: Unbefristeter Unterhaltsanspruch
■ BRD-Scheidungsrecht ab 3. Oktober auch auf DDR-Gebiet - wenn Scheidung nach Stichtag erfolgte
Von Annette Nüsslein
Berlin (taz) - Susanne B. (Name geändert) in Ost-Berlin lebt in Scheidung. Die letzten zwei Jahre hat sie ihrem Mann während seiner Facharztausbildung „den Rücken freigehalten“ und sich weitgehend alleine um den gemeinsamen Sohn gekümmert. Mit Abschluß der Prüfung eröffnete er ihr aus heiterem Himmel, daß er sein Leben ändern wolle und zog aus.
Eine ganz normale Geschichte aus dem DDR-Alltag. Doch für Sabine B. wird es nun entscheidend sein, ob ihr Scheidungstermin vor oder nach dem 3. Oktober liegt. Denn im Einigungsvertrag steht: „Für den Unterhalt eines Ehegatten, dessen Ehe vor dem Stichtag (der 3. Oktober - Anm. d. Red.) geschieden worden ist, bleibt das bisherige DDR-Recht maßgeblich. Unterhaltszahlungen bleiben unberührt.“
Wird Sabine B. vor dem 3. Oktober geschieden, bekommt sie nur dann Unterhalt von ihrem Ex-Mann, wenn sie Kinder versorgt, erwerbslos ist, krank oder aus sonstigen Gründen, zum Beispiel wegen einer Umschulungsmaßnahme, keine Erwerbsarbeit ausführen kann. Dieser Anspruch gilt aber nur für höchstens zwei Jahre.
Bisher nahmen Frauen in der DDR meist nur sechs bis acht Monate Unterhalt in Anspruch, da die Wiedereingliederung nach einer beruflichen Pause in der Regel keine Schwierigkeiten machte.
Lediglich die „Alten„waren nach Auskunft der DDR -Rechtsanwältin Beate Puwalla ein Problem: Die lang verheirateten und nicht erwerbstätigen Frauen seien nicht so richtig abgesichert gewesen. Denn auch ein Rentensplitting gab es in der DDR nicht und der Unterhalt der Ex-Partner war in der Regel sehr gering. Dennoch hat Beate Puwalla in ihrer 17jährigen Berufszeit nur sehr wenige Frauen beraten, die auf staatliche Unterstützung angewiesen waren.
Wenn Sabine B. nun aber nach dem 3. Oktober geschieden wird, erhält sie unbefristeten Unterhaltsanspruch durch ihren Ex-Mann. Sie wird von dem BRD-Scheidungsrecht vermutlich profitieren, da ihr einstiger Partner gut und in Zukunft noch besser verdient. Ob das bundesdeutsche Scheidungsrecht allerdings ihren Landsfrauen viel bringt, bezweifelt sie: Da die Männer in der DDR im Durchschnitt nur 1.000 Mark im Monat verdienten, könne es nur darum gehen, „das Wenige zu verteilen“. DDR-Anwältin Beate Puwalla hat denn auch festgestellt: „Viele Frauen verzichten im Moment, aus Rücksicht auf die Kinder und weniger aus Rücksicht auf sich selbst, auf eine Scheidung. Und sie scheuen sich davor, eine kaputte Beziehung zu verlassen, weil sie befürchten, arbeitslos zu werden.“
Daß die „DDR-Männer wieder zum „Familienoberhaupt“ avancieren, das befürchtet auch Sabine B.: „Der Mann ersetzt jetzt den Vater Staat“. Die (geschiedenen) Frauen in der DDR werden in Zukunft verstärkt Diskriminierungen der Arbeitgeber zu spüren bekommen. Und durch die wachsende Erwerbslosigkeit werden sie das, was sie nicht wollen: finanziell abhängig von ihrem (Ex-)Partner. Weil der Unterhalt meist zum Leben nicht ausreicht, werden sie sich außerdem mit der Sozialhilfe vertraut machen müssen.
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