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Wahlkampf, Golfkrieg und die „Peace Dividend“

■ Nicht mehr die Abtreibungsfrage etwa, sondern der neue „Irak-Faktor“ wird den Ausgang der Kongreß- und Gouverneurswahlen in den USA bestimmen / Vor dem 500-Milliarden-Haushaltsdefizit stehen die Parteien wie paralysiert

Aus Washington Rolf Paasch

Am 6. November haben die AmerikanerInnen die Wahl. Sie können vor dem Hintergrund der Golfkrise entweder den republikanischen Kandidaten für ein Drittel der Senatssitze, das gesamte Repräsentantenhaus und Gouverneursposten in 36 Bundesstaaten ihre Stimme geben - und damit George Bush indirekt ihre Unterstützung für seine außenpolitischen Leistungen aussprechen. Oder sie konzentrieren sich trotz der 80.000 schwitzenden GIs im saudischen Wüstensand auf die innenpolitischen Themen wie Rezession, Haushaltsdefizit und Sparkassenpleite - und verpassen so der Präsidentenpartei einen Denkzettel für deren innenpolitisches Versagen. Wohl selten waren DemoskopInnen wie KandidatInnen nach der vierwöchigen Sommerpause des Parlaments so unsicher über Verlauf und Ausgang der sogenannten „mid term elections“ zwischen den alle vier Jahre stattfindenden Präsidentschaftswahlen. Da hatten sich die KandidatInnen nach vielen Umfragen gerade ihre Position zur umstrittenen Abtreibungsfrage zurechtgelegt, und plötzlich ist dieses zentrale Thema von dramatischen Geisel-Stories und Vorkriegs -Berichten am Golf aus den Medien gekickt worden. Da hatten sich die bei einer durchschnittlichen Wiederwahlrate von über 95 Prozent fast chancenlosen Herausforderer anläßlich der Mammutpleite des Sparkassensystems diesmal größere Chancen versprochen, und plötzlich sorgt dieser üble Saddam Hussein für eine externe Krise, die wohl wieder den Alteingesessenen zugute kommen dürfte.

Zwar weiß man, daß sich die Zahl der US-BürgerInnen, die an eine Rezession glauben, in den letzten Monaten auf 57 Prozent verdoppelt hat, daß 59 Prozent der AmerikanerInnen nicht an ernsthafte politische Bemühungen zur Reduzierung des gigantischen Haushaltsdefizits glauben. Doch wie die Volkshälfte (oder weniger), die sich im November zwischen Baseball und Shopping noch dazu aufraffen kann, an der Wahlurne vorbeizufahren, am Ende entscheiden wird, ist selbst für die professionelle Wahlkampfbeobachtungsindustrie völlig unklar. „Irak ist der große unbekannte Faktor bei den Wahlen“, so der bekannte republikanische Polit-Theoretiker Kevin Philipps.

Aufgrund des amerikanischen Systems der Wahlkampffinanzierung, die derzeit dem Amtsinhaber im Vergleich zu den Herausforderern die fünffache Summe an Wahlkampfspenden zuschustert, sind die Kongreßwahlen in den letzten Jahren beinahe zur Farce geworden. Dennoch könnten nur wenige Erfolge von NeubewerberInnen in Staaten wie Hawaii, Illinois, Iowa und Rhode Island den RepublikanerInnen eine verbesserte Ausgangsposition bescheren, um dann 1992 Chancen auf die Wiedererlangung der Senatsmehrheit zu haben, die sie 1986 verloren hatten. Im Repräsentantenhaus dürfte sich dagegen an der Mehrheit der Demokraten von 62 Sitzen nur wenig ändern. George Bush war 1988 mit einer satten Mehrheit von sieben Millionen Stimmen gewählt worden. Doch der Kongreß hatte eine demokratische Mehrheit.

Um dies zu ändern, müßten die RepublikanerInnen bei den Gouverneurswahlen in den großen Staaten Kalifornien, New York, Florida, Texas und Illinois gewinnen. Der Sieg bei den Gouverneurswahlen, der auch erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Ausgaben der Bundesstaaten hat, ist in diesem Jahr von besonderer Bedeutung. Die Partei, die in diesen Staaten die Mehrheit im Parlament hat und auch den Gouverneur stellt, wird über die in den USA äußerst parteiliche Neubestimmung der Wahlkreise erheblichen Einfluß ausüben können. Da die jüngste Volkszählung eine beträchtliche Einwohnerverschiebung in die Sonnenstaaten Kalifornien und Florida ergeben hat, werden hier je nach Wahlkreisdefinition viele neue Sitze zu gewinnen sein. Fazit: Die Kongreß- und Gouverneurswahlen werden die politische Landschaft der USA in den 90er Jahren maßgeblich mitbestimmen. Dennoch fehlt den jetzt beginnenden Wahlkämpfen die Kontroverse. Abgeordnete beider Parteien sind in die Sparkassenpleite verwickelt, die Golfpolitik des Präsidenten traut sich niemand zu kritisieren, den Republikanern fehlt das alte Thema des Kalten Krieges, und die Demokraten haben schon seit Ende der 60er Jahre keine griffige Idee mehr in den politischen Diskurs eingebracht. Bei so wenig politisch-ideologischer Substanz für Auseinandersetzungen und alternative Wahlkampfprogramme ziehen es vor allem die GouverneurskandidatInnen vor, sich in schmierigen 30-Sekunden-Commercials auf den lokalen Fernsehkanälen gegenseitig manipulierte Steuererklärungen, Opportunismus in der Abtreibungsfrage, Schlappschwänzigkeit bei der Verbrechensbekämpfung oder vergangene Alkoholprobleme um die Ohren zu hauen.

Das große Thema, das allen am Herzen liegt, solange es nichts kostet, wäre das in diesem Jahr die 200-Milliarden -Dollar-Grenze überschreitende Haushaltsdefizit. Übers kommende Wochenende werden sich George Bush und die führenden Problemverdränger aus dem Kongreß auf die Andrews Airforce Base zur Budget-Klausurtagung zurückziehen, als wolle man den monatelangen Stillstand bei den Verhandlungen notfalls auch mit militärischen Mitteln überwinden.

Schon jetzt ist klar, daß Irak-Krise und Rezessionsbeginn als Ausreden herhalten müssen, um die gesetzlich notwendigen Haushaltskürzungen von 50 Milliarden Dollar auf 20 bis 30 Milliarden Dollar zu drücken: mit dem Versprechen, dann aber endlich in den nächsten fünf Jahren insgesamt Ausgabenkürzungen in Höhe von insgesamt 500 Milliarden Dollar durchzusetzen.

George Bush hatte zwar im Mai - sehr zur Schadenfreude der DemokratInnen und zum Entsetzen der republikanischen ParteifreundInnen - sein Wahlkampfversprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, gebrochen. Angesichts der von beiden Seiten nur halbherzig diskutierten Vorschläge für Steuererhöhungen dürfte aber selbst der Bruch des Bushschen Steuerschwurs nicht zu einer nennenswerten Reduzierung des Budgetdefizits führen. Während die DemokratInnen derzeit eine Energiesteuer diskutieren, die aber erst dann greifen soll, wenn der Ölpreis wieder gefallen ist, hat die Bush -Administration in einem neuen puritanischen Anfall vor, die Alkohol- und Zigarettensteuern zu erhöhen. Gleichzeitig soll in der alten Reaganschen Umverteilungsmanier die Kapitalertragssteuer sogar noch gesenkt werden.

Da auch die vom Kongreß anvisierte Kürzung des Rüstungsetats angesichts des jüngsten militärischen Abenteuers am Golf mit höchstens zehn Milliarden Dollar hinter den Erwartungen zurückbleiben wird, dürfte das Haushaltsdefizit die konzertierte Attacke von Kongreß und Weißem Haus ohne großen Schaden überstehen. Und selbst die von vielen Liberalen erhoffte Umschichtung von Militärausgaben hin zu Sozialprogrammen, die sogenannte „Friedensdividende“, wird sich in diesem Haushaltsjahr so schnell in Luft auflösen wie die Fata Morgana eines unter der saudischen Sonne grillenden GIs.

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