: Ortega und Chamorro — ein Konzert mit Mißtönen
Nicaragua nach den Sandinisten — Teil I: Regierung und Opposition streben eine „concertacion“ zur Rettung der ruinierten Wirtschaft an/ Vollbeschäftigung statt Lohnerhöhungen?/ Ortega gegen Massenentlassungen und „revanchistische“ Gesetze/ Die Regierung hat noch kein Konzept ■ Aus Managua Ralf Leonhard
„Concertacion“ heißt das Zauberwort, das seit Wochen in Nicaragua die politische Diskussion beherrscht. „Die Konzertierung ist der Schlüssel für eine bessere Zukunft.“ Wie ein Werbespruch für Bier oder Zahnpasta flimmert dieser Slogan allabendlich über die Fersehschirme.
Nach zehn Jahren Krieg und einem gewaltlosen Regierungswechsel wollen die Nicaraguaner den sozialen Frieden durch Verständigung untereinander und nationale Kompromisse herstellen. Vor allem die wirtschaftliche Konzertierung zwischen Regierung, Opposition, Gewerkschaften und Unternehmern wird allgemein als „conditio sine qua non“ betrachtet. Für Antonio Lacayo, den Chamorro-Schwiegersohn und Präsidentschaftsminister, ist Konzertierung ein strategisches Ziel. „Ohne Konzertierung gibt es keine Demokratie, ohne Demokratie keine Modernisierung und ohne Modernisierung kein Jahr 2000 für Nicaragua“, dozierte er auf einem Forum über Demokratie und Konzertierung, zu dem die Autonome Nationaluniversität (UNAN) geladen hatte. Ex-Präsident Daniel Ortega konterte, daß die Sandinisten bereit seien, im Konzert mitzuspielen, allerdings nicht ohne Bedingungen.
Als die sandinistische Regierung vor Jahren die Opposition und Unternehmerschaft zur Konzertierung aufgerufen habe, hätten diese abgelehnt, weil ihnen das Klima nicht gepaßt hätte. „Jetzt sind wir es, die ein günstiges Klima verlangen.“ Massenentlassungen und revanchistische Gesetze seien nicht dazu angetan, dieses Klima zu schaffen. In der Nationalversammlung zirkuliert ein Gesetzesprojekt, das die Umbenennung von Straßen, Plätzen und Institutionen, die nach im Krieg gegen Somoza oder die Contras gefallenen „Patrioten“ benannt sind, ermöglichen soll. Die kurz nach der Amtsübernahme von Violeta Chamorro erlassenen Dekrete 10-90 und 11-90 ermöglichen außerdem die Rückgabe konfiszierter Liegenschaften und die unbegründete Entlassung von Staatsangestellten.
Edmundo Jarquin, einer der sandinistischen Meinungsführer im Parlament, hat bereits konkrete Vorstellungen von einem Basiskonsens: Der Konsum muß weniger ansteigen als die Produktion, die Löhne weniger als die Produktivität. Die Unternehmer müßten sich verpflichten, ihre Gewinne im Inland zu investieren. Dafür sollten die Arbeiter sich bei der Wahl zwischen Vollbeschäftigung und Lohnerhöhungen für die Vollbeschäftigung entscheiden und für sechs Monate auf Reallohnerhöhungen und Streiks verzichten. Der Staat sollte den einheimischen Produzenten schützen und nicht durch Billigimporte niederkonkurrieren.
In den Monaten seit der Machtübernahme am 25. April ist eine konsequente Regierungspolitik bisher nur im militärischen Bereich auszumachen. Die Entwaffnung der Contras und die tatsächliche Beendigung des Krieges werden allgemein als herausragendste Leistung der ersten hundert Tage unter Violeta Chamorro gepriesen. Für die militärische Stabilität sorgt die sandinistische Armee unter General Humberto Ortega. Doch in der Wirtschaftspolitik gibt es keine einheitliche Linie. Zollsenkungen für Elektrogeräte und Luxusgüter nützen vor allem den Händlern und den Wohlhabenden, während allwöchentliche Benzinpreissteigerungen den Grundnahrungsmittelkorb für 80 Prozent der Bevölkerung nach und nach in unerreichbare Höhen entrücken. Durch die Ankündigung massiver Landrückgaben werden Bauern und Landarbeiter alarmiert. Und politisch motivierte Entlassungen im Staatsdienst schaffen ein Klima ständiger Mobilisierung.
„Auch die Konzertierung nach innen tut not“, meinte der ehemalige Botschafter in Washington, Carlos Tünnermann, „denn die Regierung spricht nicht mit einer Stimme.“ Es ist aber auch nicht leicht, gleichzeitig die Sandinisten günstig zu stimmen, und gegenüber der US-Botschaft Gehorsam zu zeigen. Projektgelder der US- Entwicklungsorganisation AID kommen mit Auflagen, daß die Privatisierung voranzutreiben sei — die sandinistischen Gewerkschaften widersetzen sich der Privatisierung rentabler Staatsbetriebe. Die USA wollen zudem den Verzicht auf Kriegsreparationsforderungen, die die sandinistische Regierung vor dem Internationalen Gerichtshof von Den Haag einbrachte, nachdem dieser Washington wegen der Finanzierung des Contra-Krieges gegen Nicaragua verurteilt hatte — insgesamt 17 Milliarden Dollar, eine Summe, mit der das Land 20 Jahre lang von wirtschaftlichen Sorgen befreit wäre.
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