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Almosen für ein Leben in Würde?

Berliner Behinderte auf ihrem Verbandstag: Wir wollen uns nicht „befürsorgen“ lassen/ Magistrat: Im Haushalt ist kein Pfennig für die Selbsthilfeorganisation vorhanden  ■ Von Irina Grabowski

Berlin (taz) — Schon stehen die zahlreichen fürsorglich-karitativen Wohlfahrtsverbände bereit, um auch die behinderten Menschen der DDR unter ihre Fittiche zu nehmen. Doch die Behinderten, die sich am Wochenende mit ihren Freunden und Verwandten zum Verbandstag des Berliner Behindertenverbandes trafen, wollen sich nicht wieder in die Befürsorgung abschieben lassen.

Sie wollen arbeiten, nicht ständig bei Einkaufsfahrten an Bordsteinkanten und Schwellen scheitern und nicht als Almosenempfänger sterben. In der DDR erfuhren Menschen mit schweren körperlichen und/oder geistigen Behinderungen bisher eine zum Teil entwürdigende Sonderbehandlung. Weitab vom Alltag der gesunden Mitbürger war für sie ein Leben in Sonderschulen, Heimen, geschützten Werkstätten und Betriebsabteilungen festgelegt. Niedrige Renten, Pflegesätze von 20 bis 200 Mark monatlich und das obligatorische Drittel des Lohnes gesunder Kollegen setzten schmerzhafte finanzielle Grenzen für „private“ Förderungswünsche. Der Weisheit letzter Schluß kann die isolierte Tätigkeit der Betroffenen in den Werkstätten, die monoton und feinmotorisch einseitig dem Behinderten wenig Spielraum läßt, nicht sein. Doch dieses wenige fällt nun als erstes der neuen marktwirtschaftlichen Zeit zum Opfer — es gibt nur noch wenige Aufträge. Von 492 geschützten Betriebsabteilungen in der gesamten DDR wurden seit Anfang des Jahres 300 geschlossen. Allein im Bezirk Prenzlauer Berg entledigten sich einige Betriebe im Mai und Juni 40 bis 60 schwerbeschädigter Kollegen. Sie konnten sich nicht wehren, weil erst ab Juli das Arbeitsamt rechtswidrigen Entlassungen einen Riegel vorschob, damit jedoch die Einspruchsfrist von sieben Tagen verstrichen war. In Zukunft wird die Hauptfürsorgestelle im Westteil Berlins Kündigungsanträge ablehnen oder ihnen zustimmen. In der Bundesrepublik erhalten auf diese Weise rund 80 Prozent der Betroffenen den blauen Brief.

Daß behinderten Menschen ohne Arbeit lediglich die Sozialhilfe bleibt, ist für den Berliner Behindertenverband unakzeptabel. Konnten die Behinderten in der DDR bisher mit der Invalidenrente über ein zwar knapp bemessenes Einkommen verfügen, wollen sie jetzt nicht am Tropf der portionierten Wohltätigkeiten der Gesellschaft hängen. Nur steuerfinanzierte Leistungen, mit denen das Pflegerisiko abgesichert würde, sind akzeptabel. Darüber sind sich der Behindertenverband in Berlin Ost und der Spontanzusammenschluß „Mobilität für Behinderte“ aus dem Westteil der Stadt einig. Doch bisher war diese soziale Forderung den Politikern im Senat lediglich gut für ein Stück Papier — die rot-grüne Koalitionsvereinbarung.

Der Ostberliner Magistrat hält auf seine Weise mit: im Haushaltsplan 1990 ist kein Pfennig für Selbsthilfegruppen wie den Behindertenverband vorgesehen. Der Antrag auf Gemeinnützigkeit, von einzelnen Bezirksvollversammlungen genehmigt, wird vom Finanzamt ignoriert: Es verweigert die Steuerbefreiung für die Sponsoren. Außerdem sollen Rehabilitationszentren, die bisher eine umfassende Betreuung der Betroffenen sicherte, aufgelöst werden. Zähe Diskussionen gibt es über die Behindertenbeauftragten in den Bezirken. Der Sozialrat von Pankow hält diese Stelle ganz und gar für überflüssig. Das ist noch viel mehr als Bordsteinkanten ein Hindernis auf dem Weg zu einem Leben in Selbstbestimmung und Würde.

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