: „Mehr ausgehandelt als erwartet“
■ SPD hat keine „Bauchschmerzen“ mehr / Bis auf die Grünen wollen alle dem Einigungsvertrag zustimmen
Bonn (taz) - „Na, das ist doch eine schöne Veranstaltung“, flapste der SPD-Abgeordnete Horst Peter seinem Kollegen von den Grünen, Hubert Kleinert, zu. „Ja klar, tolle Reden!“ ulkte der zurück. Es herrschte eine laue Stimmung im Bundestag, als gestern der zweite Staatsvertrag zur Vereinigung mit der DDR auf dem Programm stand. Die meisten Grünen wollen mit der Diskussion nichts zu tun haben, und die Sozialdemokraten haben sich arrangiert. Sie stimmen dem Vertrag geschlossen zu, obwohl sie mit zahlreichen Punkten nicht einverstanden sind.
Bei ihren Hauptforderungen „Entschädigung statt Rückgabe von Enteignetem“ und „eine Übergangsfrist mit akzeptablen Bedingungen beim Abtreibungsrecht“ hätten sie sich durchgesetzt, sagt die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin. Es bestehe auch eine gute Chance, die noch offenen Fragen vor dem endgültigen Inkrafttreten des Vertrages zu klären: DDR-BürgerInnen sollten Zugang zu den Stasi-Akten bekommen. Die Volkskammer werde darauf bestehen. Die Stromverträge mit den großen Enegieversorgungsunternehmen könnte der Bundesrat noch zu Fall bringen. In einer Protokollnotiz zum Vertrag, so will es die SPD, soll die Wiedergutmachung für jüdische Bürger in der DDR garantiert werden. Parallel zum Staatsvertrag soll die Bundesregierung verurteilte Friedensbewegte und aus dem Staatsdienst entlassene Kommunisten rehabilitieren. Selbst die Hoffnung auf einen Verfassungsrat und die Volksabstimmung über eine neue Verfassung hat sie noch nicht aufgegeben, obwohl klar ist, daß die Bundesregierung davon nichts hält.
Auch ihr Parteifreund Karsten Voigt hat keine Probleme mit dem Einigungsvertrag. „Wenn es um solche Fragen geht“, dann müsse man schon mal mit der Union stimmen. Die SPD habe schließlich eine Sperrminorität bei Grundgesetzänderungen und die Mehrheit im Bundesrat: „Da müssen wir Gestaltungskraft entwickeln und kompromißfähig sein.“ Obwohl ihm einiges am Vertrag nicht gefalle, „haben wir doch mehr ausgehandelt, als ich erwartet hatte“. Wer, wie die Grünen und die PDS den Einigungsvertrag grundsätzlich ablehne, könne auch nichts verändern. Und: „Die dürfen sich dann auch nicht beklagen, daß sie zu den entscheidenden Verhandlungsrunden nicht eingeladen werden.“
Die Parteilinke Heidi Wieczorek-Zeul scheint eine der wenigen zu sein, denen bei der parteiumfassenden Harmonie im Bundestag nicht ganz wohl ist. Es sei ein „obrigkeitsstaatliches Vorgehen“, alles in den Einigungsvertrag reinzupacken und zur SPD zu sagen: Vogel friß oder stirb. Sie will dem Vertrag dennoch zustimmen und hofft - wie Herta Däubler-Gmelin - daß die Volkskammer noch einige Verbesserungen durchsetzt. Die öffentlichen Spekulationen ihres Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel über eine große Koalition bei nationalem Notstand kann Heidi Wieczorek „überhaupt nicht verstehen“. Ihr geht schon manche Anbiederung zwischen Union und SPD im Bundestag zu weit.
Tina Stadlmayer
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