: Einheit im Bundestag für Nacharbeiten
■ Bonner Debatte über den Einigungsvertrag in Wahlkampftonart / Dennoch zeigt sich, daß ideologische Fronten aufweichen / Grüne außen vor
Berlin (taz) - Nicht nur die DDR-Volkskammer ringt mit geringem Erfolg um die Würde im Übergang zur deutschen Einheit; auch der Bundestag hat da seine Mühe. Zum Beispiel der Ton des Innenministers Schäuble: „Ich verlese hier die Präambel des künftigen vereinten Deutschland, und Sie machen Zwischenrufe!“ Dabei hatte Schäuble kaum Grund, sich zu erregen. Der Einigungsvertrag hat seine satte parlamentarische Mehrheit vorab, und Herta Däubler-Gmelin von der SPD lobte die Erstellung des Vertrages als eine „erstaunliche Leistung bei knapper Zeit“. In ihr Lob bezog sie den Innenminister ausdrücklich mit ein. Selbst die Grünen gehören implizit zu dieser ganz großen Koalition: Ekkehart Stratman sagte zwar „ja zur Einheit und deswegen nein zum Einheitsvertrag„; aber dann kritisierte er eher die Einigung selbst.
Selbstverständlich waren die Obertöne dieser Debatte vom Wahlkampf beherrscht, und die Parteien stritten um die Vorherrschaft bei der Einigungslegende. Da war die Frage des „Tempos“. „Das Tempo hat niemand hier in der Bundesrepublik bestimmt“, verkündete Schäuble schamlos, während die SPD sich gegen die Bremserrolle wehrte. Da war selbstverständlich auch das unvermeidliche geschichtsphilosophische Thema: „Kosten der deutschen Einheit“. Schäuble: „Die deutsche Einheit ist nicht eine Frage von Kosten, sondern eine Frage der Intervention in die Zukunft unseres Vaterlandes.“ Und CSU-Bötsch setzte heimtückisch hinzu: „Wer nach den Kosten fragt, muß sagen, ob er bei hohen Kosten auf die Einheit verzichten will.“ Während die SPD erneut „tragfähige Kostenschätzungen“ vom Finanzminister einklagte. Wolfgang Roth nutzte die Kostenfrage, um den Versager Haussmann aufzufordern, „dem Beispiel des DDR-Wirtschaftsministers Pohl zu folgen und zurückzutreten“. Er warf ihm vor allem vor, die Aufsicht über die Treuhandanstalt und damit die Wirtschaftspolitik in der DDR an den Finanzminister abgegeben zu haben.
Bei dem ganzen Wahlkampfcharakter dieser Debatte fiel auf, daß zwar Lafontaine für die Koalition immer der Adressat der Angriffe war. Die SPD-Redner nahmen aber nicht einmal seinen Namen in den Mund, geschweige denn, daß sie seine inhaltlichen Ansätze explizit verteidigten. Die politische Schwäche war unübersehbar: der Hebel, mit dem die SPD -Fraktion politischen Einfluß auf den zweiten Staatsvertrag erobern konnte, war zugleich weitgehend diskreditiert: die Bundesratsmehrheit. Zu offensichtlich wird der Egoismus der Bundesländer von der SPD angeführt. Den schlechten Stil, das Stimmenverhältnis zu ändern, und die Versuche, Steuermehreinnahmen im Lande zu behalten und nicht den DDR -Ländern zukommen zu lassen, wie es Gerhard Schröder in Niedersachsen tat, wurde von Lambsdorff und Schäuble zu Recht angegriffen.
In dieser Wahlkampftonart zeichneten sich Streit- und Kompromißlinien ab, die das Parteienverhältnis bestimmen werden. Schäuble deutete Spielraum hinsichtlich der Stasi -Akten an. Auch der Bundestag war von der Besetzung des Stasi-Gebäudes durch die Bürgerrechtler betroffen. Der Innenminister wußte auch keine überzeugende Antwort auf die Zwischenfrage von Burkhard Hirsch (FDP), der kritisierte, daß damit die Nachrichtendienste zum ersten Mal einen gesetzlichen Zugang zu illegal erworbenen Daten hätten (siehe dazu auch Seite 3). Herta Däubler-Gmelin monierte unbestritten, daß im Einigungsvertrag das Wiedergutmachungsproblem für jüdische Opfer des Naziregimes nicht vorgesehen sind. Insbesondere empörte sie sich, daß eine Amnestie für Stasi-Leute geplant ist, bevor ihre Opfer rehabilitiert seien. Wenn es eine solche Amnestie gebe, dann müßte es in der Bundesrepublik auch eine Amnestie der Berufsverbots-Betroffenen und auch all jener geben, die in der Friedensbewegung wegen Blockaden von Giftgaslagern und Truppenübungsplätzen verfolgt würden. Die Zeit des Kalten Krieges sei vorbei, und man „ernte jetzt die Früchte der Entspannung“, zu der die Friedensbewegung einen entscheidenden Anteil gehabt hätte. Eine „Amnestie aus Anlaß der Einheit“ also; „eine Jubelamnestie“ nannte Graf Lambsdorff diesen Vorschlag - signalisierte aber Zustimmung. Auch bei der Frage des Paragraphen 218 zeigte es sich, daß die Regelung im Staatsvertrag die ideologischen Fronten aufgeweicht hat. Innenminister Schäuble führte zwar bösartigerweise die Fristenregelung der DDR auf die Lebensfeindlichkeit des „Kollektivismus“ zurück; meinte aber, daß das gesamtdeutsche Parlament die Frage „besser lösen kann, als sie bisher in beiden Teilen Deutschlands geregelt war“. Die Grüne Waltraud Schoppe, jetzt niedersächsische Frauenministerin, hielt aber daran fest, die jetzige Regelung sei eine „Niederlage der Frauen“. Interessant war auch, daß die Chance zur einer Verfassungsdebatte und eines Volksentscheides, die formell im Einigungsvertrag festgehalten wird, nicht nur von Schäuble bestätigt wurde. Selbst die CSU deutete Bereitschaft an. Bötsch meinte nur, der Verfassungsentwurf des Runden Tischs - den Däubler-Gmelin zustimmend zitierte sei keine Grundlage.
Ein harter Parteienstreit zeichnete sich aber an der Eigentumsfrage ab. Es geht um die Deutung des Einigungsvertrages: ob nur formell oder prinzipiell der Primat der Restitution des Eigentums gegenüber der Entschädigung gesichert sei. CSU und FDP wollen den Vorrang von Investitionen gegenüber Rückgabeansprüchen nur als Ausnahme werten und erhoffen sich endgültige Klärung vom Verfassungsgericht. Graf Lambsdorff überschritt dabei einige Schamgrenzen. Er lehnte nicht nur die Enteignungen bis 1949 ab, sondern begründete das Recht der Ansprüche von Großgrundbesitzern auf besonders infame Weise. Dem Grafen von Schwerin, Widerständler des 20. Juli und Opfer von Freisler, müsse doch erlaubt sein, das, was die Nazis enteignet und die Kommunisten bestätigt hätten, wieder zurückzuverlangen. Bei diesen sich abzeichnenden Kompromissen und Streitpunkten bleiben die Grünen außen vor, folgt man der Rede von Stratman. Er benutzte die Debatte, um Bürgerinitiativen bei der Verfassungsfrage anzukündigen. „Laßt uns selbst organisieren, was das Parlament uns vorenthält.“ Im übrigen nutzte er seinen Beitrag, um die kühne Frage von Antje Vollmer nach der Rolle der neuen Weltmacht Deutschland als falsch abzuwehren. Dankenswert allein war, daß er öffentlich gemacht hat, wie der neue Chef der Treuhandanstalt, Rohwedder die Chance zur Selbstbedienung nutzt. Aber worauf Stratman abstellte: Opferland DDR - wurde doch, sieht man vom Wahlkampf und dem Streit der Optimisten mit den Miesmachern ab - sehr viel realistischer diskutiert, als es die grüne Fundamentalopposition wollte. Daß es in der DDR „einen Entmutigungsprozeß“ gebe, daß der Wirtschaftskreislauf zusammengebrochen sei, mochte niemand in Abrede stellen. Auch herrschte eine überfraktionelle Einsicht vor, daß man mit der bisherigen Defizitfinanzierung nicht klarkommen werde. Schäubles Versuch, die Besserung der DDR-Verhältnisse mit den gefüllten Straßen zu beweisen, erntete nicht einmal Lacher.
Klaus Hartung
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