Perus vergessener Krieg in den zentralen Hochanden: „Nur wenige wagen es, den Kopf zu heben“

■ Seit einigen Jahren hat Sendero Luminoso seine Aktivitäten auf das Herz Perus ausgeweitet / Unmittelbare Bedrohung für Energie- und Lebensmittelversorgung der Hauptstadt Lima / Der brutale Krieg zwischen Guerilla und Militär hat die Agrargesellschaft der Hochanden zerstört Das Militär mordet, raubt und vergewaltigt, Sendero Luminoso bewegt Städter, Wanderarbeiter und Entwicklungshelfer zur Flucht / Nur die Bäuerinnen bleiben, als letztes Opfer der Gewalt / Verwaltungsstrukturen sind weitgehend zerstört, i Dörfern und Städten geht die Angst um

Aus Huancayo Nina Boschmann

Man hatte mich gewarnt. „Nach Huancayo fährst Du? Mit wem willst Du denn da reden?“

Und in der Tat: Eine Reportage über das einst idyllische Touristen- und Kunstgewerbezentrum in den peruanischen Zentralanden zu schreiben, ist in diesen Zeiten fast ein Ding der Unmöglichkeit. Trotz der Menschenmassen, die sich in scheinbarer Normalität durch die Innenstadt wälzen, wirkt Huancayo auf eigentümliche Weise jedweder Struktur und Anhaltspunkte beraubt. Die zahlreichen Entwicklungsprojekte und Institutionen, die hier früher ihren Sitz hatten, sind verschwunden, ihre Mitglieder unauffindbar. Telefonnummern und Adressen, die aus Lima mitgegeben wurden, erweisen sich als Phantome, selbst die Stadtverwaltung ist wegen Bombenalarm geschlossen.

Das Hotelzimmer wird täglich durchsucht. Im Speisesaal sitzen Polziisten in Zivil, die Näheres herauszubekommen versuchen. Die wenigen peruanischen Handelsreisenden, die es auf Weisung ihrer Vorgesetzten hierher verschlagen hat, wären lieber vorgestern als gestern wieder abgereist.

Gespräche werden mit leiser Stimme hinter zugezogenen Vorhängen in Hinterzimmern geführt und oft plötzlich abgebrochen. Niemand möchte zitiert werden.

Öffnet man die Gardinen, blickt man auf hohe, meist frischverputzte Mauern. Die Türschilder sind abmontiert. „Im Tal herrscht Angst“, faßt einer der wenigen Mitteilungswilligen die Stimmung zusammen. „Nur wenige wagen es, den Kopf zu heben“.

Militärlaster, wie riesige schwarze Igel mit Gewehrläufen gespickt, rattern durch die Nacht

„Paß auf“, flüstern einem Unbekannte auf der Straße ins Ohr. Wer sich beobachtet fühlt, wendet das Gesicht ab. Nach Einbruch der Dunkelheit ist die Stadt wie ausgestorben, obwohl offiziell keine Ausgangssperre herrscht. Sollte es gelingen, nach acht Uhr abends noch ein Treffen zu arrangieren, ist es üblich, die Heimkehr des Gesprächspartners telefonisch zu bestätigen. Militärlaster wie rieseige schwarze Igel dich an dicht mit nach nach außen gerichteten Gewehrläufen gespickt - rattern durch die Nacht.

Die kafkaeske Atmosphäre kommt nicht von ungefähr: seit Jahren wird hier ein Krieg geführt, in dem keine Verletzen überleben und fast keine Gefangenen gemacht werden. Die Statistik zählt nur Tote und „Verschwundene“, was in dem meisten Fällen auf das gleiche hinausläuft.

Wie die weiter südlich gelegene Stadt Ayacucho bereits Anfang der 80er Jahre, so ist heute Huancayo und Umland zum Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen Sendero Luminoso, Militär und Bauern um die Macht im Staate geworden. Gekämpft wird nicht mehr nur in den marginalen, schwer zugänglichen Bergregionen von Apurimac und Huancavelica, sondern in einer der strategisch wichtigsten Gegenden Perus.

Das zentrale Hochland ist in dreifacher Hinsicht der Schlüssel zu der in der Küstenwüste gelegenen Hauptstadt Lima: Hier liegt das fruchtbare, gut erschlossene Mantaro -Tal, eines der Schwerpunktgebiete der Agrarreform von 1970, wo auf über 3.000 Meter Höhe Saatgut, Kartoffeln, Milch und Fleisch für die Hauptstadt produziert werden. Ein vom Mantaro-Fluß gespeistes Wasserkraftwerk versorgt neben Lima das halbe Land mit Strom. In den auf 4.000-5.000 Meter Höhe gelegenen Minen wird zudem ein Gutteil der peruanischen Exporterlöse erwirtschaftet.

Rückzug in die Subsistenzwirtschaft und vollständige Zerstörung der staatlichen Bürokratie lautet das Rezept, das die Führung des „Leuchtenden Pfades“ (Sendero Luminoso), der maoistischen KP Perus, der Region verschrieben hat, um die sieben Stunden entfernte Kapitale mürbe zu machen. Die Partei zerstört, um neu aufzubauen, lautet die offizielle Devise.

Der nächste Marktflecken ist fünf oder sechs Stunden Maultierreise entfernt

Was man sich darunter konkret vorzustellen hat, wissen die Bauern von San Juan de Jinpe (Name geändert) zu berichten, einem typischen Hochlanddorf. Bis vor zwei Jahren spürten sie nichts von den Veränderungen um sie herum, obschon bereits mehrere große Viehzuchtbetriebe und auch Kooperativen von Senderistas angegriffen worden waren. Die Gemeinde betrieb mit einigem Erfolg unter kirchlicher Anleitung eine kommunale Hühnerzucht, eine Vermarktungsgenossenschaft und eine Teppichknüpferei. Landwirtschaft und Viehzucht gediehen den Witterungsverhältnissen entsprechend zufriedenstellend.

Da wurde plötzlich im August 1988 das Rathaus in Brand gesteckt. Nächtliche Besucher legten den Autoritäten nahe, schleunigst auf ihr Amt zu verzichten, wenn ihnen ihr Leben lieb sei. Einige Bauern wurden umgebracht.

Heute hat das Dorf keinerlei Vertretung mehr. Die Gemeinschaftsbetriebe wurden aufgelöst, da niemand sie mehr verwalten wollte. Der Gesundheitsposten ist verwaist. Die Händler kommen nicht mehr nach Jinpe, seitdem die Brücke über den Fluß von Sendero gesprengt wurde. Der nächste Marktflecken ist fünf bis sechs Stunden Maultierreise entfernt. Dorthin oder noch weiter weg sind auch die meisten Männer des Dorfes gezogen, die sich nun als Arbeiter bei Bekannten verdingen. Nur die Frauen und Kinder sind geblieben.

Der Landpfarrer, der als einziger Ortsfremder die Dörfer nach wie vor besucht, hatte schon mehrere „Begegnungen der vorlezten Art“: Auf nächtlichen Sitzungen, zu denen er mit vorgehaltenem Gewehr eingeladen worden war, kündigten Senderistasisten öffentlich seine Erschießung an, da die Kirche zu den feudalen Ausbeutern und Landräubern gehöre. Nach energischem Protest der Bauern wurde das Vorhaben in letzter Minute abgeblasen.

Doch solche „Kulanz“ ist Zufall. Generell - so die übereinstimmende Aussage von allen, die je mit Sendero zu tun hatten - ist öffentlicher Dialog nicht Teil des Repertoires. Die Partei hat immer recht - wer nicht für uns ist, ist gegen uns - wer gegen uns ist, verrät die Revolution und gehört nicht in diese Welt.

Dementsprechend ziehen es die meisten Betroffenen vor, sich den „Besuchern“ und ihren Forderungen nicht offen zu widersetzen. Die Dörfler setzen ihre Bürgermeister ab und akzeptieren auch die Neueinsetzung von sogenannten „Delegierten“ durch Sendero. Doch das Image der Gruppe bleibt so diffus wie die Vorteile der Revolution, die da kommen mag.

Unterstützung für Sendero wird nicht durch das Anbieten klarer Alternativen und Überzeugungsarbeit gewonnen, sondern durch eine Mischung aus Gewalt und psychologischer Kriegsführung. Schlüsselpersonen werden systematisch und schrittweise eingebunden, bis es kein Zurück mehr gibt, den Rest zwingt man zur Mitarbeit.

Die Zeit arbeitete

für Sendero

Sendero ist nicht ursächlich am Wohlergehen der Dörfer interessiert - so ein weitverbreitetes Urteil - sondern benutzt sie nur, um die eigene Macht zu festigen.

Ein Musterbeispiel für die Fähigkeit von Sendero, ein durch die Schwäche des Staates entstandenes lokales Machtvakuum für die Zwecke der Organisation auszunutzen, ist die Zerstörung des Molkereikomplexes „SAIS Cahuide“ im vergangenen Jahr. Die SAIS (zu deutsch: „am Gemeinwohl orientierter Landwirtschaftsbetreieb“) wurde 1971 unter der nationalistischen Militärregierung Alvarado aus neun enteigneten Haciendas und den sie umgebenden bäuerlichen Gemeinden in den Departments Junin und Huancavelica gebildet. Mittels millionenschwerer Auslandskredite wurden die alten halbfeudalen Viehbetreibe modernisiert. Rasserinder und Hochertragsmilchkühe wurden aus Europa importiert, die besten Schafe aus Australien und Apacas von der bolivianischen Grenze herangeschafft, ein Bewässerungssystem wurde für die neuen verbesserten Weiden angelegt.

Binnen weniger Jahre hatten sich die einst kargen Weiden in saftige Wiesen verwandelt, die traditionellen Haciendas in automatisierte Molkereien. 5.000-8.000 Liter Milch pro Tag produzierte der Riesenkomplex Anfang der 80er Jahre. Über fünftausend Rinder und mehr als 40.000 Schafe gediehen unter professioneller Pflege prächtig auf eisigen 3.800 Metern Höhe, 800 festangestellte Arbeiter beschäftigte der Betrieb.

Doch der augenscheinliche Fortschritt konnte nicht alle Konflikte lösen. Ein Bauer aus Laive, einem der Produktionszentren: „Wer hob die Bewässerungskanäle aus? Wir. Wer fuhr nach Lima, um das Vieh zu verkaufen, kriegte Tagesgelder und Schnaps umsonst? Der Geschäftsführer. Wie lange arbeiteten er und die Techniker? Drei bis vier Studnen am Tag. Wir dagegen schufteten immer noch über zwölf Stunden. Die Techniker hatten alle Autos, und wir mußten immer noch betteln, damit sie uns mal mitnahmen“.

Sendero propagierte mit Vehemenz die Aufteilung des Landes unter die Bauern

Der Unmut wuchs. Ab 1983 bewegten sich die Truppen von Sendero gelegentlich in Teilen des Gebiets, symbolisch wurden Büros überfallen und Geschäftsberichte verbrannt. Senderistas propagierten mit Vehemenz die Aufteilung des Landes unter die Bauern. Ende 1987 wurde der Verwalter von Laive ermordet und öffentlich an einem Baum aufgehängt.

1988 beschloß die Versammlung der SAIS eine geordnete Auflösung des Modellbetriebes. Ziel der Bauernführer war, Land und Tiere zu verteilen, aber die alten Haciendas als Dienstleistungszentren zu erhalten, diesmal unter Kontrolle der Bauern. Obwohl der regierenden APRA-Partei dieses Verschwinden der Symbole der Agrarreform an sich nicht unlieb

war, verweigerte sich die staatliche Bürokratie unter dem Druck der festangestellten Arbeiter jedweder konstruktiven Handlung. So arbeitete die Zeit für Sendero.

Anfang 1989 erfolgte nach mehreren kleineren Angriffen die Endoffensive der Senderistas: Gebäude und Maschinen der Produktionszentren wurden vollständig zerstört, Staudämme und Bewässerungssysteme in die Luft gesprengt, die Weiden abgebrannt. Selbst dem Vieh wurden unvorstellbare Grausamkeiten zugefügt. Augenzeugen erinnern sich an das Verbrennen neugeborener Kälber oder die Vergiftung von Rindern mit Pestiziden. Was übrig blieb, wurde an die Bauern verteilt. Die Techniker, soweit sie überlebten, flüchteten in Panik, die festangestellten Arbeiter kehrten in ihre Dörfer zurück.

Doch da die Rasserinder und -schafe unter den mageren einheimischen Tieren leicht auszumachen sind, hatten die Bauern nicht lange Zeit, sich ihres neuen Reichtums zu erfreuen. Binnen Tagen wurden fast die gesamten Viehbestände zu Spottpreisen verschleudert: ein Hammel für zehn, eine Milchkuh für hundert Dollar. Ein Festessen für die Bauern aber den Reibach machten die Händler. Die Polizei ließ die Transporte ungehindert über die Landstraße in andere Provinzen ziehen, das Agrarministerium machte keine Anstrengungen, das Geschäft auf den Schlachthöfen zu verhindern.

Nun sind die ehemaligen Produktionszentren Niemandsland, über dessen Aufteilung unter den Gemeinden bei weitem keine Einigkeit herrscht. Ein neues Militärcamp ziert die Landschaft und will versorgt werden. Die wenigen Rassetiere, die noch im Tal leben, sind abgemagert. Über die Vermarktung der Überschüsse muß nicht mehr diskutiert werden, denn es gibt keine mehr. Die Exangestellten aus den Stadtbüros der SAIS in Huancayo fordern von den Bauern obendrein per Arbeitsgerichtsverfahren eine Entschädigung, denn die Vertreter der Gemeinden waren formell ja stets Eigentümer des Betriebes.

Zur Bank begleitet, um das Konto zugunsten von Sendero aufzulösen

Inzwischen haben sich fast alle ländlichen Entwicklungsprojekte aus dem Mantaro-Tal zurückgezogen. Früher war die Gegend ein beliebter Stützpunkt für Nichtregierungsorganisationen aller Art: von Aufforstung über ökologische Landwirtschaft und angepaßte Technologie bis hin zu Frauenprojekten engagierten sie sich in allem, eine eigene Dachorganisation war im Aufbau. Der Direktor einer kleinen Organisation wurde im Dezember 1988 von Senderistas erschossen, weil er - so die offizielle Begründung - entgegen den Weisungen daran festgehalten habe, Bauerngemeinden in ihrem Konflikt mit der SAIS Cahuide zu beraten. Wenige Wochen später wurde die Mehrzahl der Projekte ultimativ aufgefordert, binnen zwei Wochen ihre Arbeit zu beenden. Wer nicht rechtzeitig das Büro geräumt hatte, wurde zur Bank begleitet, um sein Konto zugunsten von Sendero aufzulösen.

Eine - in Zusammenhang mit der Masse der Projekte durchaus berechtigte Debatte über Klientelismus und Paternalismus fand dagegen nicht statt. Die Organisationen, die heute noch in Huancayo arbeiten, haben sich den Verhältnissen angepaßt. Sie respektieren die Anweisungen von Sendero (z.B. die Ablehnung von Lebensmittelspenden), halten sich in der Öffentlichkeit bedeckt und das Gesamtniveau ihrer Aktivitäten gering.

Die Verschwundenen bleiben verschwunden, die Massaker des Militärs ungesühnt

Letzteres gilt auch für die einst sehr aktive Menschenrechtsarbeit. Die Vereinigungen der Rechtsanwälte sind auf Tauchstationn und nur die mutigsten ihrer Standesvertreter bemühen sich um Bauern, die von Sendero zu Delegierten ernannt und deshalb von der Geheimpolizei gefoltert wurden. 95 Prozent aller Verschwundenen bleiben verschwunden, die Massaker des Militärs ungesühnt.

Ein Bauer, der in der Pfarrei von Hunacayo Rat für seine Gemeinde sucht, erzählt. „Vor zehn Tagen hat das Militär bei uns in der Nähe ein Camp mit 120 Soldaten aufgeschlagen. Sie haben sich schon 17 Rinder angeeignet, fünf Mädchen vergewaltigt, und außerdem wollen sie noch Milch und Käse. Und dabei brauchen wir doch jetzt das Geld selber, um am Ende der Ferien Schulhefte für die Kinder zu kaufen. 21 Männer haben sie verhaftet und grausam mißhandelt. 19 sind wieder frei, und davon liegen vier im Koma. Von den zwei übrigen fehlt jede Spur.“

Noch heute erzählt man vom 28. April 1989. Damals wurde bei dem Dorf Molinos ein Trupp der damals noch in der Gegend aktiven, mit Sendero konkurrierenden Guerillabewegung MRTA (Revolutionsbewegung Tupac Amaru) in zwei Lastwagen von Soldaten überrascht. 62 tote Subversive, vermeldete das Militärprotokoll danach. 42 tote Guerilleros, der Rest Zivilbevölkerung, erklärte dazu die MRTA: Greise, Frauen und Kinder, die als normale Fahrgäste gereist seien, seien von Granaten getroffen worden. Zeugen aus der Nachbarschaft sind „verschwunden“, ein Abschlußbericht über die Affäre ist bis heute „in Arbeit“.

Im wahrsten Sinne des Wortes vom gleichen Kaliber ist ein Massaker, das Mitte März nur wenige hundert Meter von einem Militärcamp in Pampas, Huancavelica, begangen wurde. Sechs Mütter mit elf kleinen Kindern und ein Mann wurden in einer Hütte bestialisch niedergemetzelt. Den Männern der sechs Flüchtlingsfamilien aus Ayacucho gelang mehrheitlich die Flucht. Am Tatort wurde ein Schlüsselbund vom Militär gefunden, und am nächsten Tag beeilten sich die Soldaten sehr, die Kleider der Toten zu verbrennen. Die Tatwaffen stimmten mit den im Militärcamp verwendeten überein. „Aber“, so die mit der Untersuchung beauftragte Richterin vertraulich zu einem Kollegen am Telefon, „was soll ich machen?“

Die Untersuchungsrichter, die das öffentliche Interesse wahrnehmen sollen, sind in diesen Zeiten nicht zu beneiden. Vier Anschläge wurden bereits auf ihren Sitz in Huancayo verübt. Drinnen im Büro des Chefs stapeln sich die Luftpostbriefe von amnesty international. Ungelesen. Der Berichterstatterin zu Ehren werden mal ein paar geöffnet.

„Wissen Sie, was passiert, wenn wir vom Militär Aussagen haben wollen“, plaudert einer der wenigen Engagierten der Zunft aus dem Berufsalltag: „Man kommt zur Kaserne, und die sagen: Noch einen Schritt, und ich schieße. Einem Kollegen gelang es, bis zu einem verantwortlichen Dienstgrad vorzudringen. Ihr Name? Admiral Tiger, sagt der. Und so unterschreiben die auch. Als Löwe, Kondor oder sonstwas, wir kriegen nicht mal die Namen. Wenn man da was rausfinden will, muß man sich mit den einfachen Soldaten abends in der Kneipe treffen, sich anfreunden. Nur dann erfährt man, was drinnen passiert. Aber so arbeitet doch keiner“.

Die Strommasten werden zusammengeflickt und wiederaufgestellt

Die krisensichersten Arbeitsplätze der Region gibt es zur Zeit beim staatlichen Elektrizitätsunternehmen: Für die Bewachung von Strommasten wird doppelter Lohn gezahlt und eine attraktive Lebensversicherung geboten. Landesweit kassieren derzeit 5.000 Polizisten eine Zulage für die gefährliche Tätigkeit, allein in Huancayo sind es 100. Denn der „Leuchtende Pfad“ hat in den letzten neun Jahren 5.000 Masten umgelegt, um im Land für Dunkelheit zu sorgen. Auf rund 100 Millionen Dollar werden die gesamten Materialschäden am Verteilernetz geschätzt.

Allein im November letzten Jahres fielen 40 Masten, um dem propagierten Boykott der Kommunalwahlen Nachdruck zu verleihen. „50 kg Dynamit pro Stelze macht 150 kg pro Mast ...“, rechnet angestrengt der Leiter des örtlichen E-Werkes, Jose Ore. „Da muß eine ganze Armee bei der Arbeit gewesen sein.“ Der nötige Sprengstoff wird bei den Geschäftsführern der umliegenden Bergbauminen besorgt. Die Anschläge auf die Stromleitungen, so Ore, seien wohl als systematischste Aktivität von Sendero überhaupt zu werten.

Die Auswirkungen sind beträchtlich. Das erste, 1979 eingeweihte Mantaro-Kraftwerk ist heute in einem Zustand, als ob es bereits 100 Jahre gelaufen wäre. Dem Staat fehlt das Geld, um die 20.000-50.000 Dollar teuren Strommasten in oft sehr unzugänglichen Gegenden zu ersetzen. Sie werden einfach irgendwie zusammegeflickt und wiederaufgestellt. Von den vier Verteilerwerken des Mantaro-Systems ist noch eines funktionstüchtig. Wenn das auch noch lahmgelegt wird, sitzt halb Peru auf absehbare Zeit ohne Strom da.

Um dies zu verhindern, ist das wertvolle Stück vom Militär vermint worden. Aus Sicherheitsgründen kennen nicht mal die Ingenieure von Electroperu die Lagepläne. Nur Sendero hat schon wieder die Nase vorn: Ende März wurden erstmals Hunde zum Entschärfen der Minen eingesetzt.

Auch die ländliche Elektrifizierung ist im Verzug. Denn anders als der selige Lenin („Fortschritt ist die Elektrifizierung des ganzen Landes“) ist Sendero strikt dagegen. Im vergangenen Jahr wurden 15 Techniker von Senderistas überfallen und umgebracht. Jetzt bewegen sich die Angestellten von Electroperu auf dem Land nur noch in Armeeuniform und -begleitung.

Angesichts des doch recht groben Verhaltens von Sendero stellt sich die Frage, woher die Bewegung ihren nicht unbeträchtlichen Nachwuchs bezieht. Die Antwort ist so banal wie genial: über die Mensa der Universität von Huancayo. Sendero-Leute kontrollieren die ganze Hochschule und haben die Verwaltung der Kantine inne. Der Preis des Essens ist minimal - aber wer nicht spurt, kriegt nichts. Da hier vor allem relativ arme Bauernsöhne studieren, ist der Anreiz hoch.

„Wenn Ihr Köpfe bringt, wird es keine Fragen geben“

Wer Interesse an den Aktivitäten der Gruppe zeigt, für den hat Sendero noch andere Leckerbissen bereit: Keine Zeit, die Prüfungen vorzubereiten? Kein Problem - Sendero unterhält sich mit dem Prof. Ist er uneinsichtig, wird er bald Job oder Leben los sein. In Huancayo wird vermutet, daß einige Handelshäuser, die wundersamerweise nie Opfer von Attentaten werden, das Ganze finanzieren.

Im letzten Jahr wurden die Anstrengungen verstärkt, schon Teenager in die Reihen der „Erleuchteten“ zu integrieren. In mehreren Gymnasien Huancayos wurden am hellichten Tag Werbeveranstaltungen auf dem Schulhof abgehalten. In einigen Fällen wurden sogar Sekundarschüler entführt und zwecks Indoktrination mehrere Wochen lang in geheimen Waldcamps gefangengehalten. Wie das möglich ist? Entsprechend orientierte Lehrer mit Zeitverträgen hatten den Rest des Kollegiums rechtzeitig davon überzeugt, daß Widerstand sinnlos sei.

Die dritte Bastion von Sendero schließlich sind die neuen Stadtrandsiedlungen von Huancayo. Die Stadt, die ihre Einwohnerzahl binnen weniger Jahre auf 400.000 verdoppelt hat, ist voll von Kriegsflüchtlingen aus den südlichen Provinzen. Die meisten von ihnen sind entwurzelte Bauern, die nach dem Verlust eines oder mehrerer Familienmitglieder durch Racheakte des Militärs ihre Felder verlassen haben. Nach wochenlanger Odyssee sind sie in Huancayo gestrandet und schlagen sich mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durch das Leben.

Fast alle „Migranten“, wie die Vertriebenen euphemistisch bezeichnet werden, hatten in ihren Dörfern schon Kontakt zu Sendero. „Warum habt Ihr Eure Heimat verlassen?“, werden sie nun bei „Hausbesuchen“ gefragt, und im gleichen Atemzug ist die Wiedergutmachung zur Hand: Mitarbeit in der neuen Ortsgruppe.

Ein politisches Alternativprojekt gibt es nur in der Siedlung „Justicia, Paz y Vida“, zwanzig Minuten vom Stadtzentrum Huancayos entfernt. Seit das 54 Hektar große Gelände 1986 unter Führung des Hochschullehrers Luis Aguilar von tausend wohnungssuchenden Familien besetzt wurde, sollte die Siedlung ein Versuch sein, anders auszusehen als der Durchschnitt der trostlosen „jungen Dörfer“ (wie die Elendsviertel in Peru euphemistisch genannt werden). Das Terrain wurde planmäßig unter den Interessenten aufgeteilt, die je 150 Quadratmeter erhielten. Strom- und Wasserleitungen wurden gelegt, eine Sekundarschule ist im Bau. Mittlerweile leben hier 1.700 Familien. Politische Parteien und Kirchen bleiben außen vor: „Die Leute können sich woanders austoben“, so „Vizepräsident“ Juan Leonardi.

Doch auch dieses Projekt, das vom Militär toleriert wird die Bewohner führen eigene Ausweiskontrollen und Festnahmen durch - hat die Gewalt nicht eingedämmt. Gründer Luis Aguilar wurde vergangenen Oktober vermutlich von Senderistas erschossen, zwei weitere Vertreter kamen Ende März ums Leben. Die Totenwache ist organisiert: Stündlich wechseln sich die verschiedenen Häuserblocks ab, Fladenbrot und Gerstenkaffee aus der „Volksküche“ steht für die dickvermummten Genossen bereit.

Auch innerhalb des Militärs mehren sich inzwischen die Überlegungen, daß der Staat allein mit Sendero wohl nicht fertig wird. „Selbstverteidigung“ heißt das neue Zauberwort, das den zwischen allen Stühlen sitzenden Bauern auf den rechten Weg helfen soll. „Bewaffnet Euch und macht sie fertig“, wird den Campesinos neuerdings von Soldaten nahegelegt. „Wenn Ihr Köpfe bringt, wird es keine Fragen geben.“

Und so werden wohl in den nächsten Jahren im Mantaro-Tal viele kleine und große Konflikte im Namen des Kampfes gegen Sendero mit der Axt ausgetragen und tödlich entschieden werden. Das große Schlachten hat erst begonnen.