: Eine fragile Vernunftehe
■ Die Grünen/Bündnis 90 nach ihren mühsamen Verhandlungen
Die offenbar von keinerlei Skrupeln und Identitätsproblemen geplagten Blockparteien und die SPD in der Kaum-noch-DDR flüchten eiligst unter die Fittiche ihrer westdeutschen Pendants. Ähnlich umstandslos verbünden sich die Reste der traditionellen Linken in der BRD mit der PDS, dem Phönix aus der Asche der SED. Währenddessen tun sich die Bürgerbewegungen schwer mit ihrer gesamtdeutschen Perspektive. Einigkeit gibt es nur darüber, daß alle irgend etwas miteinander zu tun haben. Das politische Spektrum der Bürgerbewegungen Neues Forum, Demokratie Jetzt, Initiative Frieden und Menschenrechte, Unabhängiger Frauenverband und Vereinigte Linke (VL) sowie der Grünen Partei entspricht ungefähr dem, was sich in den (West-)Grünen versammelt hat.
Immerhin zeigen die langwierigen öffentlichen Bündnisverhandlungen: Es ist allen Beteiligten ernst mit ihrem jeweiligen Selbstverständnis. Alle haben unterschiedliche Entwicklungen hinter sich, auch die DDR -Gruppen, und also verschiedene Vorstellungen von ihrer Rolle in der zukünftigen gesamtdeutschen Politik. Der quälende Kleinkrieg um Namen, Formulierungen und Definitionen illustriert mit der Deutlichkeit eines Seismographen, wie schwierig authentische politische Artikulation in einem Land ist, in dem innerhalb eines Jahres nach Verschwinden der bleiernen Schwere stalinistischer Diktatur die totale staatliche, wirtschaftliche, soziale und ideologische Selbstauflösung vonstatten ging. Die Gruppen des grün-bürgerbewegten Spektrums vereinigen jene, denen dieses Vakuum schmerzhaft bewußt ist, weil sie nach eigener Identität suchen und sich nicht fragenlos in die Arme einer neuen Autorität werfen wollen.
Der Mangel an Gemeinsamkeiten zeigt sich nicht nur in dem Eklektizismus der aus ideologischen und pragmatischen Versatzstücken montierten Wahlplattform. Auch der Versuch der VL, sich als Brücke zur PDS einzubringen, stellte die Kompromißfähigkeit der anderen Gruppen auf eine harte Probe. Geradezu destruktiv jedoch wirkte die Methode der je nach internen Kräfteverhältnissen wechselnden Delegationen des Neuen Forums, in Verwechslung seiner Größe mit politischer Bedeutung und des Herbstes 89 mit dem von 1990 ständig zwischen Verhandlungsboykott und ultimativen Forderungen zu taktieren. Hier verkam Basisdemokratie zum demagogischen Hammer. Was infolge der Zentrifugalkräfte zwischen den Verhandlungspartnern nicht zustande kam, war ein organisatorisches Bündnis der DDR-Gruppen als hinreichendes Gegengewicht zu den Grünen der BRD. Immerhin, ein - wenn auch belasteter - Anfang ist gemacht. Wie weit er trägt, muß sich erweisen.
Reinhard Weißhuhn
Der Autor lebt in Ost-Berlin und ist Vorstandsmitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen