: Schutzwürdige Belange
■ Die Benutzung der Stasi-Akten muß geregelt und kontrolliert werden
Der Streit um die Stasi-Dokumente erzeugt vor allem Nebel: Nie hat irgend jemand in Bonn daran gedacht, die personenbezogenen Stasi-Dossiers nach Koblenz zu verfrachten. Insofern ist es kein „Erfolg“ von Protest und Besetzung, wenn jetzt eilfertig und täglich notifiziert wird, daß die Akten dort bleiben, wo sie sind. Aber die Politik braucht natürlich ihr Theater. Klar ist inzwischen auch: Die Akten werden in den nächsten Jahren nicht vernichtet, und nach Bundesrecht ist sichergestellt, daß sie von den Betroffenen „grundsätzlich“ eingesehen werden können. Die Schwierigkeit liegt in dem schönen deutschen Beamten-Wort „grundsätzlich“. Dahinter verbirgt sich das Problem der „schutzwürdigen Interessen Dritter“. Es geht dabei um die in den Akten enthaltenen Daten über andere Leute und über diejenigen, die bewußt oder nicht-bewußt zu den Akten beigetragen haben - also auch um die kleinen und großen Tipgebeber, Spitzel, Berichterstatter etc.
Allem Anschein nach wird für die Verwaltung und Benutzung der Stasiakten eine spezielle Behörde entstehen - die des „Sonderbeauftragten der Bundesregierung“. Ein anerkannter Vertreter der Bürgerrechtsbewegung sollte diese Behörde leiten. Außerdem wird der Präsident des Bundesarchivs mit von der Partie sein. Die Behörde des Bundesdatenschutzbeauftragten ist mitberatend tätig. Auf beide Institutionen ist Verlaß. Sowohl der Datenschutzbeauftragte wie der Präsident des Bundesarchivs gehen davon aus, daß die Akten nicht durch Geheimdienste benutzt werden dürfen. Das läßt sich zwar nicht sicher verhindern, aber stark bremsen. Der neue Bundestag wird nach entsprechenden Anhörungen eine „Lex Stasi-Akten“ verabschieden. Bis dahin muß nach Übergangsregelungen verfahren werden.
Es kommt also darauf an, von der DDR-Seite starke und kompetente Personen zu finden, die dieses Amt für die nächsten Jahre übernehmen und prägen. Es kommt ferner darauf an, den Millionen von der Stasi überwachten Menschen die Einsicht in ihre Akten zu gewähren und persönliches Besitztum - also vor allem Originalbriefe - zurückzugeben. Außerdem sollten die Akten auf Wunsch vernichtet werden. Denen, die Einsicht begehren, sollte das gesamte über sie gesammelte Material vorgelegt werden. So läßt sich am ehesten neues Vertrauen schaffen. Die Benutzer der Akten sollten verpflichtet werden, das Material nicht zur Abrechnung mit anderen Menschen zu benutzen, das Herausgeben von Kopien und Abschriften und von Unterlagen, die andere betreffen, sollte stark eingeschränkt sein. Wer sich für die umfassende Benutzung der Akten durch die Betroffenen einsetzt, sollte das in der Überzeugung tun, daß der innere Friede dadurch sicherer wird.
Götz Aly
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