: Schlafstörungen bei DT64
■ Freitag nacht: DT64 organisiert sich die Solidarität / Anrufe am laufenden Band, Besucher im Studio
Kurz bevor Marion Brasch (29), ehemalige Liedermacherin der DDR und seit drei Jahren im Programm von Jugendradio DT64, Freitag nacht um 23 Uhr ihr vierstündiges Nachtprogramm „Schlafstörungen“ anfahren muß, ist ihr immer noch nicht klar, „wie die Sache läuft“. Zwischen Punk und Trauermusik hat sie am Abend bei der Vorbereitung der Sendung und der Auswahl der Musik geschwankt, wie sie sagt, nachdem sie vom Beschluß erfahren hatte, die Sendefrequenzen von DT64 in der DDR dem Westberliner RIAS zu überlassen. „Ich weiß nicht, was im Moment hier im Sender läuft“, zeigt sie sich ratlos bei der alle bewegenden Frage, ob der DT64 sein eigenes Medium nutzen wird, um noch in dieser Nacht eine Kampagne für den Erhalt eines DDR-weiten Jugendradios zu starten, „mit mir hat noch keiner der Chefs gesprochen“. Die „Chefs“, Chefredakteur Schiwack und sein Stellvertreter Schneider, beteuerten, daß sie von Verhandlungen mit dem „bösen“ RIAS nichts gewußt haben.
Ganz sicher nichts gewußt hat Marion Brasch im Sendestudio. „Wir sind ohnmächtig, wie gelähmt“, zeigte sie sich betroffen, „ich glaube, ich werde schreien, leise schreien...“ Punkt 23 Uhr dann muß sie sprechen: „Am Mikrophon Marion - Wir waren das Volk - Brasch!“ Und dann ging Nina Hagen mit dem beziehungsreichen Lied von Zarah Leander über den Sender: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen...“ In dieser Nacht gibt Marion Brasch den Ton an. „Hier im Studio in der Nalepastraße ist alles voll, in Dresden ist alles voll, vielleicht wird der Alex auch noch voll, wer weiß... Ich weiß, wir spielen jetzt das Lied von der 'unruhevollen Jugend‘ von Feeling B.“ Danach dann, im Laufe der nächsten Stunden, entschieden die DT64-Hörer für Marion Brasch. Anrufe am laufenden Band, aus Ost-Berlin, aus West-Berlin und aus der ganzen DDR, Besucher im Studio. „Ich habe alles über den Sender gegeben“, sagt sie, „das hat mich dann auch emotional hochgeschaukelt, die Tränen, die mancher in der Stimme hat“.
Raul Gersson
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