. Willy Gruber aus Memmingen die neue Linie: „Die Öko-Bewegung wird auch uns herausfordern, in bezug auf Hundehaltung und -pflege nach zeitgerechten Lösungen zu forschen.“ Im Zeitalter von New Age und Wassermann müsse der Deutsche Schäferhund „ganzheitlich“ auf „Führungsaufgaben“ vorbereitet werden. Er empfiehlt auf dem Weg zum liebenswerten Schäferhund, was gestandenen Hundeführern eher ein Greuel sein müßte, nämlich ein „paar Tricks abseits jeglicher Punkteordnung“, um den „Laien“ anzusprechen: „Pfote geben, Hut holen, Männchen machen“.

Gerhard Dalla-Bona ist pragmatischer. 96 Prozent aller Behörden und Rettungsorganisationen auf der Welt halten Schäferhunde, von Blindenhunden ganz zu schweigen. Körperbau und Behaarung machten ihn „von Afrika bis zur Arktis“ zum idealen Gebrauchshund: „Gebrauchstüchtigkeit ist das oberste Kriterium.“ Deshalb sucht wohl auch im Blättchen zum Beispiel die französische Armee per Anzeige „kampftriebstarke, schußgleichgültige“ Rüden. Darunter erwartet die Landeshauptstadt Stuttgart für ihr Geld „ausgeprägten Kampftrieb“ und „rücksichtslosen Verfolgungstrieb“. Kleinere Mängel wie Übergröße, Zahnfehler etc. spielen keine Rolle.

Daß der makellose Schäferhund, der sich möglichst weit vorne auf der Punkteliste qualifizieren kann, auch eine Geldanlage ist, sei übertrieben, so Dalla-Bona. Welpen von SiegerInnen kosteten auch nur um die 600 Mark. Alles andere sei eher die Ausnahme. „Für drei Mercedesse“, runde 360.000 Mark, berichtet in diesem Moment ein Mitarbeiter, habe soeben ein Schäferhund den Besitzer gewechselt. „Der Japaner von gestern hat ihn doch genommen.“ Japaner derzeit sind ganz verrückt auf Schäferhunde. Sie umdrängen auf der Schau einen italienischen Züchter, der seinen anderthalbjährigen Rüden Eiko im besten Licht präsentiert und auch bei hohen Summen noch ablehnend lacht. Ein Spanier ist schon weiter. Er zieht „seinen“ Japaner zur weiteren Preisgestaltung hinter die nächste Ecke.

Rund um die Zuchtschau ist Markt. Hundefutterhersteller en masse, Leinen, Halsbänder, T-Shirts, alles zum Super-Preis. Auch die Blutlinien-Liste gibt es für 70 Mark zu kaufen. In ihr sind die Zuchtreihen seit 1900 akribisch eingetragen hier, wo alles nach Blutlinien und Zuchtgruppen streng geordnet ist, ein wichtiges Papier. Loden und Jägerhüte gehören der Vergangenheit an. Die modernen Halter und Züchter kleiden sich in wetterfeste, bunte Plastikanzüge. Sie wirken eher wie Rennfahrer-Crews, die zur Wartung ihrer Hunde angetreten sind. Am nächsten Tag ist das Waldstadion verlassen. Nur auf dem Weg zu den Spielfeldern türmen sich rechts und links die Häufchen der Favoriten.

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