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Atomprogramm als Faß ohne Boden

■ Polens Regierung kapitulierte vor den Kosten der Atomkraft und einer atomkritischen Bevölkerung

Berlin (taz) - Polen steigt aus der Atomenergie aus, noch bevor die erste Kilowattstunde Atomstrom im Lande produziert worden ist. Ohne Gegenstimme beschloß das Kabinett in Warschau am Mittwoch die Einmottung der AKW -Baustelle von Zarnoviec, die bisher etwa 1,6 Milliarden Mark verschlungen hat. Damit verabschiedet sich die Regierung Masowieczki vom letzten Baustein eines unter der Militärregierung Anfang der achtziger Jahre konzipierten, völlig überzogenen Atomprogramms. Zehn bis zwölf Atomkomplexe mit einer Gesamtleistung von 28.000 Megawatt waren geplant.

Für die Entscheidung des Kabinetts war am Ende nicht Skepsis über das Risikopotential der sowjetischen Druckwasserreaktoren vom Typ WWER 440 ausschlaggebend, sondern vor allem der Preis. Die Anlage hätte nur wenige Prozent des derzeitigen Strombedarfs in Polen decken können, band aber gleichzeitig 70 Prozent des gesamten Energiebudgets. Das Kabinett verabschiedete nun die Eckpfeiler eines neuen Energieprogramms, das vor allem auf eine rationellere Energieproduktion und -nutzung setzt. Der Verweis auf einen „begrenzten“ Wiedereinstieg in die Atomenergie nach dem Jahr 2000 darf getrost als (voraussichtlich) folgenlose Konzession an die prinzipiellen AKW-Befürworter in Polen verstanden werden. Außerdem will sich die Regierung schrittweise von der einseitigen Abhängigkeit von der Kohle verabschieden, die Teile des polnischen Territoriums zu ökologischen Krisengebieten gemacht hat. Dafür soll mehr Erdgas, Erdöl und Wasserkraft eingesetzt werden. Zur Finanzierung und als Anreiz zur Energieeinsparung sollen die Energiepreise beträchtlich steigen.

Unter dem Druck einer seit Tschernobyl mehrheitlich atomkritischen Bevölkerung und der desolaten Finanzlage des Landes hatte die Regierung im vergangenen Jahr zunächst die Vorbereitungen zum Bau einer zweiten Anlage in Klempicz bei Posnan gestoppt und die Baustelle in Zarnoviec im letzten Dezember vorläufig eingemottet. Selbst die „tote“ Baustelle hätte in diesem Jahr knapp 13 Millionen DM verschlungen. Die Reaktordruckbehälter für die ersten beiden Blöcke gammelten nach Blockaden und langanhaltenden Hungerstreiks von AKW -Gegnern seit November letzten Jahres auf einem Militärflughafen in Gdynia vor sich hin. Kosten für die Konservierung: über 30 Millionen DM. Erst vor wenigen Tagen waren die Behälter nach Zarnoviec transportiert worden.

Bis zuletzt hatten die EG-Kommission und westliche Reaktorbauer versucht, dem Projekt in Zarnoviec neues Leben einzuhauchen. Die französischen und belgischen Staatsunternehmen Electricit'e de France und Belgatom waren ebenso beteiligt wie Siemens/KWU, das wie in Greifswald als Lieferant der Meß-, Regel- und Steuertechnik im Gespräch war. Ziel war es, ein Konsortium zur Fertigstellung der Atomzentrale bei Gdansk unter westlicher Regie zustandezubringen. Die EG-Kommission stand mit zinsgünstigen Krediten und Bürgschaften parat.

Die Anti-AKW-Koalition der polnischen Umweltorganisationen hatte noch am Wochenende zu einem internationalen Aktionsfestival nach Warschau geladen. Die Aktivisten konnten sich der Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung sicher sein: In der Wojewodschaft Gdansk sprachen sich unlängst 86 Prozent der Bevölkerung gegen den Weiterbau in Zarnoviec aus. Auch landesweit ermittelten Meinungsforscher eine klare Mehrheit gegen die Atomenergie.

Gerd Rosenkranz

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