piwik no script img

Blattschuß für Pinochet?

■ Der General fühlt sich ganz falsch verstanden

Santiago (afp/ap) - Chiles ehemaliger Diktator und noch immer amtierender Heereschef General Augusto Pinochet gerät nach seinen ebenso dümmlichen wie frechen Äußerungen über die Bundeswehr nun auch innenpolitisch zunehmend unter Druck. Der chilenische Innenminister Enrique Krauss schloß gar eine Entlassung des Generals nicht mehr aus. Das Parlament sah sich gezwungen, für den 12. September eine Sondersitzung anzusetzen, um über die Bemerkungen des Greises der vergangenen sechs Monate im Paket zu beraten. Der General hatte unter anderem vor dem eleganten Rotary -Club den pensionierten Bundeswehrgeneral Wolf Graf Baudissin lässig als größten Verräter in der Geschichte der deutschen Streitkräfte bezeichnet. Das von Baudissin mitentwickelte Konzept der „Inneren Führung“ sei verantwortlich für die Dekadenz der deutschen Armee. Die deutsche Armee stelle heute nur noch eine „Ansammlung von Drogensüchtigen, Gammlern, Schwulen und Gewerkschaftern“ dar. Er hoffe, daß ein solches System in Chile nicht etabliert werde.

Mit „Befremden“ hat derweil die Bundesregierung auf jene Äußerungen reagiert. Flugs bestellte Außenminister Genscher den chilenischen Botschafter in Bonn ins Auswärtige Amt. Dort wurde an ihn die Erwartung herangetragen, daß die chilenische Regierung Pinochet doch bitte „zur Ordnung rufen“ möge.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Alfred Biehle, bezeichnete die Auslassungen Pinochets entrüstet als „üble Verleumdung“. Unterdessen ließ der traditionelle Widerling der chilenischen Politik in einem Kommunique verlauten, er sei völlig falsch verstanden worden, hege im Gegenteil große Bewunderung für die deutsche Armee, schließlich sei er ein Schüler von Deutschen gewesen.

Nun hat sich auch die chilenische christdemokratische Regierung von Pinochets Bemerkungen offiziell distanziert. Die Meinung des Generals stimme nicht mit der Haltung der Regierung überein, sagte ein Regierungssprecher. Chile achte im höchsten Maße den deutschen Staat, das deutsche Volk und seine Armee. Was den Exdiktator zu seinen Äußerungen bewogen haben könnte, ob ein rapide greifender Alterungsprozeß, der Genuß von Alkohol oder gar schlimmere Rauschmittel, ist bis heute nicht zu erfahren gewesen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen