„Zentralamerika steht ganz hinten“

■ Interview mit dem ehemaligen nicaraguanischen Präsidenten und Sandinistenführer Daniel Ortega / Die Gründe für die Wahlniederlage im Februar liegen im Verhalten der USA / „Die FSLN muß wieder zu einer Vorreiterrolle finden“

Zum ersten Mal seit seiner Abwahl im Februar ist Nicaraguas Ex-Präsident Daniel Ortega in Europa. Nach Gesprächen mit Solidaritätsgruppen und Landesregierungen in Hamburg und Bremen trifft er heute in Bonn mit den SPD -Politikern Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel und Oskar Lafontaine zusammen. Außerdem wird er sich mit Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth unterhalten. Anschließend spricht er in Italien auf einer Großkundgebung der Kommunistischen Partei und in Schweden auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei. Am Sonntag wird er in Managua zurückerwartet.

taz: Mit welchem Ziel fahren Sie nach Bonn?

Daniel Ortega: Zentralamerika steht im Moment im internationalen Interesse ganz hinten nach dem Golf, der deutschen Einigung, der inneren Entwicklung der Sowjetunion. Für uns ist es jedoch wichtig, daß die europäischen Regierungen Einfluß auf die USA haben, damit die zentralamerikanische Sache wirklich den Zentralamerikanern überlassen bleibt. Als die internationale Aufmerksamkeit auf den Libanon konzentriert war, haben die USA Grenada überfallen. Wir befürchten, daß jetzt, während alle auf den Golf blicken, eine Invasion Nicaraguas passiert.

Außerdem will ich mich für die Wiederaufnahme der noch immer gestoppten bundesdeutschen Hilfe für die nicaraguanische Regierung einsetzen.

Sie werben für eine Unterstützung der Regierung Chamorro?

Ja, auf staatlicher Ebene. Aber alle befreundeten Organisationen sollen ihre Hilfe jetzt möglichst direkt den sandinistischen Basisorganisationen zukommen lassen.

Hat die FSLN die eigenen Fehler, die zum Verlust der Wahl geführt haben, inzwischen analysiert?

In den Wahlen war unser eigentlicher Gegenkandidat ja nicht Violeta Chamorro, sondern Präsident Bush. Die Vereinigten Staaten wollten keine Wahlen innerhalb unseres revolutionären Prozesses, sondern sie wollten mit den Wahlen den revolutionären Prozeß selbst auslöschen. Doch dann sahen sich die USA gezwungen, an unserer Wahl teilzunehmen, und sie haben es geschafft, uns in unserer Wahl zu schlagen. Aber trotz unserer Fehler haben sie es nicht geschafft, den revolutionären Prozeß zu zerstören.

Wären Sie jetzt einverstanden, wenn das Oberkommando des sandinistischen Heeres an die Regierung Chamorro übergeht?

Nach unserer Verfassung ist das Heer ein antiimperialistisches Volksheer, aber auch verpflichtet, sich der jeweiligen Regierung unterzuordnen. Während des Streiks im Juli wurde der Polizeichef gefragt, warum die Polizei nicht härter gegen die Streikenden vorgegangen wäre. Er antwortete, daß die sandinistische Polizei es vorzieht, Streikversammlungen vorsichtig aufzulösen, als hinterher Särge hinaustragen zu müssen. Anschließend wurde der Heereschef das gleiche gefragt. Und er antwortete, daß die Soldaten nicht für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung zuständig seien. Auch Präsidentin Chamorro, die Oberkommandierende der Streitkräfte, muß natürlich diese verfassungsmäßige Rolle des Heeres akzeptieren. Wenn sie das ändern will, müßte sie erstmal die Verfassung ändern. Aber dazu fehlt ihr die Mehrheit.

Aber Ihr Bruder Humberto Ortega könnte seinen Posten als Heereschef niederlegen?

Das hängt von der Entscheidung Violeta Chamorros ab. Doch Humberto Ortega könnte sowieso nur durch einen anderen Sandinisten ersetzt werden.

Die innere Krise Nicaraguas verschärft sich. Es gab zwei Generalstreiks in den vergangenen vier Monaten, die Inflation liegt über 80 Prozent monatlich, die soziale Versorgung wird schlechter. Rechnen sie mit einem vorzeitigen Sturz der Regierung Chamorro?

Wir müssen davon ausgehen, daß die gewählte Regierung sechs Jahre im Amt bleibt. Aber wir sind auch nicht die politische Kraft, die die Regierung an der Macht erhält, koste es, was es wolle. Wir kritisieren die Regierungspolitik und haben den Streik offen unterstützt. Was wir jetzt von der Regierung fordern, ist ein Konsens zwischen Arbeitern und Unternehmern, der zumindest ein Minimum an Stabilität bewirkt. Wenn die Regierung dazu nicht in der Lage ist, dann wird sie von selber stürzen.

Oder sie wird 1996 wieder abgewählt.

Die FSLN hatte im Kampf gegen die Somoza-Diktatur eine Vorreiter-Rolle. Auch bei Aufbau und Verteidigung der revolutionären Errungenschaften hatten wir eine Vorreiter Rolle. Und jetzt müssen wir wieder eine Vorreiter-Rolle finden. Wir werden uns nicht in eine Wahlpartei verwandeln. Wir sind eine revolutionäre Partei. Unser Ziel sind nicht die Wahlen 1996, sondern der revolutionäre Kampf an jedem Tag. Aber wenn es wieder zu Wahlen kommt, dann werden wir uns natürlich auch wieder zur Wahl stellen.

Interview: Dirk Asendorpf