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CAFESATZ

■ 6. Neue Schuhe für J.R.

VON CHRISTOPH BUSCH

In einem Cafe jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier? Die nächste Episode aus der Cafesatz-Serie erscheint am kommenden Mittwoch.

Er sieht so aus, als käme er gerade aus einem Kurs, zu dem man „bitte eine Decke mitbringen“ muß. Ich geh‘ trotzdem an seinen Tisch. Ganz falsch ist mein Eindruck „Körperarbeit“ nicht. Er hat geprobt im kleinen Theater überm Cafe. „J.R.“ ist seine Rolle, John Reed, in einem Stück betreffend uns‘ Gorbi und Company. Jetzt wartet er auf einen Kollegen zwecks Tavli-Spiel.

Von hier ist er nicht. Das seh‘ und hör‘ ich. Auch in Köln, wo Frau und Kinder wohnen, kann er nicht geboren sein. Er kommt aus Chile. (Was ich vorne noch immer ausspreche wie „Milch“ hinten, trotz jahrelangen Ärgerns über den General. Ausgerechnet in diesem Moment fällt's mir auf.) Als Allende totgeputscht wird, ist Miguel 11, der Vater Matheprof, der Sohn prompt Zahlenfeind, später dann Schauspieler. Zuerst in einer Gruppe an Santiagos Stadttheater. Von der Politik der Junta wird er nur gestreift. Nach dem Malvinas-Krieg besucht er Argentinien. Dort wird gerade demokratisiert und er sitzt in einem Theaterstück, das die Namen der Mörder nennt. Er schaut sich zur Saaltür um, ob niemand einschreitet, ist erschrocken über sich und die unbemerkten Folgen der Diktatur und weiß, daß er nicht stark genug ist für härtere Folgen.

Bei einer Europatournee setzt er sich ab, ungeplant, aber verliebt in eine deutsche Frau. Anfangs packt ihn auf der Straße manchmal Angst, worauf er sich da eingelassen hat, ohne diese Deutschen zu kennen. Aber er hat Glück, sieht auch nicht so ausländerig aus, lernt nie die Falschen kennen. Aber ihre Sprache. Zuerst an der Uni. Die eine Hälfte der Teilnehmer kommt aus dem Ostblock, die andere aus der Dritten Welt. Beim Thema Kinderschutzgesetz fällt das Wort „Ausbeutung“. Die kostümierte Lehrerin erklärt, das sei ein böses Wort, das man niemals in den Mund nehmen solle. Sonst werde man gleich als Kommunist angesehen. Miguel wagt anzumerken, daß dieses Wort zumindest die Verhältnisse in den Ländern der Dritten Welt sehr treffend beschreibe, wenn damit dasselbe gemeint sei wie mit „explotacion“. Der anwesende Ostblock empört sich.

Miguel lernt von da an by doing außerhalb der Uni und mit Hilfe großer Ohren. Es klappt gut, weil er unbedingt will. Mit der Zeit schwindet auch der Rest Angst vorm unbekannten deutschen Wesen: Wenn du klein zu einer Behörde gehst, machen sie dich klein, auch wenn du Deutscher bist. Also mache er sich nicht mehr klein, nach Möglichkeit.

Anfangs helfen ihm andere Chilenen. Aber die hätten was zurückhaben wollen. Ich finde das nicht verwunderlich, Solidarität eben. Nein, um gemeinsames Tun sei's nicht gegangen, auch nicht um Gegenleistung, sondern darum, an dasselbe zu glauben. Und typisch sei die Vorhaltung gewesen, er habe eine „Ausländerin“ geheiratet. Mit der, seiner deutschen Frau, besucht er '86 Chile, mit „Tsch“.

„Situation“ ist ein Wort, das Miguel für Lagen gebraucht, in denen er nicht mehr durchblickt. Neulich zum Beispiel bei einem Fest hier am See hat er einen etwa 8jährigen Jungen beobachtet. Der ging hinter Leuten mit großen Taschen her und griff hinein, wollte offenbar klauen. Was tun? Was ist, wenn der Junge erwischt wird? Den Jungen ansprechen? Was hätte das grundsätzlich geändert?

Als Miguel '86 aus Chile zurückkommt, hat er lange eine ziemlich grundsätzliche „Situation“: Kein Durchkommen im Kopf, wie Watte im Abfluß. Seine Frau versteht schneller als er, hilft ihm auf die Sprünge: Nicht die große Politik, wie er vorher gedacht hat, ist Motiv fürs Hierbleiben gewesen. Jedenfalls nicht nur. Die alltägliche Politik, sein Leben und das seiner Eltern sind der Grund.

Zum Beispiel: Bis zum 16. Lebensjahr habe ihm ein Hausmädchen jeden Morgen das Frühstück ans Bett gebracht (nein, die Mädchen waren immer sehr alt), und wär‘ er geblieben, fänd‘ er das Halten eines Dienstmädchens heute selbstverständlich, würde sich wahrscheinlich noch auf die Schulter klopfen wegen der Schaffung eines Arbeitsplatzes für diese armen Menschen. (Und wäre dies eine Rundfunksendung, gingen an dieser Stelle meine Grüße an die Lehrerehepaare und andere, die sich diese caritative Argumentation zu eigen gemacht haben, ohne je die chilenische Schule genossen zu haben.) Von diesen Zwangsläufigkeiten der Familie oder auch der Religion habe er sich nach Köln abgesetzt. Für den Abschied steht ein Bild: Bei seinem Besuch in Santiago fand er keine passenden Schuhe für sich, obwohl er -zig Läden abgeklappert hat. In Köln dann sofort.

Wünsche nach vorn, hat er die? Sicher, denn ohne Idealismus könne mensch ja nur dahinvegetieren. Er habe bisher leider mangels Masse noch keine Gelegenheit gehabt, in einem sozialistischen Land zu leben. Diktaturen seien auf jeden Fall ungeeignet: Wenn die Leute nicht selbst entscheiden können, kippten sie einfach hin und her - siehe DDR. „Soziale Marktwirtschaft“ sei deshalb seine Wunschideologie. Nach dem Propagandawirbel der letzten Monate wundert mich nichts mehr, und ich merke erst mit Sekunden Verzögerung (wie der dicke Hoss in Bonanza), daß das ein Witz sein soll: Die Konsumdröhnung könne doch nicht alles sein und der „Markt“ schaffe es nicht mal, den Wohnraum gerecht zu verteilen. Seit Monaten sucht Miguel eine Wohnung (3 ZKB/1.000 Mark), um nicht mehr tagelang von seiner Familie getrennt zu leben. Den Vermietern reiche schon sein leichter Akzent am Telefon - keine Ausländer. Mit „Arschloch“ hänge er dann ein. Ob das nicht didaktisch unklug ist? Manchmal, wenn er gut drauf sei, reagiere er auch anders: Haben Sie ein Problem?

Im rechten Ohr trägt Miguel einen kleinen Mond. Warum? Eine Mutprobe. Im Vorbeigehen am Geschäft vorgenommen und bestanden. Das ist mir zu wenig: Der Mut zum Loch wäre doch kein Grund, mit einem Mond darin herumzulaufen. Miguels Kollege, derweil zu uns gestoßen, zieht unaufgefordert sein Ohrläppchen vor, auch mit Loch, aber nichts drin: Das mit den Ohrlöchern bedeutete auch „neue Männlichkeit, Bekenntnis zur weiblichen Seite im Manne“. Das ist mir zuviel, ganz abgesehen davon, daß Seeräuber und Manfred Krug schon lange vor dieser Begrifflichkeit gelocht waren. Lieber will ich Konkurrenz rauskitzeln: Wer von beiden spielt besser Theater? Der Neue unterwirft sich sofort: Miguel selbstverständlich.

Bleibt noch die Frage, die schon eine Weile wartet: Woher stammt die Narbe an Miguels Lippe? Seine Antwort: Der kleine Junge kommt aus der Schule nach Haus. Es brennt in der Nachbarschaft. Feuerwehr ist aufgefahren, Blaulicht, Gedränge und Neugierige. Ein paar sind auf eine weiße Mauer geklettert, sitzen oben mit gutem Blick auf das Feuer. Er will da auch hinauf, schafft es nicht, zieht sich am Törchen in der Mauer hoch, um auf diesem Wege... Im selben Moment springt von der anderen Seite ein großer Hund hoch: Ein blutiger Kuß. 6. NEUE SCHUHE FÜR J.R.

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